Im Jahr 2016 standen bei VW Teile der Produktion wegen eines Streits mit dem Zulieferer Prevent still. Danach liess der Konzern offenbar Mitarbeiter des Partners beschatten. Laut VW war die Massnahme legal – womöglich aber etwas übertrieben.
Spionage oder normale Vorsichtsmassnahme? Der offiziell beigelegte Streit zwischen Volkswagen und dem Automobilzulieferer Prevent findet durch den jüngsten Vorfall neue Nahrung. Laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ auf Basis von Unterlagen eines Sicherheitsunternehmens liess der VW-Konzern den Zulieferer über seine Rechtsanwaltskanzlei Hogan Lowells von Privatdetektiven beschatten.
Die Detektive ermittelten auch Privatadressen
Die Überwachungsmassnahme lief ab März 2017 unter der Bezeichnung „Projekt Herzog“. Insgesamt waren 37 Mitarbeiter des Zulieferers von der Überwachung betroffen. Dazu zählen Mitglieder der Eigentümerfamilie, Vorstände von Tochterfirmen und Anwälte von Prevent. Privatadressen wurden zum Teil ebenfalls ausgekundschaftet.
Laut VW war alles rechtens
VW bestreitet die Vorwürfe nicht und verweist auf die Rechtmässigkeit der Überwachungsmassnahmen. „Nach unseren Erkenntnissen sind die Recherchen von dem Dienstleister stets im Rahmen der rechtlichen Vorschriften durchgeführt worden“, so ein VW-Sprecher gegenüber der Bild am Sonntag. Unter der Hand hiess es jedoch aus Unternehmenskreisen, dass die Ermittlungen vielleicht „über das Ziel hinausgeschossen“ seien. Der neue Konzernchef von VW, Herbert Diess, soll eine interne Aufklärung des Sachverhalts angeordnet haben.
Gründe für die Überwachung liegen zwei Jahre zurück
Auslöser für die Überwachungsaktion war sehr wahrscheinlich eine Auseinandersetzung zwischen dem Zulieferer und dem Autokonzern im Jahr 2016, die zu zeitweiligen Produktionsausfällen bei VW geführt hatte. Zwei sächsische Tochterunternehmen der Prevent-Gruppe hatten tagelang fällige Lieferungen von Getriebeteilen und Sitzbezügen zurückgehalten. Anlass war ein von VW bei Prevent stornierter Grossauftrag. Aus Sicht von Prevent musste VW dafür eine millionenschwere Entschädigung zahlen. Der VW-Konzern weigerte sich. Mit dem Lieferboykott wollte Prevent seinen Forderungen Nachdruck verleihen.
Im August 2016 einigten sich VW und Prevent schliesslich. Prevent hatte sich überwiegend durchgesetzt: VW nahm die Kündigung des Grossauftrags teilweise zurück. Die Zusammenarbeit zwischen dem Konzern und dem Zulieferer wurde um sechs Jahre verlängert. Beide Unternehmen verzichteten gegenseitig auf Schadensersatzansprüche – was für VW bedeutet, dass sie auf den über 100 Mio. Euro Umsatzverlust durch den Produktionsausfall sitzen bleiben. Prevent verpflichtete sich im Gegenzug zu einer Vertragsstrafe in Millionenhöhe für den Fall eines zukünftigen Lieferboykotts. Ausserdem wurde ein zweiter Zulieferer für die Prevent-Aufträge ins Boot geholt.
Wie die nun aufgedeckten Ausspähungen zeigen, war mit dieser Einigung zwar die Geschäftsbeziehung gekittet. Doch Misstrauen beherrscht offenbar weiterhin die Beziehung zwischen VW und Prevent. © 1&1 Mail & Media/ContentFleet
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