Zehn Jahre nach der Vorstellung des ersten iPhones hat Apple ein grosses Problem: Einen klaren Plan, wie er einst zu Steve Jobs' Zeiten erkennbar war, sucht man heute vergeblich. Tim Cook hat es verpasst, die einfache Formel seines Vorgängers in die Gegenwart zu transportieren. Noch ist nichts verloren. 2017 hat Tim Cook noch die Möglichkeit den Konzern wieder auf Kurs zu bringen. Doch verpasst er die Chance, blickt Apple in eine trübe Zukunft.

Marinus Brandl
Ein Kommentar

Was würde Steve Jobs denken, wenn er heute einen Blick in den Apple Store werfen würde? Sehr wahrscheinlich würde ihm nicht gefallen, was er sieht: Vom Plan, mit dem er einst Apple aus seiner grössten Krise geführt hatte, ist nicht mehr viel übrig. Jobs einfache Formel kann man heute ungefähr so zusammenfassen:

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  • Baue ein bis zwei Einstiegsprodukte. Diese müssen hochwertig, aber einfach zu bedienen sein. Vermittle zudem das Gefühl von 'Exklusivität'. So führst du Kunden auch an hochpreisige Hardware heran.
  • Entscheide für den Kunden, indem du das Angebot an Geräten auf das Minimum beschränkst.
  • Mach, dass es hübsch aussieht und träume gross. Ein hübsches Gerät ist mehr als ein Gebrauchsgegenstand, es ist ein Lebensgefühl. Und dein Traum von heute ist vielleicht der grosse Durchbruch von Morgen.

Von diesen Leitsätzen haben sich Apple und sein Chef Tim Cook seit dem Tod von Steve Jobs im Jahr 2011 inzwischen weit entfernt. So weit sogar, dass es auch den eingefleischtesten Apple-Jüngern auffällt. Apple fehlt das gewisse Etwas, der Glanz vergangener Tage – und das hat viel mit Jobs anscheinend in Vergessenheit geratener Vision zu tun.

2017 wird deswegen für Apple zum Schicksalsjahr. Viele Dinge werden sich dieses Jahr ändern und ändern müssen, quer durch alle Produktreihen – von den iPhones über die iPads bis hin zu den Macs. Und dieses Jahr, mit dem zehnjährigen Jubiläum des iPhones, hat der Konzern die Chance, die Weichen für eine weiterhin erfolgreiche Zukunft zu stellen.

Dafür müssen sich folgende Dinge ändern.

Das iPhone 7 zündet nicht – ändert das beim iPhone 8!

Die iPhone-Produktreihe der vergangenen Jahre war so vorhersehbar wie die nächste Deutsche Meisterschaft für Bayern München. Ein neues iPhone mit neuer Nummer kommt im einen Jahr, im drauffolgenden Jahr dann sie "s"-Variante mit etwas verbesserter Technik. Doch dieser Zyklus reicht nicht mehr: Das iPhone 7 verkauft sich nicht so gut wie seine Vorgänger und bleibt hinter den Erwartungen zurück. Und das wird für Apple absehbar zum Problem, denn das Smartphone und der daran angebundene App-Store sind die Cash-Cows für den Konzern. Deswegen wird Apple 2017 etwas ändern – mit dem iPhone 8.

Zum Jubiläum des ersten iPhones erwarten die Kunden mehr von Apple – einen grossen Wurf, wie er Steve Jobs gelungen ist. Und die Chancen stehen gut. Eine neue Nummer bedeutet in der Regel auch ein neues Aussehen für das Smartphone. Hier sollte Chef-Designer Jony Ive sicher noch was in der Schublade haben, sei es mehr Glas oder eine schlankere Linie – oder etwas völlig verrücktes und noch nicht da gewesenes.

Auch auf technischer Seite dürfte Apple noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Da sind sicher noch ein paar technische Gimmicks dabei, ohne die wir als Kunden in Zukunft nicht mehr leben möchten. Deswegen: Träum gross, Apple! Und vor allem: Mach es hübsch!

Räumt bei den iPads auf!

Als Steve Jobs im Jahr 2010 das erste iPad der Weltöffentlichkeit präsentierte, spaltete sich das Publikum in zwei Lager: "Wer braucht das?" und "Ich will das!".

Inzwischen wissen wir, dass die "Ich will das"-Fraktion das iPad zum nächsten grosse Erfolg gemacht hat, doch auch hier lassen die Verkaufszahlen nach. Der Grund: Es gibt zu viel Angebot. Im Moment konkurrieren 5 iPad-Varianten (iPad Pro 9,7 und 12,9 Zoll, iPad Air 2, iPad mini 4 und mini 2) um die Gunst der Käufer. Der Druck auf die mini-Modelle wird zudem durch das iPhone 7 Plus noch erhöht.
Auch hier bietet Jobs' Formel die Lösung: Apple muss den Kunden zeigen, wohin der Weg gehen soll. Entweder man entscheidet sich für mehr Leistung und damit das iPad pro (muss sich daraufhin aber auch Gedanken über die Zukunft des Macs machen) oder man schafft mit dem iPad Air 2 oder dessen Nachfolger einen günstigeren Einstieg in die Apple-Welt und gewinnt damit neue Kunden für die hochpreisigere Apple-Hardware.

