Mainz (dpa) - Kinderpornos, Enthauptungen, Hungerwettbewerbe: Seit 20 Jahren kämpfen die Mitarbeiter von jugendschutz.net von Mainz aus gegen jugendgefährdende Inhalte im Internet. Dabei ist die Zahl der Texte, Bilder, Audios und Videos, die gegen den Jugendschutz verstossen, unüberschaubar.
"Alles im Blick behalten konnten wir noch nie, weil das Angebot im Internet unbegrenzt ist", sagte der Leiter Friedemann Schindler im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Wer etwa bei Google nach Porn (Pornografie) sucht, erhält derzeit mehr als 1,8 Milliarden Treffer.
Die Internet-Fahnder von jugendschutz.net konzentrieren sich deswegen auf diejenigen Angebote, die gezielt junge Nutzer ansprechen und die eine besonders grosse Reichweite haben. "Wir gehen nicht nur gegen einzelne Inhalte vor - unser Ziel sind strukturelle Verbesserungen", sagte Schindler. Internationale Grossanbieter wie Youtube und Facebook müssten bestimmte Inhalte untersagen und den Beschwerdemechanismus so regeln, dass gefährdende Inhalte schnell verschwinden.
Angefangen hat die bundesweite Einrichtung mit anderthalb Stellen. Heute sind es 50. Wegen der oft krassen Bilder gibt es für die Mitarbeiter regelmässige Überwachung, Notfallpläne und das Angebot, eine Trauma-Fachberaterin zu sprechen. "Bei uns besteht immer die Gefahr von Traumatisierung", sagte Schindler. Einige Mitarbeiter hätten die Konfrontation nicht ertragen können und die Einrichtung verlassen.
"Im Extremfall sehen wir Propaganda-Videos mit massenhaften Enthauptungen und Vergewaltigungen von kleinen Kindern. Die Wirkmacht solcher Darstellungen erleben wir täglich", sagte Schindler. Schlimm sei auch die Situation der Ohnmacht, wenn Kinder im Internet Selbstverletzungen und Suizide androhen. "Man kann nicht immer etwas tun."
In den vergangenen Jahren hinzugekommen zum Aufgabenbereich der Internet-Fahnder sind zum Beispiel Hungerwettbewerbe und die Verherrlichung von Selbstgefährdungen. Auch werden Legal Highs beworben, also neue Drogen, die noch nicht geprüft und als gefährlich eingestuft sind. "Das wird gezielt an Jugendliche vermarktet, auch mit Probepäckchen", sagte Schindler. Der sogenannte Islamische Staat (IS) spreche ebenfalls gezielt Kinder an.
Wichtigste Aufgabe sei, die jugendgefährdenden Inhalte möglichst rasch verschwinden zu lassen, sagte Schindler. "Bei drei Viertel der Verstösse gelingt uns das schnell." So seien die Mitarbeiter bei Youtube zum Beispiel sogenannte Trusted Flagger, also vertrauenswürdige Markierer - deswegen lösche die Videoplattform das beanstandete Angebot normalerweise innerhalb von einer Stunde.
Ein wichtiges Stichwort ist für Schindler das Safety by Design, also Sicherheitsmassnahmen, die schon bei der Entwicklung eingebaut werden. "Derzeit werden viele Dienste auf den Markt geschmissen und dann stellt man fest: Huch, da sind ja auch Kinder." Da sei mehr Vorausschau nötig, um gleich Konfigurationseinstellungen für Kinder und Beschwerdemechanismen mit einzubauen.
Grosse Dienste seien mittlerweile auch in der Lage, das Hochladen derjenigen Bilder, die wegen Verstössen schon einmal gelöscht worden sind, zu verhindern. Seine Kollegen testeten derzeit eine Texterkennung von Facebook sowie eine Foto-DNA von Microsoft, welche bekannte Hassinhalte identifizieren kann. "Zum Beispiel wird dabei eine Gaskammer gezeigt mit der Anzahl der Kalorien, die durch die Verbrennung eines Juden erzeugt werden."
Eines ist sicher: Die Arbeit wird Schindler und seinen Kollegen nicht ausgehen. Die schrecklichen Bilder motivierten sie immer wieder, mit vollem Einsatz gegen Hass, Gewalt und Ausbeutung vorzugehen, sagte Schindler. "Wir sehen uns als Mahner und Anwalt von Kindern im Netz."
Der gesetzliche Auftrag dazu ist im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) verankert. Das Jahresbudget von jugendschutz.net liegt bei rund 3,5 Millionen Euro. Davon kommen zwei Drittel vom Bund, ein Drittel von den Ländern. © dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.