Am 5. Januar 2012 veröffentlichte eine geheime Organisation eine rätselhafte Nachricht im Internet. Wer die Botschaft entschlüsselt, soll zu einer kleinen Zahl ausgewählter Menschen gehören. Was der Verfasser dieser Aufgaben namens Cicada 3301 damit bezweckt, bleibt allerdings bis heute unklar. Verbirgt sich hinter dieser mysteriösen Gruppe nur ein PR-Gag oder vielleicht sogar der Geheimdienst?
Wer am 5. Januar 2012 auf der Website "4chan.org" unterwegs war, der wurde möglicherweise Zeuge eines mysteriösen Ereignisses. Ein Bild, das dort aufgetaucht war, entpuppte sich als der Beginn eines faszinierenden Mythos. Unter der Abbildung fand sich sowohl eine Nachricht als auch eine Signatur: Cicada 3301. Diese geheime Organisation suchte hochintelligente Menschen, die in der Lage waren, das von ihr gestellte Rätsel zu lösen. Das Rätsel versteckte sich bereits im Aufruf selbst: "Um sie finden zu können, haben wir einen Test kreiert. Es befindet sich eine versteckte Nachricht in dem Bild, das Ihnen vorliegt. Wer sie findet, wird auch gleich den Weg zu uns finden. Wir werden uns mit den wenigen treffen, die den Weg geschafft haben."
Dies war der Startschuss einer Herkulesaufgabe. Alle weiteren gestellten Geduldsspiele auf der Reise zur finalen Lösung waren ebenfalls mit 3301 unterzeichnet und reichten von versteckten Nachrichten in Bildern bis hin zu in literarische Texte integrierte Codes. Dan Browns "Sakrileg" und das Entziffern des Da Vinci Codes wurde plötzlich zur greifbaren Realität. Zumindest für diejenigen, die sich ihren Weg durch das verstohlene Wirrwarr von Cicada 3301 bahnen konnten.
Noch immer gibt es zahlreiche Foren, in denen man sich seitdem Gedanken zu den Rätseln von Cicada macht und entsprechend Lösungen für die tückischen Aufgaben sucht. So führte ein Bild zum nächsten und schliesslich zu einer Telefonnummer. Rief man diese an, erhielt man eine aufgezeichnete Sprachnachricht mit weiteren Anweisungen. Mit diesen Informationen gelangte man auf eine verschlüsselte Website, auf der das Bild einer Zikade und ein Countdown zu sehen waren. Nach Ablauf des Countdowns wurden weltweite Standorte bekanntgegeben – sowohl in den USA als auch in Europa – an denen man Plakate der Organisation finden konnte. Und so setzte sich die Rätselreise immer weiter fort. In manchen Foren gaben die in der Mission von 2012 erfolgreichen Codeknacker einzelne Stationen des grossen Rätsels bekannt.
Cicada 3301 spielte das Spiel weiter
Auf den Tag genau ein Jahr später folgte das nächste Lebenszeichen von Cicada 3301. Wieder handelte es sich dabei um ein Rätsel, wieder wurden hochintelligente Individuen gesucht. Im Jahr darauf, am 6. Januar 2013 und damit genau ein Jahr und einen Tag später, dann die dritte Nachricht der Geheimorganisation. Diesmal allerdings nicht auf der bisher genutzten Internetplattform, sondern bei Twitter. In diesem Rätsel rief Cicada 3301 zu einer Pilgerfahrt auf. 2015 pausierte die Organisation, 2016 ging das Spiel auf Twitter weiter. Doch das einzige Rätsel, das bisher tatsächlich gelöst wurde, war lediglich das erste. Und das ist alles andere als verwunderlich.
Die inhaltliche Reichweite der Cicada-Rätsel ist so weit gefasst, dass das Lösen der Aufgaben durch eine einzige Person nicht machbar erscheint. Die Knobeleien setzen sich aus den unterschiedlichsten Wissensbereichen zusammen. Komponist Johann Sebastian Bach ist ebenso Teil der Aufgaben wie Gemälde von William Blake oder die philosophischen Ansätze von Nietzsche, Sartre und Kierkegaard. Wer sich des Rätsels Lösung annähern möchte, muss sich mit Primzahlen, unterschiedlichen Chiffre-Arten und Faktorisierung auskennen. Wer hingegen keine Ahnung von Aleister Crowley oder dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz hat, wird vermutlich niemals zum Ziel gelangen.
Wo sich dieses befindet, ist ebenso unklar wie die Herkunft von Cicada 3301. Sicher ist nur, dass diejenigen, die in der Lage sind, die unfassbar komplizierten Aufgaben zu lösen, auch wissen müssen, was es mit Tor und dem Dark Web auf sich hat. Denn Informationen zu dieser aussergewöhnlichen Schnitzeljagd finden sich nicht nur im herkömmlich zugänglichen Internet.
Doch wer steckt hinter Cicada 3301?
Aufgrund der globalen Reichweite von Cicada 3301 wollen Experten ausschliessen können, dass es sich um eine einzelne Person handelt. Auch die Möglichkeit, dass eine Hackergruppe dahinter stecken könnte, wurde mittlerweile ausgeräumt, und zwar von Cicada selbst in einem öffentlichen Statement im Jahr 2012.
Die Theorien, wer wirklich hinter der geheimen Organisation steht, sind fast so zahlreich und verworren wie die Rätsel von Cicada 3301 selbst. Unter anderem könnte es sich um eine Firma handeln, die Mitarbeiter mit besonderen Kombinations- und Programmierkenntnissen sucht – oder um den gigantischen Coup einer PR-Firma.
Verschwörern zufolge steckt hinter Cicada 3301 der britische Nachrichtendienst GCHQ, der sich angeblich ähnlicher Mittel bedient, um geeignetes Personal zu finden. Im oscarprämierten Film "The Imitation Game" zeigt Benedict Cumberbatch in der Rolle des britischen Informatikers Alan Turing, wie er mittels einer verschlüsselten Zeitungsanzeige für seine Arbeit geeignete Personen rekrutiert. Dieser Methode bediente sich Turing bereits in den 1930er-Jahren. Dass sich daraus eine multimediale Schnitzeljagd zwischen virtuellem Raum und Realität entwickelt haben könnte, ist daher gar nicht so abwegig.
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