Noch ist es nur ein Verdacht - aber ein schwerwiegender. Seit langem sollen sich die Schwergewichte der deutschen Autoindustrie hinter den Kulissen über Preise und Technik abgestimmt haben. Erhärten sich die Vorwürfe, wäre "Dieselgate" nicht mehr der grösste Branchenskandal.
Bewiesen ist bisher nichts. Doch das Schweigen der Konzerne bei einem Verdacht dieser Tragweite alarmiert Politiker, Experten, Kritiker: Ein weit verzweigtes Kartell deutscher Autobauer soll sich zum Schaden von Kunden und Lieferanten in verschiedenen Fragen abgesprochen haben. Die Recherche des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" vom Wochenende hat inzwischen auch die EU-Kommission in Brüssel als oberste Wettbewerbsbehörde im europäischen Binnenmarkt auf den Plan gerufen.
Abgasskandal, Dieselkrise, die Geburtswehen der Elektromobilität: Die Branche hat eigentlich schon mehr als genug Probleme. Nun platzt der - noch unbestätigte - Vorwurf herein, seit den 1990er Jahren seien geheime Absprachen getroffen worden, die zum Beispiel die Preise für Verbraucher künstlich hoch gehalten haben könnten.
Autobauer könnten auch ihre Macht über Zulieferer genutzt haben, um gemeinsam Einkaufspreise zu drücken. Und vor allem: Begünstigte das Kartell womöglich die Entstehung der Diesel-Affäre? Branchenfachmann Stefan Bratzel betont: "Für die Diskussion um Fahrverbote, Nachrüstungen von Dieselfahrzeugen sowie rückläufige Diesel-Neuzulassungen leistet das Kartell einen Bärendienst."
Firmen schweigen bisher
Was soll geschehen sein? Dem Bericht des Nachrichtenmagazins zufolge sollen Vertreter von Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Jahre im Verborgenen eine gemeinsame Linie in Fragen der Technik und Kosten festgelegt haben. Die Firmen selbst äussern sich bislang nicht dazu oder sprechen von "Spekulationen". Auch das Bundeskartellamt will den Fall nicht kommentieren - verweist aber darauf, dass es im Sommer 2016 Durchsuchungen wegen des Verdachts von Preisabsprachen beim wichtigen Auto-Rohstoff Stahl gab. Der Stein des Anstosses?
Die Grünen, die Verkehrsminister
Laut "Spiegel" könnte es eine Verbindung zwischen der Abgas-Affäre und dem Kartell-Krimi geben. Demnach einigten sich die Autobauer auf besonders kleine AdBlue-Tanks - und damit auf eine möglichst billige Reinigungstechnik. Das spezielle Harnstoffgemisch AdBlue hilft, schädliche Stickoxide in Wasserdampf und Stickstoff aufzuspalten.
Wasser auf den Mühlen der Kritiker
Der Verdacht: Mit günstigen und (zu) kleinen Tanks sei eine hinreichende Abgasreinigung nicht machbar gewesen. Ein Problem, das Ingenieure kreativ werden liess. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz warnte: "Es wäre ein gigantischer Betrug zu Lasten der Kunden und der oftmals mittelständischen Zulieferunternehmen."
Es wäre jedenfalls weiteres Wasser auf die Mühlen der Dieselkritiker. Die Beratungsfirma EY meldete für die Dieselverkäufe bereits im Juni einen Einbruch um 19 Prozent. Experten der Deutschen Bank warnten: "Will die Industrie weiter auf die Diesel-Technologie setzen, muss sie die Schadstoff-Problematik im realen Fahrbetrieb in den Griff bekommen." Ein "Diesel-Gipfel" am 2. August sollte hier eigentlich Lösungen suchen. Grünen-Politiker Krischer fragt aber: "Macht vor dem Hintergrund der Kartellvorwürfe dieses Treffen überhaupt noch Sinn?"
Neben dem Imageschaden könnte ein Kartell für die beteiligten Hersteller unmittelbar Geld kosten. Die Behörden können Strafen von bis zu zehn Prozent des letzten Jahresumsatzes verlangen. Bei Volkswagen lag der Erlös im vergangenen Jahr bei 217 Milliarden Euro, Daimler kam auf 153 Milliarden Euro, BMW erzielte einen Umsatz von 94 Milliarden Euro. Theoretisch sind also Milliardenbussen möglich.
Schlechterer technischer Stand?
Hinzukommen könnten Schadenersatz-Klagen von Zulieferern und Käufern. Grundsätzlich könnten Autofahrer versuchen, gegen das mutmassliche Kartell zu klagen, erklärt Christian Kersting, Fachjurist an der Universität Düsseldorf. "Die Frage ist, ob Autos durch mögliche Kartellabsprachen auf einem schlechteren technischen Stand verkauft wurden, als sie hätten sein können. Das könnte ein argumentativer Ansatz sein." Allerdings sei es vor Gericht sehr schwer, hier einen Schaden nachzuweisen.
ADAC-Präsident August Markl will hier rasch Fakten schaffen: "Jetzt muss schnell aufgeklärt werden, ob und wie sehr die Verbraucher durch dieses Vorgehen geschädigt worden sind", sagte er der "Bild am Sonntag". "Danach müssen Behörden und Gerichte entscheiden." © dpa
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