Verkehrsregeln sind wichtig für die Sicherheit auf unseren Strassen. Dennoch missachten sie viele Verkehrsteilnehmer regelmässig, obwohl die meisten allgemein bekannt sind. Aber warum ist das so? Der TÜV Nord ist auf der Suche nach den Ursachen. Die Ergebnisse sind erstaunlich.
Bei einer roten Ampel hält man an, bevor man abbiegt betätigt man den Blinker und bei einer nicht geregelten Kreuzung gewährt man Vorfahrt – die meisten Verkehrsregeln dürften jedem Verkehrsteilnehmer gut bekannt sein. Warum sehen wir dann trotzdem tagtäglich Menschen über rote Fussgängerampeln laufen, Autofahrer, die den Blinker praktisch nie betätigen und welche, die regelmässig in der Gelbphase einer Verkehrsampel aufs Gas drücken? An stark befahrenen Kreuzungen in der österreichischen Hauptstadt Wien etwa beobachteten Sicherheitsforscher vor einigen Jahren, dass fast zwei Drittel der Pkw-Fahrer vor dem Abbiegen nicht blinkten. Und: Jeder zehnte Fussgänger überquerte trotz beginnender Rotphase auf der Fussgängerampel noch die Strasse.
Das Einhalten von Verkehrsregeln ist eine soziale Frage
Vor dem Hintergrund, dass alleine in Deutschland Jahr für Jahr rund 3.000 Menschen im Strassenverkehr sterben, erscheint ein solches Verhalten umso nachlässiger. Für Dr. Ralf Buchstaller vom TÜV Nord ist die Sache klar: "Fahrer ebenso wie Fussgänger glauben oft fälschlich, die Situation einschätzen zu können, übersehen aber andere Verkehrsteilnehmer." Auf die Frage, warum es auf der anderen Seite auch Menschen gibt, die auf der Strasse das genau gegenteilige Verhalten an den Tag legen – also immer rechtzeitig abbremsen, blinken und keine Rotphasen missachten – hat der promovierte Psychologe auch eine Antwort: "Wenn sich die Mehrheit an die Regeln hält, tun wir es auch, um nicht unangenehm aufzufallen oder gar ins gesellschaftliche Abseits zu geraten." Es sind also soziale Normen, die nicht nur unser Verhalten prägen, sondern auch nach und nach zu unseren Überzeugungen werden.
Gesellschaft und Geschlecht machen den Unterschied
Bei einer Onlinebefragung aus dem Jahr 2016 kam heraus, dass Österreicher, Kanadier und Niederländer offenbar am seltensten regelwidriges Verhalten im Strassenverkehr an den Tag legen. Während Deutschland und die USA bei der Studie noch im Mittelfeld landeten, bildeten Ägypten, Algerien und Tunesien die Schlusslichter. Die Ergebnisse korrelierten darüber hinaus mit der Anzahl der jährlichen Verkehrstoten, die das jeweilige Land aufzuweisen hatte. Das Fazit der Forscher: Das Verhalten auf der Strasse spiegelt auch den Entwicklungsstand der Länder wider. Ist regelwidriges Verhalten auf der Strasse also nur eine Frage der gesellschaftlichen Entwicklung?
Keineswegs: Denn in den Ländern mit kleiner Verkehrsmoral herrschten häufiger wärmere Temperaturen. Diverse Studien haben ergeben, dass Menschen aggressiver und unbeherrschter reagieren, wenn es draussen heiss ist. Und auch das Geschlecht scheint mal wieder eine Rolle zu spielen: Typisch männliche Eigenschaften wie dominantes und wenig nachgiebiges Verhalten, sowie die stark bei maskulinen Individuen ausgeprägte Abenteuerlust – unter Psychologen als "Sensation Seeking" bekannt – führt nachweislich zu einem risikoreichen Verhalten im Strassenverkehr.
Auch die Kultur prägt das Verhalten
Unabhängig von Männlein oder Weiblein haben die Verkehrsforscher auch die jeweilige Kultur beziehungsweise das Herkunftsland als wichtigen Faktor ausgemacht: Während etwa bei einer Beobachtung von 5.000 Fussgängern in Japan nur zwei Prozent bei Rot über die Ampel gingen, waren es bei gleichen Bedingungen in Frankreich ganze 42 Prozent. "Menschen in westlichen Kulturen orientieren sich weniger an Regeln und hierarchischen Strukturen", erläutern die Forscher beim Blick auf dieses Ergebnis. In Japan wollten Menschen auch vor völlig Fremden keinen schlechten Eindruck hinterlassen.
Ein Experiment in den USA zeigte wiederum, dass drohende Strafen wie etwa der Führerscheinverlust in westlich geprägten Kulturen durchaus ein gewünschtes Verhalten hervorrufen können. Beim Installieren einer Radarfalle auf einer Kreuzung verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fahrer während der gelben Ampelphase stoppte. © 1&1 Mail & Media/ContentFleet
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