Stars des FC Bayern lesen in einem aktuellen Video echte und schockierende Hasskommentare aus dem Internet vor. Sie lenken damit den Blick auf ein gewaltiges gesellschaftliches Problem, das bereits Kinder betrifft und entsetzliche Folgen haben kann.
"Ich wünsche euch, dass ihr alle bei einem Unfall ums Leben kommt, ihr Wichser", "Möge euer Teambus brennen, ihr Versager", "Ihr Hurensöhne!": In einem emotionalen Video offenbaren Spieler des FC Bayern, welche Art von Hass aus dem Netz ihnen entgegenschlägt.
Das Video ist Teil der Kampagne "Gegen Hass im Netz", mit der die Fussballstars für ein besseres und respektvolleres Miteinander sensibilisieren wollen. "Die Kampagne will aufklären und die schweigende Mehrheit der Menschen ermutigen, aktiv gegen Hate Speech und Beleidigungen im Netz vorzugehen und den Online-Diskurs positiv zu gestalten. Eine klare Aufforderung, nicht still zu sein, sondern gegen Hate Speech im Netz laut zu werden", heisst es vom FC Bayern. Man wolle Mut machen, gemeinsam gegen Hass einzustehen.
Cybermobbing ist ein gewaltiges Problem in unserer Gesellschaft
Warum ist diese Botschaft so wichtig? Mit derartigen Anfeindungen müssen nicht nur Prominente umgehen, es kann jeden treffen. Hasserfüllte Parolen sind im Internet zu alltäglichen Phänomenen geworden, befeuert durch die Schnelligkeit und Anonymität in digitalen Räumen. Soziale Medien zählen dazu, Foren und auch Messenger. Alltäglich, aber alles andere als harmlos: Mobbing und Cybermobbing hinterliessen eine Spur in der Seele und könnten ein ganzes Spektrum von Problemen verursachen, warnt der Psychiater Ahmad Bransi, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Weserbergland.
"Wir wissen, dass Menschen, die Opfer von Cybermobbing sind, Veränderungen in ihrer Lebensqualität empfinden, in ihrer Stimmungslage und in ihrer seelischen Gesundheit." Bei Erwachsenen äussere sich dies unter anderem durch Krankmeldungen, Arbeitsunfähigkeit, Kündigungsbereitschaft und durch Depressionen. Auch Persönlichkeitsveränderungen könnten eine Folge sein.
Mobbing mit schrecklichen Folgen
Vor allem, wenn das Mobbing über einen längeren Zeitraum angehalten hat, könne es sein, dass eine seelische Störung bestehen bleibt, warnt Bransi. Das Internet vergisst nichts. Zum Beispiel eine Diffamierung, die nicht gelöscht werden kann, könne zu realen Angststörungen, Selbstzweifeln oder in ganz schlimmen Fällen sogar zum Suizid führen.
Viele Menschen schämten sich dafür, gemobbt zu werden, und fühlten sich irgendwie schuldig. Bransi rät deshalb dazu, mit dem eigenen Umfeld darüber zu sprechen, was einem widerfährt - auch um etwas gegen das Gefühl der Hilflosigkeit und Isolation zu unternehmen. Der Hausarzt könne ein erster Ansprechpartner sein, falls jemand zunächst keine psychologische Hilfe in Anspruch nehmen kann oder möchte.
Betroffene sollten Hilfe in Anspruch nehmen
Wenn es um Kinder geht, sei unser Bewusstsein geschärfter: Man muss sie natürlich unterstützen. Bei Erwachsenen jedoch denke man fälschlicherweise, dass sie mit ihren Problemen schon allein fertig würden, beobachtet Bransi: "Aber das ist häufig nicht so. Denn wenn jemand gemobbt wird, auch per Cybermobbing, braucht diese Person Hilfe."
Experten warnen Betroffene vor dem Versuch, das Problem ganz allein zu lösen: "Wenn man ein Opfer von Cybermobbing wird, egal wie alt man ist, sollte man sich Hilfe suchen", betont auch Sebastian Seitner vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg. Auf Plattformen wie Facebook oder Twitter kann man Mobbing melden. Dort sei man angewiesen, die Einträge zu löschen, sagt Seitner. Dies sei klar geregelt. Handelt es sich um schwerwiegende Drohungen und Beleidigungen, rät er zu folgendem Vorgehen:
- Dokumentieren Sie den Vorfall genau, mit exakter Uhrzeit, Internetadresse und am besten auch mit Screenshots. Diese könnten auch dann als Beweis dienen, wenn zum Beispiel die Beleidigung oder Drohung später wieder gelöscht oder abgeändert wird.
- Gehen Sie zur Polizei und erstatten Sie Anzeige.
Kaum jemand hat den Umgang mit dieser Art von Hass gelernt
Die Intensität, mit der man teilweise im Internet angefeindet wird, überrasche viele und zu wenige hätten gelernt, damit umzugehen, beobachtet Peter Sommerhalter von der "Initiative.Jetzt". Bei Frauen spielten im Zusammenhang mit Cybermobbing neben Stalking oft auch sogenannte Rachepornos eine Rolle. Einvernehmlich aufgenommene, intime Fotos oder Videos würden dabei vom Ex-Partner vorsätzlich ins Netz gestellt oder auf anderen Wegen veröffentlicht.
Bei solchen Vorfällen kann es sinnvoll sein, sich für einen offenen Umgang zu entscheiden, rät Sommerhalter und nennt ein Beispiel: "Eine betroffene Dame hatte mehrfach den Arbeitsplatz gewechselt, da ihr Ex-Partner immer wieder Nacktbilder von ihr per Mail an ihre Arbeitskollegen verschickt hatte." Schliesslich habe sie das Gespräch mit ihrem Chef, ihrer Arbeitsgruppe und der Gleichstellungsbeauftragten der Firma gesucht, "um zu erklären, was ihr geschieht, und dass sie sich dies nun nicht mehr gefallen lässt".
