Pendeln kann zur nervlichen Belastung werden. Frei nach dem Motto: Entspannen Sie schon oder pendeln Sie noch? Oder ist es am Ende nur eine Frage der inneren Einstellung? Darüber haben wir mit dem Arbeitspsychologen Hannes Zacher gesprochen.

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Pendeln kann an die Nerven gehen: Etwa dann, wenn man morgens im Stau feststeckt und weiss, dass man es nicht mehr rechtzeitig zu dem wichtigen Meeting schaffen wird. Oder wenn der Zug auf dem Heimweg ausfällt und man mit vielen anderen Pendlern an einem Bahnhof strandet. Doch auch der ganz normale Pendelalltag geht langfristig an die Substanz.

Knapp 18,4 Millionen Menschen in Deutschland pendeln laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), die Tendenz ist weiter steigend. Dabei beträgt die durchschnittliche Pendeldistanz 16,8 Kilometer. Sogenannte Fernpendler wohnen im Schnitt 55 Kilometer vom Arbeitsort entfernt.

Welche körperlichen und psychischen Auswirkungen hat das Pendeln? Darüber haben wir mit Hannes Zacher, Arbeitspsychologe der Universität Leipzig, gesprochen.

Herr Zacher, welchen Einfluss hat das Pendeln langfristig auf die Gesundheit?

Hannes Zacher: Pendeln ist ein zweischneidiges Schwert in Bezug auf die Gesundheit. Es kann sich ab einer bestimmten Dauer und damit einhergehender Belastung negativ auf die physische und psychische Gesundheit auswirken.

Von welcher Dauer sprechen wir?

Einige Studien zeigen, dass Pendeln bei vielen Erwerbstätigen ab 45 Minuten oder mehr pro Strecke problematisch wird. Aber wann Pendeln für den Einzelnen genau zur Belastung wird, hängt auch von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand ab.

Welche Beschwerden sind möglich?

Neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rückenschmerzen kann Pendeln auch zur psychischen Erschöpfung und Schlafstörungen führen.

Sie sprachen davon, dass Pendeln ein zweischneidiges Schwert sei. Was sind die positiven Aspekte?

Pendeln kann auch mit einem Gefühl der Selbstverwirklichung einhergehen. Für viele Menschen ist es wichtig, an einem anderen Ort ihrem Traumjob nachgehen zu können und gleichzeitig am Ort ihrer Wahl, beispielsweise auf dem Land, zu wohnen.

Häufig sind es ja gefragte Fachkräfte, die weitere Strecken pendeln. Diese positiven Folgen vom Pendeln können die negativen Folgen zum Teil kompensieren.

Ist Pendeln also auch eine Frage der inneren Einstellung?

Wir wissen, dass Personen, die freiwillig zu ihrem Arbeitsort pendeln, obwohl sie auch am Arbeitsort wohnen könnten, weniger durch das Pendeln beansprucht werden als unfreiwillige Pendler. Das hat mit dem Gefühl zu tun, Kontrolle über die eigene Lebenssituation zu haben.

Also entscheidet das Gefühl, die Kontrolle behalten zu können, darüber, wie man das Pendeln bewertet?

Die psychologische Forschung zeigt, dass Kontrollempfinden ein wichtiger Schutz vor negativen Konsequenzen von Belastungen ist, sei es durch das Pendeln, bei der Arbeit oder im Privatleben.

Ob und wie stark Pendeln zu negativen Folgen für die Gesundheit führt, hängt deshalb auch zum Teil von der Einstellung ab. Es gilt, das Beste aus der Situation zu machen.

Wann wird das Pendeln zur Belastung?

Für viele Menschen, insbesondere Frauen, die nach wie vor den Grossteil der Hausarbeit und Kindererziehung übernehmen, kann die zusätzliche Zeit, die für das Pendeln aufgewendet werden muss, zu einem wahrgenommenen Konflikt zwischen Beruf und Privatleben führen. Das gleiche gilt für Wochenendpendler, die unter der Woche nicht bei ihrer Familie sein können.

