Göttingen - Immer mehr Menschen nutzen Fahrräder ganzjährig als Verkehrsmittel. Manche radeln auch im Urlaub, Sommer wie Winter. Aber eine richtige Radtour im Winter machen? Klingt verrückt, ist es aber gar nicht.
Das meint auch Gunnar Fehlau. Von ganzjährigen Radtouren versteht er was, war der Radexperte doch 2023 zwölf Monate lang auf einem E-Cargobike unterwegs, um mobil zu reisen und zu arbeiten.
Im Interview erklärt Fehlau, warum das "Kleidungsmanagement" bei Kälte so wichtig ist und warum es lohnt, bei der Streckenplanung in Blasen zu denken.
Radreisen im Winter – das klingt ja erst mal ungemütlich. Muss es das sein?
Gunnar Fehlau: Der gute alte Spruch "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung", der wird eigentlich von Saison zu Saison wahrer. Das heisst nicht, dass es jetzt hier um Heldentum gehen soll, sondern ich würde das als Einladung verstehen und eine Ode darauf singen, wie toll es ist, die Elemente zu erleben. Vor 20 Jahren war Radfahren wirklich eine Sache der Sommersaison. Und wenn das Wetter schlechter wurde, dann stieg der Schmerz. Das ist heute nicht mehr so.
Woran liegt das?
Fehlau: Generell ist nicht nur in der Fahrradtechnik – und das kennen wir auch aus dem Outdoorbereich –, sondern auch bei der Bekleidung unglaublich viel passiert. Es gibt mittlerweile einfach Fahrräder, Bekleidung und Ausrüstung – wirklich alles – für den Ganzjahresbetrieb.
Man sollte Kleidung aber nicht ohne Anprobieren kaufen. Bestenfalls wirklich das Rad dazu mitnehmen, damit man in der Haltung, in der man auf dem Rad sitzt, gucken kann, ob die Klamotten richtig passen und nicht zwicken.
Welche Rolle spielt denn die Länge der Tour?
Fehlau: Der entscheidende Punkt ist: Wie lange fahre ich am Stück, und mache ich unterwegs eine wirkliche Pause? Oder drehe ich einfach nur so eine Erholungsfreizeitrunde? Das Kleidungsmanagement ist wichtig, damit man sich keine Erkältung holt. Sprich, ich muss einerseits dafür sorgen, dass ich möglichst nicht ins Schwitzen gerate. Und umgekehrt, wenn ich anhalte, um mir auch mal etwas länger was anzuschauen, muss ich dafür sorgen, dass ich nicht auskühle. Dann brauche ich zwei Kleidungskonzepte, nämlich das eine, was auf dem Rad funktioniert, und das andere, was abseits davon funktioniert.
Es gilt, die Transferkälte zu vermeiden: Auf dem Rad ist mir aus der Bewegung heraus warm, dann steige ich ab und gehe etwa ins Café. Nun fällt die Bewegung weg und die verschwitzten körpernahen Kleidungsstücke beginnen allzu schnell, nasskalt zu werden.
Mein Tipp: In festen Räumlichkeiten geradewegs aufs WC gehen und dort die unterste Schicht gegen eine trockene aus der Radtasche wechseln und lediglich so viel Kleidung wieder anziehen, wie es das Raumklima verlangt. Nach der Pause steige ich dann warm und trocken wieder aufs Rad.
Ich würde immer mindestens eine Kleidungsschicht mehr mitnehmen, als ich denke – haben ist besser als brauchen, wie es immer so schön heisst. Dann habe ich eine Option, wenn ich mir etwa ein Schloss anschaue, die Kleidung für die ein, zwei Stunden zu wechseln.
Sobald die Fahrt länger wird und mehr in Richtung Bewegung und Schwitzen geht, desto mehr kommt Sport- und Funktionsbekleidung infrage. Dann fahre ich nicht mehr mit Jeans und Baumwolle.
Wie behalte ich denn das richtige Klima auf dem Rad?
Fehlau: Das Zwiebelprinzip geht davon aus, dass ich eine relativ dünne körpernahe Schicht habe, die bestenfalls die Feuchtigkeit möglichst schnell vom Körper weg transportiert. Es folgt eine isolierende und wärmende Schicht. Und aussen, als äusserste, habe ich irgendwas, was die Witterung aussen hält, also etwas wind- oder regendichtes.
