Bonn (dpa/tmn) – Chatten, surfen, spielen, shoppen oder den Partner fürs Leben suchen: Mit dem Smartphone ist so einiges möglich. Das kann allerdings zum Problem werden.
Wer nicht aufpasst, wird zum Sklaven seiner Nutzungsgewohnheiten. Denn so wie Glücksspielautomaten oder Games manche Menschen abhängig machen, kann auch die Smartphone-Nutzung überhand nehmen.
Was dabei passiert, erklärt der Informatiker Alexander Markowetz, der an der Universität Bonn zum Thema digitaler Burnout geforscht hat: "Ich führe eine Handlung aus, und dann gibt es eine Überraschung." Die Handlung ist der Knopfdruck zum Aktivieren des Displays, die Überraschungen können vielfältig sein: Hat sich schon jemand mein Partyfoto angesehen? Gibt es Neuigkeiten? Das Warten auf die nächste Nachricht von Freunden, auf einen neuen Like bei Facebook oder das nächste Level beim Online-Game bestimmen dann den Rhythmus.
Der Körper schüttet dabei das Glückshormon Dopamin aus. Es sorgt dafür, dass wir immer wieder zum Display greifen. "Das ist maximale Belohnung mit minimalem Aufwand", erklärt Michael Knothe, Pressesprecher beim Fachverband Medienabhängigkeit, den Mechanismus.
Doch ist man gleich abhängig, nur weil man häufig auf sein Smartphone schaut? "Nein", sagt Kai Müller, der als Psychologe in der Spielsucht-Ambulanz des Mainzer Uniklinikum arbeitet. "Es gibt bestimmte Risikofaktoren, die Menschen mitbringen." Manche nutzen das Smartphone etwa zur Ablenkung in Stresssituationen oder drücken sich damit vor unangenehmen Aufgaben. "Sorgen machen sollte man sich dann, wenn sich alles ums Handy dreht und man auch schöne Tätigkeiten unterbricht, um aufs Display zu gucken", so Müller.
Die Beschäftigung mit dem Handy darf also nicht das Hobby beeinträchtigen oder soziale Kontakte ersetzen. Wer zwar stundenlang chattet, aber weiter in den Sportverein geht und die Schule schafft, habe eher kein Suchtproblem.
Anders als etwa Daddelautomaten oder Gaming-PCs kann man Smartphones überall mit hinnehmen. Es gibt also keine natürlichen Pausen mehr. Deshalb gilt: "Es ist wichtig, konkrete Auszeiten zu definieren", rät Psychologe Müller.
Denn auch wenn es keine Sucht ist: Übermässige Nutzung birgt Nachteile. "Wenn ich alle 20 Minuten auf mein Handy sehe, leiden meine Produktivität und mein Glücksempfinden", warnt Alexander Markowetz, der eine App namens Menthal entwickelt hat, die auf Handys das Nutzungsverhalten misst. Die Auswertungen sind nicht repräsentativ, haben aber eine gewisse Aussagekraft, weil die App auf 300 000 Smartphones läuft. Demnach sieht ein Nutzer im Schnitt 88 Mal täglich aufs Display, und in 53 Fällen folgt dann auch eine Aktion.
Folge: Die ständigen Unterbrechungen torpedieren die Konzentration, und die Arbeit fällt schwer. Anti-Yoga nennt Markowetz das: "Beim Yoga begibt man sich in eine orthopädisch wertvolle Position und fokussiert den Geist. Beim Smartphone-Surfen nehmen viele Menschen eine orthopädisch absurde Haltung ein und suchen die Zerstreuung."
Um die Nutzung in den Griff zu kriegen, braucht es also mehr Achtsamkeit und Selbstkontrolle. "Man kann ein Konsumtagebuch führen und aufschreiben, was man früher gern gemacht hat und gerne wieder mehr machen würde", schlägt Michael Knothe vor. Das hilft, einzuschätzen, wie viel Raum das Handy einnimmt und welche Alternativen es gibt.
Psychologe Müller empfiehlt, Offline-Tage einzulegen, an denen man die mobile Datennutzung ausschaltet. Und ins Bett oder an den Esstisch gehörten Handys sowieso nicht. Auch Apps können helfen: Neben Menthal geben zum Beispiel Anwendungen wie Checky, Offtime, Hypnobeep oder Qualitytime Rückmeldung über die Nutzungsgewohnheiten. Wer bestimmte Auszeiten einhält, bekommt eine Belohnung.
Markowetz rät ausserdem, den Griff zum Smartphone möglichst umständlich und überflüssig zu machen. Das bedeutet zum Beispiel: Armbanduhr und Wecker statt der entsprechenden Handyfunktionen nutzen und das Smartphone unterwegs in den Rucksack statt in die Hosentasche stecken.
Wer die Probe aufs Exempel machen will, versucht am besten einen ganzen Tag ohne das Gerät auszukommen, schlägt Kai Müller vor. Wenn das gut klappt, sei die Nutzung im Rahmen.
Kindern Handy-Alternativen bieten
Statt das Chatten und Surfen einfach zu verbieten, sollten Eltern ihrem Nachwuchs Alternativen anbieten - etwa in Form von Aktivitäten oder Ausflügen, rät Michael Knothe vom Fachverband Medienabhängigkeit. Dann falle Kindern und Jugendlichen der Verzicht leichter. Gleichzeitig dürften Eltern aber auch nicht lebensfremd handeln: Wenn etwa alle Klassenkameraden über Whatsapp kommunizieren, sei der eigene Nachwuchs ohne Smartphone oder mit Messenger-Verbot schnell aussen vor. "Eltern sollten auf die Vielfalt im Leben ihrer Kinder achten", fasst Knothe zusammen - und Vorbild sein: Wer beim Familienausflug selbst ständig am Handy hängt, wird sein Kind kaum zur digitalen Abstinenz bringen. © dpa
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