Zehntausende User sind für das angebliche Nutzen der Internet-Streamingseite "redtube.com" abgemahnt worden. Jetzt kommen Details ans Licht, wie die Rechteinhaber der Pornofilme an die Daten der Abgemahnten gekommen sind. Und die offenbaren viel Seltsames und Fragwürdiges.
Chan-Jo Jun, IT-Anwalt aus Würzburg, bringt die Sache so auf den Punkt: "Da muss man nicht Jura studiert haben, um zu sehen, dass das eine Riesensauerei ist." Recherchen unter anderem der Onlinedienste "heise.de" und "chip.de" lassen den Schluss zu, dass der angeblich geschädigte Rechteinhaber "The Archive" aus der Schweiz die Nutzer selbst auf die Schmuddelfilme gelotst haben könnte. Für deren Betrachten wiederum fordern die Abmahnanwälte U+C in jedem Einzelfall mindestens 250 Euro.
Ein sehr wahrscheinliches Szenario sieht aus Sicht der IT-Experten so aus: Am 14. März 2013 registriert der Rechteinhaber "The Archive" in den USA eine Domain namens "itguards.net". Eine Woche später wird laut Chip-Recherchen durch das amerikanische Unternehmen "Business Filings Incorporated", das auf die Registrierung von Briefkastenfirmen spezialisiert ist, in Delaware ein Unternehmen "itGuards Incorporated" gegründet. Für die Verknüpfung von "The Archive" und "itguards" spricht, dass beide Seiten beim selben Provider erstellt wurden, noch dazu mit dem gleichen Benutzeraccount. Mit Hilfe einer speziellen angeblich von "itguards" erstellten Software, begründen die Anwälte des Rechteinhabers später den Antrag auf Herausgabe der Nutzerdaten anhand der IP-Adressen. Dem kommt das Landgericht Köln nach.
Christoph Elzer von "chip.de" sieht hier weitere Merkwürdigkeiten. Es sei "technisch absolut unmöglich", dass "The Archive" auf dem von ihnen angegebenen Weg an die IP-Adressen der Nutzer gekommen ist. Wie aber dann? Laut verschiedenen Betroffenen, die sich in Internetforen austauschen, fanden sich im Browser-Verlauf der besuchten Seiten recht ähnlich klingende Domains zu "redtube", wie beispielsweise "retdube.net". Diese Domain wurde erst am 21. Juli 2013 registriert. Gerade einmal drei Tage vorher hat "The Archive" die Rechte an den betroffenen Pornofilmen erworben, für welche später kostenpflichtige Abmahnungen verschickt wurden.
Datenschutz ausgehebelt?
Da die ähnlich klingenden Domains in Panama registriert sind, wo praktisch keinerlei Daten des Domaininhabers erhoben werden, lässt sich nicht zweifelsfrei die Verbindung zu "The Archive" klären. "Wir haben keinen einzigen harten Beweis dafür", unterstreicht Elzer. Es würde aber erklären, wie der Rechteinhaber an die IP-Adressen gekommen ist. Von der falschen Seite wurden die Nutzer dann möglicherweise weitergeleitet auf die später abgemahnten Filmchen. Branchenkenner vermuten, dass dies mittels gekaufter Werbebanner passierte. Die gibt es im Tausenderpack schon ab rund einem Euro.
Fachanwalt Udo Vetter findet für das sich bisher abzeichnende Bild klare Worte: "Es riecht nach Täuschungs- und Betrugsvorsatz". Eventuell sei mit technischen Manipulationen der Datenschutz der Bürger ausgehebelt worden. "Und das geht weit über das hinaus, was man als legale Ermittlungsmethoden nutzen dürfte", fügt er an. Hier seien vermutlich Köder platziert worden, um die Nutzer dann auf die abgemahnten Filme zu bringen. Dies wertet er als einen "schlüssigen Verzicht" auf das Urheberrecht. Und noch mehr: "Als cleverer Staatsanwalt würde ich da durchaus einen Anfangsverdacht auf schweren gewerbsmässigen Betrug sehen." Dies hätte nach seinen Angaben durchaus auch gravierende Folge für die Abmahnanwälte von U+C. In einem Fall von Gewinnspiel-Abofallen habe der Bundesgerichtshof einen Anwalt wegen strafbarer Nötigungsversuche verurteilt.
Redtube droht mit Schadenersatz
Ärger droht auch seitens des Pornoseiten-Betreibers. Wie "Redtube" in einer Mitteilung unterstreicht, seien die Daten der Nutzer selbstverständlich nicht an Anwälte oder ähnliche Einrichtungen weitergegeben worden. Offenbar wurden die IP-Daten über "unehrliche Massnahmen" erhoben. Redtube biete den Nutzern höchste Datenschutzstandards, unterstreicht das Unternehmen. "Im Jahr 2013 sollten Erpressung und Verletzung der Privatsphäre von deutschen Bürgern nicht toleriert werden. Und sie werden es auch nicht.", heisst es. Als Konsequenz kündigt "Redtube" an, den eigenen Juristen das Mandat zu erteilen und von allen verbundenen Unternehmen im Zusammenhang mit der Abmahnung – also "The Archive" und deren Anwälten - Schadenersatz zu verlangen.
Vetter hält wie viele Kollegen die Ansprüche von U+C für nicht durchsetzbar. "Ich sehe nicht wie Gerichte so etwas durchwinken könnten", kommentiert er. Andernfalls falle Deutschland im Bezug auf das Internet faktisch zurück auf den Stand des Irans oder Nordkoreas. Denn wenn das Streaming von Pornofilmen illegal sei, würden auch Plattformen wie "YouTube" mit harmloseren Inhalten zu einem "gefährlichen Freizeitvergnügen". Insofern kann Vetter die Nutzer von Streamingseiten beruhigen: "Ich sehe da momentan keinen Anlass für Panikmache."
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