Kinder und Jugendliche: Es gibt keinen sicheren Ort mehr für sie
Hart trifft Cybermobbing die Jüngeren: Nicht einmal im eigenen Kinderzimmer sind sie davor sicher und können Beschimpfungen kaum entkommen. "Ich hab eigentlich das Mobbing in meiner Hosentasche die ganze Zeit dabei", erklärt Hendrikje Schmidt vom Krisenchat, einer psychosozialen Beratung für Kinder und Jugendliche, in Hinblick aufs Handy. Das führe dazu, dass sich viele Jugendliche hilflos und ohnmächtig fühlten. "Es nimmt kein Ende, und ich kann es auch nicht mehr rückgängig machen und nicht mehr stoppen."
Jeder sechste Schüler schon betroffen
Die im Oktober veröffentlichten Zahlen nach einer Befragung des Bündnisses gegen Cybermobbing in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse (TK) schockieren:
- Jeder sechste Schüler (16,7 Prozent) war schon einmal von Cybermobbing betroffen. Das entspricht mehr als 1,8 Millionen Schülerinnen und Schülern zwischen 7 und 20 Jahren.
- Am häufigsten berichten die Opfer von Beschimpfungen und Beleidigungen (78 Prozent) sowie von Lügen und Gerüchten (59 Prozent).
- 40 Prozent der betroffenen Schülerinnen und Schüler sei bereits online erpresst oder bedroht worden.
Mobbing gebe es schon lange, sagte Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. "Aber früher war Mobbing eben doch was, was dann auf bestimmte Situationen auch beschränkt gewesen ist." Aus diesen Situationen sei man wieder herausgekommen. "Das ist heute in der digitalen Welt eben deutlich schwieriger."
Ein Viertel der betroffenen Schüler mit Suizidgedanken
Das anhaltende Mobben über das Internet belastet vor allem die Psyche der Schüler. Die Betroffenen fühlen sich laut Befragung:
- verletzt (58 Prozent)
- wütend (40 Prozent)
- verängstigt (34 Prozent).
- Etwa ein Viertel hatte bereits Suizidgedanken.
Die Pandemie hat das Cybermobbing noch verstärkt: Durch den Onlineunterricht und die Kontaktbeschränkungen hätten die Kinder noch mehr Zeit im Internet verbracht - und auch das Mobbing sei noch stärker dorthin gewandert, schreiben die Autoren der Studie. Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen (65 Prozent) sagt, dass Cybermobbing seit der Corona-Pandemie zugenommen habe.
Opfer werden häufig selber zu Tätern
Sechs Prozent der befragten Schüler gaben an, selbst schon mal jemanden online gemobbt zu haben. Auffällig: Täter- und Opferrolle können hierbei ineinander übergehen. Fast jeder fünfte Täter hat selbst schon mal unter Cybermobbing gelitten. Deshalb sei Prävention eines der wichtigsten Elemente gegen Cybermobbing, sagt Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing. "Denn wenn wir keine Täter haben, das heisst, wenn wir die Täter erst gar nicht zum Täter werden lassen, dann müssen wir uns auch nicht über das Thema Opfer unterhalten."
Die Betroffenen wünschen sich mehr Unterstützung - auch vom Staat. 62 Prozent der Kinder und Jugendlichen waren der Meinung, der Staat müsse viel mehr gegen Cybermobbing tun. Auch 65 Prozent der Lehrkräfte sind dieser Meinung.
Zeuge von Hass? Das können Sie tun
Hasserfüllte Äusserungen können schnell einen Straftatbestand erfüllen. "Hassrede darf weder im realen Leben noch im Internet hingenommen werden", betont Harald Schmidt, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, "entscheidend ist, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer gegen hasserfüllte Äusserungen und Kommentare wehren. Das ist ein wichtiges Signal an die Täter. Aber auch andere Netzwerkteilnehmer werden dadurch ermutigt, sich gegen Hass im Netz einzusetzen."
Etwa sollten Nutzerinnen und Nutzer einschreiten und Hassreden widersprechen, auch Screenshots seien hilfreich, um Fälle zu melden. Dies kann man online tun, etwa bei der Meldestelle "respect!" oder der Internetbeschwerdestelle. Bei Notfällen oder Situationen, die ein sofortiges Einschreiten erfordern, gilt es aber, die Polizei unter 110 zu kontaktieren. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn Hinweise auf schwerwiegende Straftaten vorliegen. (af - mit Material der dpa)
Wenn Sie von Cybermobbing betroffen sind, können Sie sich in einem ersten Schritt an eine Hilfsorganisation wie den "Weissen Ring" oder eine Hilfeeinrichtung in Ihrer Stadt wenden.
Kinder bekommen Hilfe beim Kinder- und Jugendtelefon 0800 111 0333 "Nummer gegen Kummer", anonym und kostenlos von Montag bis Samstag 14:00 Uhr-20:00 Uhr. Die Initiative "Schau hin!" informiert online ausführlich zu sicherem Surfen für Kinder und Jugendliche.
Junge Menschen beraten Kinder und Jugendliche beim Online-Angebot des Vereins Cybermobbing-Hilfe. Auch Juuuport bietet entsprechende Beratung.
Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizidgedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 08 00/ 11 10 - 111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
Verwendete Quellen:
- dpa
- Website des FC Bayern München
- Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes
- Meldestelle "respect!"
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