Berlin - Viele Menschen stehen vor der Herausforderung, ein neues Auto auszuwählen, wenn das alte in die Jahre gekommen ist. Dabei gibt es oft klare Vorstellungen über Grösse und Preis des Fahrzeugs. Doch die Entscheidung zwischen einem Modell mit Benzintank oder einem Elektroauto mit Batterie fällt schwer.

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So geht es zahlreichen Autokäufern im Land, sagt der Automobilwirtschaftler Stefan Bratzel. Denn je mehr übers E-Auto gesprochen und desto grösser das Angebot werde, desto enger komme es zwar bei vielen in die Auswahl, sagt der Professor an der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach: "Doch je länger sie darüber nachdenken, desto grösser werden die Fragezeichen."

Fragt man Experten um Rat und Entscheidungshilfe, kristallisieren sich neben der persönlichen Präferenz für Marken, Design oder Karosserieformen schnell drei kritische Themenkreise heraus, die für das Pro oder Contra entscheidend sind. "Mit ein paar simplen Fragen kann so jeder entscheiden, ob er fit for future ist", sagt Bratzel.

Wo kann ich laden?

An erster Stelle steht dabei die Stromversorgung, sagt Stefan Moeller: "Jeder E-Auto-Interessent muss sich fragen, wo er seinen Wagen regelmässig laden kann." Der Leipziger ist E-Fluencer mit eigenem Youtube-Kanal, propagiert seit Jahren das Elektroauto und vermittelt und vermietet über seine Firma Fahrzeuge verschiedenster Hersteller.

Wer daheim eine Wallbox aufhängen und die im besten Fall noch mit dem eigenen Solarstrom betreiben kann, der hat laut Stefan Bratzel bereits die erste Hürde genommen und sei fast schon prädestiniert für den Wechsel. "Genau wie bei einer Lademöglichkeit am Arbeitsplatz".

Wer dagegen weder zu Hause noch im Job laden kann, der könne schon ins Grübeln kommen, räumt der Experte ein. Dann müsse man sich fragen, wo in der täglichen oder wöchentlichen Routine Ladestopps eingebaut werden können: Dann sollte man allerdings nicht nach der Ladesäule am Strassenrand suchen, die oft recht weit entfernt und gerne mal besetzt ist, mahnt Moeller.

Ein Mann an einer Ladesäule
Laden - Fahren - Sparen: Wer zu Hause oder an einem andern Ort regelmässig für sein Fahrprofil passend laden kann, dürfte schon mal über ein E-Auto nachgedacht haben. © dpa / Zacharie Scheurer/dpa-tmn

"Stattdessen lieber schauen, ob es bereits grosse Schnelllade-Hubs an meinen Alltagsstrecken gibt." Der heimische Supermarkt, das Fitnessstudio oder das Lieblingsrestaurant könnte dann zur Alternative werden. "Und dabei auch auf den Preis schauen", sagt Moeller und verweist auf die ersten grossen Anbieter, die Abo-Tarife von 39 Cent/kWh fürs Schnellladen anbieten.

Wie weit muss ich fahren?

Die Batteriekapazität und mit ihr die Reichweite spielt allen befragten Experten zufolge eine weniger grosse Rolle, als es uns die Psyche weiss machen will. "Natürlich tun sich Handlungsreisende mit vielen tausend Kilometern Tagespensum schwerer als Kurzstrecken-Pendler oder Heimarbeiter, die nur zum Einkaufen oder zum Kindergarten fahren", sagt Stefan Bratzel.

Aber statistisch reichen uns bereits Elektroautos mit nicht einmal 250 Kilometern Aktionsradius für eine ganze Woche. Schliesslich liegt die durchschnittliche Tagesfahrleistung der Deutschen dem ADAC zufolge bei gerade mal 40 Kilometern.

Selbst ein Dacia Spring müsste da erst nach fünf Tagen an die Steckdose. Für längere Strecken stünden Schnellladesäulen an Autobahnraststätten zur Verfügung, die innerhalb von 20 bis 30 Minuten eine ausreichende Ladung ermöglichen, informiert der Club online weiter: Wer ein E-Auto will, mit dem sich ohne langen Halt 400 bis 500 Kilometer und mehr "herunterrattern" lassen, finde inzwischen ebenfalls ein hinreichendes Angebot. "Und von den zwei, drei wirklich langen Fahrten im Jahr etwa in den Urlaub sollte man sich die Wahl nicht diktieren lassen", so Bratzel.

