Es ist ein wegweisendes Urteil: Die obersten Verwaltungsrichter erklären das schärfste Mittel gegen zu viele Diesel-Abgase für zulässig - Fahrverbote. Verkehrsminister Christian Schmidt wiegelt aber ab.
Im Kampf gegen schmutzige Luft in deutschen Städten sind Fahrverbote für Dieselautos grundsätzlich erlaubt. Die Bundesregierung will dies aber noch vermeiden.
Nach jahrelangem Streit entschied das Bundesverwaltungsgericht am Dienstag, dass Kommunen Strassen oder Gebiete für Dieselautos sperren dürfen. Dies muss aber der einzige Weg zum schnellen Einhalten von Grenzwerten zum Gesundheitsschutz sein.
Ausserdem soll es Ausnahmen etwa für Handwerker und bestimmte Anwohner geben. Nach der Entscheidung steigt auch der Druck auf die Autobauer, bei Abgas-Nachbesserungen nachzulegen.
Konkrete Folgen dürfte es bereits für Dieselfahrer und Anwohner in Hamburg geben. Dort soll es schon in zwei Monaten begrenzte Diesel-Fahrverbote geben und zwar in zwei wichtigen Durchgangsstrassen im Stadtteil Altona.
Der Berliner Senat will bis Jahresende prüfen, ob es ab 2019 Fahrverbote in der Hauptstadt geben soll. In Stuttgart könnte es für ältere Diesel schon Ende 2018 erste Beschränkungen geben.
Verkehrsminister wiegelt ab
Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister
Es müsse mit einem Mix intelligenter Lösungen weitergearbeitet werden. Dazu gehörten die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, neue Antriebe wie Elektro und Brennstoffzelle sowie Verbesserungen beim Diesel. Hier sei noch nicht alles ausgereizt.
Auf Hardware-Nachrüstungen älterer Dieselautos angesprochen, betonte Schmidt, Lösungen müssten ökologisch und ökonomisch darstellbar sein. Man sollte nicht in alte Autos investieren, sondern lieber neue Technologien nutzen.
Zu Forderungen zur bundesweiten Einführung einer blauen Plakette für neuere Diesel äusserte sich der CSU-Politiker ablehnend. Es gehe um Probleme in einzelnen Städten, deren Zahl sich ständig reduziere.
"Grosser Tag für die saubere Luft"
Die Leipziger Bundesrichter bestätigten grösstenteils Urteile unterer Instanzen in Stuttgart und Düsseldorf. Dort hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf Einhaltung der Grenzwerte für Stickoxide geklagt, die zum Grossteil aus Diesel-Abgasen stammen.
Die beiden Verwaltungsgerichte hatten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verpflichtet, dafür auch Fahrverbote in Betracht zu ziehen. DUH-Chef Jürgen Resch sprach von einem "ganz grossen Tag für die saubere Luft in Deutschland".
Das Urteil dürfte für ganz Deutschland wichtig sein, auch wenn es konkret um Stuttgart und Düsseldorf geht. Für Stuttgart erklärten die Richter, dass Dieselautos der Abgasnorm Euro 5 frühestens ab September 2019 mit Fahrverboten belegt werden dürfen.
Die Hamburger Fahrverbote sollen allerdings bereits jetzt für alle Fahrzeuge gelten, die nicht die Norm Euro 6 erfüllen.
Zudem brauche es Ausnahmen etwa für Handwerker und bestimmte Anwohner.
Eine Pflicht zur Entschädigung für Diesel-Fahrer gibt es nach den Worten des Vorsitzenden Richters Andreas Korbmacher nicht: "Gewisse Wertverluste sind hinzunehmen", sagte er. Die Landesbehörden hätten es in der Hand, einen Flickenteppich bei den Fahrverboten zu verhindern.
Das fordern auch Kommunen und Umweltschützer. Sie wollen eine blaue Plakette, um damit relativ saubere Autos zu kennzeichnen und Verbote einheitlich und kontrollierbar zu machen.
"Wenn es zu Fahrverboten käme, bräuchten wir Kennzeichnungen für diejenigen, die nicht unter die Fahrverbote fallen", sagte auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Ziel bleibe aber, Fahrverbote zu vermeiden.
"Das ist auch machbar mit der Vielfalt der Massnahmen, die wir vorgeschlagen haben", betonte der geschäftsführende Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU).
Er verwies unter anderem auf ein laufendes Programm von einer Milliarde Euro zur Unterstützung der Kommunen etwa bei der Anschaffung von Elektroautos und -bussen oder einer besseren Verkehrssteuerung. Die Bundesregierung will nun weiter mit Ländern und Kommunen beraten.
Merkel sieht keine weitreichenden Folgen
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet nur mit begrenzten Folgen des Leipziger Urteils. "Es geht um einzelne Städte, in denen muss noch mehr gehandelt werden", sagte sie. "Aber es geht wirklich nicht um die gesamte Fläche und alle Autobesitzer in Deutschland."
Obwohl die Luftbelastung mit Stickoxiden in vielen Städten deutlich zurückgegangen ist, überschreiten laut Umweltbundesamt weiter rund 70 Kommunen die Grenzwerte.
Deutschland droht deswegen auch eine Klage der EU-Kommission. Stickoxide können unter anderem Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen oder verschlimmern.
Um die Belastung zu senken, forderte Hendricks erneut technische Nachrüstungen an den Motoren von Diesel-Autos.
Mehr Druck der Politik dafür forderte der Städtetag. "Wir appellieren eindringlich an den Bund, seine Zurückhaltung gegenüber der Automobilindustrie aufzugeben", sagte Präsident Markus Lewe.
Es müsse Klarheit her, was Software-Updates bringen, die die Autobauer zugesagt habe. Wenn das nicht reiche, müssten sie zu Nachrüstungen an Motoren verpflichtet werden und auch zahlen.
Die Branche lehnt dies bisher strikt ab und argumentiert mit den Kosten sowie der technischen Machbarkeit. Schmidt sagte, ein Gutachten dazu werde "in den kommenden Wochen" veröffentlicht.
Unübersichtliches Wirrwarr auf den Strassen?
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) betonte, das Gericht habe "kein "Muss" für Fahrverbote ausgesprochen." Es müsse sorgfältig vor Ort abgewogen werden, welche Instrumente "zielführend und verhältnismässig" seien.
Es liege nun in der Hand der Politik, einen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen zu vermeiden - aus Sicht der Autolobby am besten mit einer bundeseinheitlichen Regelung.
Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Cem Özdemir (Grüne), kündigte eine Befragung des geschäftsführenden Ministers Schmidt im Ausschuss für diesen Mittwoch an.
Özdemir warnte vor einem "unübersichtlichen Wirrwarr", wenn Kommunen das Leipziger Urteil umsetzten und Fahrverbote verhängten. FDP-Chef Christian Lindner nannte das Urteil einen "Schlag gegen Freiheit und Eigentum, weil wir uns zu Gefangenen menschengemachter Grenzwerte machen." © dpa
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