Baut endlich wieder Macs, mit denen man arbeiten kann!

Und wo wir gerade bei hochpreisiger Apple-Hardware sind: Auch bei seinen Rechnern muss Apple ausmisten. Alle Macs – mit Ausnahme des neuen Macbook Pro – sind technisch auf einem Steinzeitstand. Seit Jahren hat sich hier kaum mehr etwas getan. Die grosse Frage ist: Warum?

Hier muss Apple Klarheit schaffen: Entweder man bekennt sich zu seiner Rechner-Vergangenheit und setzt längst überfällige technische Updates auch konsequent um, oder man trennt sich von einigen Modell-Varianten, wie dem Mac mini oder der Mac Pro. Eines muss auch hier – ähnlich wie bei den iPads – deutlich werden: Hier geht die Reise hin.

Doch Vorsicht: Kapitale Fehler, wie bei der Einführung der USB-C-Ports des Macbook Pro, dürfen nicht passieren. Apple hat hier den Standard-USB-Anschluss durch ein neueres Modell mit kleinerem Stecker ersetzt. Die Folge: Kunden, die beispielsweise ein iPhone 7 kaufen, können das Smartphone nur mit einem zusätzlichen Adapter an ihrem brandneuen Mac laden. Das widerspricht der "Einfach zu bedienen"-Maxime von Steve Jobs. Deshalb: Wir wollen deine Rechner kaufen, Apple – allerdings ohne die hässlichen Adapter. Schliesslich wollen wir an einem durchgestylten Macbook oder iMac arbeiten und nicht an einem Rechner, der aussieht, als ob er an lebenserhaltende Massnahmen angeschlossen ist.

Apple fehlen die Einstiegsgeräte? Das wären ein paar Kandidaten!

Bleiben noch die "Sorgenkinder" iPod, Apple TV und Apple Watch. Eine kurze Analyse: Der iPod ist – wenn Apple seine Strategie mit Apple Music weiter verfolgt – in seiner jetzigen Form überflüssig geworden. Apple TV weiss nicht so recht wo es hin will. Einerseits vermarktet Apple die kleine Set-Top-Box als Spielekonsole und konkurriert dabei mit den Hausherren Nintendo, Sony und Microsoft. Andererseits will der Konzern damit das Fernsehen revolutionieren und muss sich dabei mit den überlegenen Konkurrenten Netflix, Amazon und Google messen lassen. Bei der Apple Watch hat man als Kunde den Eindruck, dass der Konzern selbst nicht weiss, was die Smartwatch am Ende sein soll – Lifestyle-Produkt, Fitness-Tracker oder medizinische Anwendung.

Deswegen sollte Apple hier radikale Änderungen vornehmen und diese drei Produkte zu Einsteiger-Modellen umbauen: Ein iPod mit integrierter SIM-Karte zum günstigen Preis wäre ein fantastisches Streaming-Device. Mit genügend Speicher ausgerüstet könnten neben Musik auch noch Filme offline gespeichert werden. Die Anbindung an den iTunes-Store gibt es ja bereits. Vielleicht findet sich über Apple Carplay ja auch ein vernünftiges Plätzchen im Auto der Zukunft?

Bei Apple TV müsste der Konzern seine Strategie überdenken: Ist eine Set-Top-Box wirklich nötig oder reicht nicht ein USB-Dongle, um den eigenen Fernseher in die Apple-Welt zu integrieren? Besitzer eines Macs könnten so den grossen Bildschirm direkt nutzen, Inhalte der Apple Cloud – beispielsweise Fotos – direkt auf dem TV angezeigt werden. Vielleicht gibt es dann auch einen Markt für einen echten Apple-Fernseher. Fang an zu träumen, Apple – und mach den Fernseher wirklich richtig hübsch!

Schliesslich die Apple Watch: Hier muss sich Apple entscheiden, was es will. Entweder wird die Uhr ein Fitness-Tracker – allerdings ist in diesem Segment die Konkurrenz fast unabsehbar gross – oder ein wirklich neuer Produkttyp, eine Art persönlicher Assistent. Gemeint ist ein kleines Alltaghelferlein, das mir den Weg zur nächsten Tankstelle zeigt, die Erinnerung an meinen nächsten Termin, mein Fahrtenbuch über Apple Carplay führt oder mir den aktuellen Spritverbrauch des Autos zeigt. Kunden müssen darauf keine Mails und Nachrichten lesen können, aber es muss so viel Mehrwert bieten, dass es sich nahtlos in den Alltag integriert. Definitiv müsste Apple aber an der Preisschraube drehen und die Zwangsverbindung zum iPhone kappen.

Es liegt viel Arbeit vor Apple – fangt an!

Die Baustellen bei Apple sind also gross – doch viele Lösungen liegen praktisch auf der Hand. Findet Tim Cook zu Jobs' Vision zurück, stellt sich auch der Erfolg wieder ein. Deswegen kann man Apple nur folgendes raten: Führt eure Kunden wieder an eure Geräte heran, mistet euer Line-Up aus – und vor allem: Träumt grosse Träume. 2017 ist Apples Schicksalsjahr.

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