Und über Reissverschlüsse, Klettbündchen und Öffnungen versuche ich dann, das fein anzupassen – aufmachen, bevor man schwitzt, und zumachen, bevor man friert. Oder etwa mit dem Auf- und Absetzen einer Helmmütze regulieren: Sobald ich merke, dass mir wirklich warm wird, sollte ich die mal ablegen, und sobald mir kälter wird, sollte ich die wieder aufsetzen.
Man muss ein Gefühl dafür kriegen, dass man die Sachen nicht erst dann abnimmt, wenn sie schon schwitzenass sind, sondern in dem Moment, bevor sie sich voller Feuchtigkeit saugen, damit ich, wenn ich sie wieder aufsetze, mir nicht was Nasskaltes auf den Kopf tue.
Clever ist auch, Helmmützen und so weiter körpernah zu transportieren, etwa in der Rückentasche. Dann bleiben sie körperwarm – selbst wenn sie bereits feucht sind, ist das beim erneuten Aufsetzen angenehmer. Und es gibt eine Faustformel: Wenn man kontinuierlich in Bewegung bleibt, sollte man am Anfang ein ganz kleines bisschen frösteln, weil natürlich der Körper noch kühl ist, sich noch nicht durchbewegt hat. Also wenn ich aufs Rad steige, habe schon alles an und mir ist warm, dann habe ich eigentlich eine Spur zu viel an.
Was ist bei der Streckenplanung zu beachten?
Fehlau: Probier's mal mit Gemütlichkeit. Man soll eine schöne Zeit haben. Ich würde jetzt nicht das Kilometer-Maximum planen. Zumal je nach Region, wo man wohnt, auch die Winde mal ein bisschen extremer werden und dann hat man auf einmal Gegenwind und hat einen Zeitplan, den man überhaupt nicht einhalten kann.
Was ich bei der Streckenplanung schlau finde, ist, nicht in Linien zu denken, sondern in Blasen. Also ich kann mir eine Strecke bauen, die auf dem direkten Weg 30 Kilometer wäre. Und da baue mir so Blasen ein, wo ich einen Haken schlage zu irgendeiner Burg, zu irgendeinem Park, zu irgendeinem Café, die ich aber problemlos unterwegs auch wieder spontan rauskürzen kann – bei Bedarf, Gefühls- oder Wetterlage.
Wenn ich mir aber eine Strecke baue, die auf direkter Linie 55 Kilometer sind, da kann ich nicht mehr viel rauskürzen. Ein Akku hat im Winter auch weniger Reichweite. Das sollte man ebenfalls im Hinterkopf haben.
Was ist noch wichtig bei der Vorbereitung?
Fehlau: Vorweg: Man sollte immer sicherstellen, dass man Licht dabeihat, wenn es nicht sowieso verbaut ist. Ohne Licht fahren, ist bei Dunkelheit nicht nur verboten, sondern kreuzgefährlich. Besser wartet man das Fahrrad vorher zu Hause, bei seinem Händler oder in Eigenregie. Man macht es fit und tauscht vielleicht noch mal die Reifen, auf solche, die auch ein wenig mehr auf rutschigen Verhältnissen klarkommen – Ganzjahres- oder Winterreifen.
Denn unterwegs unnötige Reparaturen machen zu lassen, kostet es in der Regel mehr – nicht nur Geld, sondern auch Nerven und wertvolle Urlaubszeit. Insofern: mit einem perfekt gewarteten Rad loszufahren, ist auf jeden Fall schlau. Flickzeug und Werkzeug aber immer mitnehmen – selbst für den Fall, dass man selbst gar nicht damit umgehen kann. Aber wer den passenden Ersatzschlauch oder so schon mal mithat, braucht nur noch jemanden finden, der es kann.
Auch ein hochkalorischer Snack sollte dabei sein. Das muss jetzt nicht so ein wissenschaftlicher Energieriegel sein, sondern kann auch ein Schokoriegel, eine Banane oder irgendwas sein, das schnell in die Blutbahn geht – als Notgroschen.
Und das Trinken wird gerade im Winter gern vergessen. Immer mit einer bestimmten Regelmässigkeit trinken, aber bevor der Durst kommt. Man braucht sicherlich nicht so viel wie bei 38 Grad im Schatten. Dabei hat man im Sommer das Problem, dass die Trinkflasche warm wird. Im Winter hat man das Problem, dass sie kalt wird. Aber dafür gibt es Isoliertrinkflaschen. © Deutsche Presse-Agentur
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