Pendeln mit dem Auto oder mit dem öffentlichen Nahverkehr: Welche Variante löst weniger Stress aus?

Das ist generell schwer zu sagen und individuell auch unterschiedlich. Beim Autofahren müssen sich Pendler sehr stark auf den Verkehr konzentrieren und die Unfallwahrscheinlichkeit ist besonders in den Morgen- und Abendstunden erhöht.

Dazu können Staus, Raser und Drängler auf der Autobahn kommen. Andererseits ist die wahrgenommene Kontrolle bei Autopendlern tendenziell höher, da sie nicht auf einen Fahrplan angewiesen sind.

Beim öffentlichen Nahverkehr führen insbesondere Zugverspätungen oder -ausfälle zu Stress. Und in den Wintermonaten sind Pendler im Nahverkehr häufiger erkältet. Dafür ist es im Nahverkehr eher möglich, ein Buch zu lesen oder Emails am Laptop zu beantworten.

Welche Tipps geben Sie Pendlern?

Generell ist aktives Pendeln besser für die Gesundheit als passives Pendeln. Mit aktivem Pendeln meine ich, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren oder zu Fuss zu gehen, falls das möglich ist.

Weiterhin ist es sinnvoll, die Monotonie zu unterbrechen und die wahrgenommene Kontrolle zu erhöhen, indem man Musik oder Hörbücher hört, etwas lernt oder sogar Arbeitsaufgaben erledigt.

Wie kann man gut mit unvorhergesehenen Ereignissen, also beispielsweise Stau oder einem Zugausfall, umgehen?

Generell sollte man sich bei Ereignissen, die sich nicht kontrollieren lassen, wie etwa Staus oder Zugverspätungen, nicht aus der Ruhe bringen lassen. Dabei hilft auch, einen Plan B zu haben, wie beispielsweise bei einem Zugausfall ein Taxi mit anderen Pendlern zu teilen.

Wie wichtig ist ein Ausgleich zum Pendeln?

Wenn Sie beim Pendeln sitzen, ist es wichtig, einen Ausgleich durch Sport zu schaffen. Eventuell ist es möglich, zumindest einen Teil der Strecke zu Fuss oder mit dem Fahrrad zurückzulegen oder morgens oder abends Sport zu treiben.

Müssen auch die Arbeitgeber umdenken?
Arbeitgeber müssen sich stärker auf die wachsende Zahl der Pendler, viele davon gefragte Fachkräfte, einstellen und sie unterstützen.

Viele Mitarbeiter von Google und Apple, die in San Francisco wohnen, werden beispielsweise mit firmeneigenen Bussen ins Silicon Valley gefahren.

Welche konkreten Massnahmen sind sinnvoll?

Arbeitgeber können Pendler entlasten, indem sie ihnen, soweit dies möglich ist, erlauben, an einem oder mehreren Tagen pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten.

Viele Arbeitsaufgaben lassen sich heute auch aus dem Homeoffice erledigen. Allerdings ist die Anwesenheit am Arbeitsplatz in vielen Branchen nach wie vor wichtig. Und viele Beschäftigte gehen auch gerne zur Arbeit, um Kontakt zu anderen Menschen zu haben.

Meetings sollten nicht zu früh angesetzt werden, um Auto- und Zugpendler bei Staus und Verspätungen nicht unter Druck zu setzen. Generell sind flexible Arbeitszeiten, soweit dies eben möglich ist, sinnvoll.

Aktiven Pendlern, die mit dem Fahrrad zu Arbeit kommen oder joggen, könnten Duschräume zur Verfügung gestellt werden. Falls Pendler im Zug Arbeitsaufgaben erledigen können, wäre es möglich, das Pendeln oder zumindest einen Teil der Strecke als Arbeitszeit anzuerkennen.

Arbeitgeber könnten es auch unterstützen, dass ihre Mitarbeiter Fahrgemeinschaften bilden - beispielsweise über eine Mitfahrbörse im Intranet.

Hannes Zacher ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Institut für Psychologie der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Fachgebiete Arbeits- und Organisationspsychologie.
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