Berlin (dpa) - Die Werbetrommel wird schon kräftig gerührt, die grossen Sender riefen bereits zu bundesweiten Aktionstagen auf. Denn im kommenden Jahr könnten Fernsehzuschauer, die ihr TV-Signal über Antenne empfangen, vor einem schwarzen Bildschirm sitzen.
In der Nacht zum 29. März 2017 wird das Signal von DVB-T auf den neuen Standard DVB-T2 HD (Anzeige) umgestellt. Wer dafür nicht vorgesorgt und sich etwa eine zusätzliche Settop-Box besorgt hat, wird dann über das digitale Antennen-Fernsehen keinen Empfang mehr haben. Die Übertragungswege über Kabel oder Satellit sind von der Umstellung nicht betroffen.
"Was wir vermeiden wollen, ist, dass es in den Elektronik-Shops zu Engpässen und Gedränge kommt", sagt Stefan Schinzel vom Serviceprovider Media Broadcast, der den Umstieg für die TV-Sender organisiert. Insgesamt seien in Deutschland von der Umstellung 7,4 Millionen Haushalte betroffen. Vielfach dürften Antennen-Fernseher jedoch auch als Zweit- oder Drittgerät genutzt werden.
Mit der Umstellung wird es erstmals möglich sein, Fernsehen über Antenne in HD-Qualität zu empfangen. Und das, obwohl die für terrestrisches Fernsehen verfügbaren Frequenzen knapper werden. Denn ein Teil wurde über die sogenannte Digitale Dividende für mobiles Breitband-Internet umgewidmet. "Das alte Frequenzband ist bereits an Mobilfunkunternehmen versteigert worden", sagte Schinzel. Mit dem neuen Standard werden die Frequenzen nun deutlich effizienter genutzt. Ergebnis: Bis zu 40 Programme können in verbesserter Qualität ausgestrahlt werden.
In ersten Ballungsgebieten sind sechs Programme in DVB-T2 HD bereits seit Mai im Testbetrieb verfügbar. Wer das Signal empfangen will, benötigt eine entsprechende Settop-Box, die auch die neue, datensparsamere Videocodierung HEVC unterstützen. Insgesamt bieten derzeit 24 Hersteller entsprechende Geräte an, die auch das alte Signal noch empfangen. Manche neuen Fernseher-Modelle können DVB-T2 auch direkt ohne Zusatzbox empfangen. Ein grünes Logo der Industrie mit dem Schriftzug DVB-T2 HD soll alle kompatiblen Geräte auszeichnen. Nach Angaben der gfu unterstützen bereits 900 Geräte wie TV-Geräte, Settop-Boxen und Antennen den neuen Standard.
Die Privatsender ProSieben, Sat.1 und RTL lassen sich den Empfang jedoch ab 2017 bezahlen. Ab dem 1. Juli 2017 sind dafür über die TV-Plattform Freenet TV (Anzeige) 69 Euro pro Jahr fällig, also 5,75 Euro im Monat. In einer Übergangsphase von drei Monaten sollen die privaten Sender noch kostenlos empfangbar sein, dann müssen die Nutzer einen Voucher erwerben und die Sender freischalten. Die öffentlich-rechtlichen Programme strahlen weiterhin kostenlos aus.
Für einen störungsfreien Empfang über Antenne müssen die Fernsehzuschauer also selbst aktiv werden. So mancher Streaming-Anbieter reibt sich deshalb bereits die Hände. "Wir erwarten einen signifikanten Anteil von Leuten, denen der Kauf einer neuen Box und dazu noch eines Rubbelloses zu viel Aufwand ist", sagt Jörg Meyer vom Streaming-Anbieter Zattoo. Allein in Berlin würden 21 Prozent der Haushalte als DVB-T-Haushalte gelten. Meyer: "Ein nicht unerheblicher Teil der Zuschauer wird zum TV-Streaming wechseln."
Die technische Erreichbarkeit für Streaming-Anbieter steige deutlich an mit neuen, internetfähigen Fernsehern sowie mit Anbietern wie Amazons Fire TV oder Apple TV. Die grossen Trends des zeitversetzten und geräteunabhängigen Fernsehens könnten von klassischen Verbreitungswegen ohnehin nicht erfüllt werden, sagte Meyer.
Zuletzt ermittelte auch der Digitalverband Bitkom, dass Streaming dem klassischen Fernsehen langsam, aber sicher die Bedeutung entzieht. Vor allem bei den jüngeren Nutzern steht das lineare Fernsehen immer weniger hoch im Kurs. Und wer Streaming einmal ausprobiert hat, kann eher auf das klassische Fernsehen verzichten. In einer Umfrage gaben 35 Prozent der Streamer an, das lineare Fernsehen komplett gegen Video-Streaming eingetauscht zu haben.
Auch Anbieter wie MagineTV, Waipu.tv (Anzeige) oder Elgatos EyeTV dürften sich einiges von der möglichen Verunsicherung der Verbraucher versprechen. Durch die Umstellung auf DVB-T2 werde die ohnehin gesteigerte Nachfrage 2017 weiter befeuert, schätzt Michael Decker, Geschäftsführer von Geniatech Europe. Die Streaming-Anbieter setzen zudem auf den Vorteil, dass über die IP-Leitung das Fernsehsignal auch auf mobilen Geräten wie Smartphone oder Tablet verfügbar ist.
Ab Ende März will Freenet TV jedoch mit "Freenet TV Connect" jedoch ebenfalls auf das Internet setzen. Das Angebot soll die über DVB-T2 verfügbaren Kanäle mit weiteren Programmen über das Internet ergänzen. "Wer heute Dienste wie Netflix nutzt, nutzt auch überproportional Antennenfernsehen", sagte Schinzel. Das DVB-T2-Angebot verstehe sich als Ergänzung für Nutzer, die heute schon interaktive und zeitversetzte Dienste nutzen. © dpa
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