Wallbox an einem Einfamilienhaus
Meine eigene "Tankstelle": Zuhause - vielleicht sogar mit selbst produziertem Solarstrom - laden zu können, spricht bei so manchem für die Anschaffung eines E-Autos. © dpa / Bernd Diekjobst/dpa-tmn

Wie viel Auto und wie viel Akku kann ich mir leisten?

Zwar ist der Dacia Spring ab 16.900 Euro als günstigstes Elektroauto im Land mehr als 11.000 Euro billiger als etwa ein normaler VW Golf. Doch niemand behauptet ernsthaft, dass Elektroautos günstiger seien als Verbrenner. "Nach wie vor muss man für vergleichbare Stromer noch tiefer in die Tasche greifen", räumt Hochschulprofessor Bratzel ein. "Allerdings nähern sich die Preise zunehmend an. Und 2025 werden die E-Autos mit dem wachsenden CO2-Druck für die Hersteller noch einmal einen Preisrutsch erleben", ist der Experte überzeugt.

Ausserdem darf man nicht nur auf die Listenpreise schauen, erläutert Moeller, sondern man muss die Rabatte und tagesaktuellen Händlerangebote prüfen. "Zudem werden E-Autos häufig im Leasing beschafft und die monatlichen Raten können zwischen verschiedenen Modellen mit dem gleichen Listenpreis um das Doppelte variieren."

Und es ist ja nicht nur die Anschaffung, die man bei der Finanzplanung berücksichtigen sollte. Sondern auch beim Unterhalt gibt es Unterschiede, gibt der ADAC zu bedenken: Elektroautos seien bis Ende 2030 von der Kfz-Steuer befreit, was zu erheblichen Einsparungen führen kann.

Zudem ist die Versicherung eines Elektrofahrzeugs oft günstiger und selbst für die Finanzierung gebe es oft bessere Konditionen. Elektroautos haben ausserdem weniger mechanische Bauteile als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, was die Wartungskosten erheblich senkt.

"Öl-, Filter- und Zündkerzenwechsel, Abgasuntersuchung, rostiger Auspuff? Gibt es nicht und schont somit den Geldbeutel", notiert der ADAC. Zudem verweisen die Münchner auf Studien, wonach die Wartungskosten von Elektrofahrzeugen um 35 Prozent niedriger seien als die von Verbrennern.

Woran muss ich sonst noch denken?

Zwar fällt mit den drei vorgenannten Fragen die Entscheidung für oder gegen einen Stromer schon leichter, doch stehen natürlich noch ein paar andere Fragen im Raum, gibt Moeller zu bedenken. Wer gewichtige Hobbys hat oder im Job viel schleppen muss, der sollte etwa auf die Anhängelast schauen, die bei E-Autos meist geringer sei als bei entsprechenden Verbrennern.

Und auch das Thema Garantie sei wichtig. Die Akkus seien da zwar selten das Problem und meist gut abgedeckt, selbst wenn es innerhalb einzelner Konzerne grosse Unterschiede gebe. "Aber es gibt andere Baugruppen, die zwar selten kaputtgehen, dann aber einige Tausend Euro kosten können, die der Kunde bei manchen Herstellern schon im dritten Jahr selbst zahlen müsste."

Wo kann geladen werden, wie weit muss gefahren werden, und was darf das Auto kosten? Diese Leitfragen helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Dennoch schieben viele die Antwort auf die lange Bank, lassen ihr altes Auto noch einmal durch die Hauptuntersuchung oder kaufen einen Gebrauchtwagen, um sich mehr Bedenkzeit zu verschaffen. Für Menschen, die nicht allzu viel fahren, kann dies aus einer ganzheitlichen Perspektive von der Herstellung bis zur Entsorgung keine schlechte Lösung sein, meint auch Stefan Bratzel.  © Deutsche Presse-Agentur

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