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Internetstars brauchen keine Castingshows, Plattenfirmen oder PR-Manager. Sie stellen einfach ihre Filme, Musikclips oder Fotos ins Internet. Dabei gilt die Faustregel: "Je skurriler, um so mehr Aufmerksamkeit".

Dann stehen die Möchtegernstars für fünf Minuten im Rampenlicht und verschwinden wieder von der Bühne, denn schon wartet der nächste Hype, Sänger oder Fotograf und spült damit eine noch schrägere Idee in das Bewusstsein der Internetsurfer.

Neben den Selfmade-Stars gibt es auch tragische Berühmtheiten wider Willen: Freunde und Bekannte stellen ohne Wissen der Betroffenen schräge Clips und Fotos ins weltweite Netz. Schliesslich gibt es Hypes, bei denen Einzelaktionen einen eigenen Trend auslösen. Lesen Sie auf den nächsten Seiten von den freiwilligen Selbstdarstellern, den Internettrends und den Stars wider Willen.

Das süsse kleine Krokodil Schnappi war gestern, heute blubbern die Elektro-Akkorde von Alemuel vor sich hin. Die 25-jährige Bayerin schickte Anfang 2007 im Internet das Video "Kleiner Hai" auf Reisen, das sich zu einem echten Renner entwickelte. In kürzester Zeit schauten sich drei Millionen Surfer das Filmchen vom "dim dim kleinen Hai" an.

Der Musikriese EMI nutzte die virtuelle Popularität Alemuels und veröffentlichte Ende Mai 2008 die Single mit den Extended-, Acapella- und Pulsar-Dance-Versionen. Im Videolip tanzen grosse, kleine, dicke und dünne Fans zu den schlichten Tönen des Songs, dessen Text mit ganz wenigen Worten auskommt: Vielmehr als "Babyhai", "kleiner Hai" und "weisser Hai" enthält er nicht.

Im Juni 2008 bekannte Alemuel in einem "Bravo"-Interview, dass sie nicht 18 aber 25 Jahre alt sei. Ausserdem sei sie keine Schülerin, sondern Studentin. Alexandra Müller gestand, dass sie geflunkert habe, weil sie ihr Privatleben schützen wollte. Den Schwindel würden ihr die Fans nicht übel nehmen.

Seit über zwei Jahren geistert das "Angry German Kid" durch das Netz. In dem fast fünfminütigen Clip rastet ein 14-jähriger Gamer über alle Massen aus. Mit übelsten Schimpfworten brüllt der Teenager seinen PC-Monitor an. Das "wütende deutsche Kind" wartet auf die Installation von "Unreal Tournament", ohne eine Sekunde Geduld aufzubringen.

Nur seltsam, dass der Teenager in Deutschland unbekannt ist. Weder Name noch Wohnort lassen sich - untypisch für Internetstars - von dem Spieler ausmachen. Das Video von dem Wutmonster ist also offensichtlich gestellt.

Kurz nachdem das Video im Internet kursierte, erschienen schon die ersten Neuauflagen: Seitdem flucht der Teenager zu japanischer Musik, hat amerikanische Untertitel und musste auch Kid-DJ als Vorlage dienen.

Grup Tekkan ist alles andere als unnahbar, mysteriös oder unbekannt: Die drei Türken Ismail, Selcuk und Fatih kommen aus Germersheim in der Nähe von Karlsruhe und landeten mit "Wo bist du, mein Sonnenlicht?" 2006 einen Sommerhit.

In einem Workshop der HipHop-Crew Sons of Gastarbeita bastelten die drei Internetstars an ihrem Titel, dessen Musik von dem Instrumental "Tell me wut u want" des Kanadiers Michael Manu stammt. Für ihren Text bedienten sich Grup Tekkan bei den Songs der Workshopleiter. Acht Wochen geisterte der Internettitel durch die österreichischen Charts. In Deutschland hielt sich "Wo bist du, mein Sonnenlicht?" eine Woche länger im Rampenlicht.

Der Text des Hitparadenstürmers spricht für sich: "Wo bist du, mein Sonnenlischt? - Isch suche disch und vermisse disch - Isch respektier nur disch, - Damit du's weisst: Ich liebe disch."

Irgendwann um das Jahr 2005 tauchten die ersten Bilder mit kindlichen Sprüchen auf. In falschem Englisch liessen Internetuser zuckersüsse, niedliche Katzen Sprüche wie "Don't lissen to him", "Halp - iz stuk in a trees" oder "Souls. i eets them" sagen.

Lolcats streunen seitdem durch die digitalen Weiten des Internets und pflanzen sich sogar in andere Sprachen fort. Die deutsche Variante mit türkisch-deutschem Slang funktioniert aber nicht wirklich und schielt nach den Vorbildern Erkan & Stefan oder Kaya Yanar: "Was guckst Du? Bin isch Kino oder was?"

Spätestens nach dem hundertsten Foto verlieren die Bilder mit den putzigen Sprüchen jedoch auch in der ursprünglichen Sprache ihren Charme.

Die Neuseeländerin Jessica Rose mimte 2006 drei Monate lang die Unschuld vom Lande. Als 16-jährige Bree plauderte sie über Internetclips, ihren ersten Kuss oder Traurigkeit. Damit traf sie beim Publikum ins Schwarze. Doch so schnell wie lonelygirl15s Videoblog auftauchte, so schnell gab es auch Zweifler, die Bree ihre Unschuld nicht abnahmen.

Gerüchte schwirrten durch das Internet, dass lonelygirl15 Teil einer grossangelegten Werbekampagne sei. Im September 2006 erlösten die Erfinder von Bree die Kritiker und Fans: Die jungen Filmemacher Miles Beckett, Ramesh Flinders und Greg Goodfried hatten sich auf einer Party die Geschichte der attraktiven Unbekannten ausgedacht und in Szene gesetzt.

2006 war lonelygirl15 so populär, dass der Band Jane Doe's einige Sekunden Hintergrundmusik im Videoblog ausreichten, um einen Hit zu landen.

Mitschüler machten "Star Wars Kid" Ghyslain Raza 2003 unfreiwillig zur Berühmtheit. Der kanadische Schüler hatte im November 2002 im Stil von Darth Vader und Luke Skywalker ein paar Schwertkampfszenen mit einem Golfball-Retriever - ein langer Stab zum Einsammeln von Bällen aus dem Wasser - als Laserschwert aufgenommen.

Ghyslain Raza hatte das Filmchen schon längst vergessen, als es Mitschüler im April 2003 auf einer geliehenen Kamera entdeckten. Schnell war das analoge Video digitalisiert und landete im Internet. Mit seinen ungelenken Bewegungen wurde der korpulente Schüler weltweit zum Gespött.

Nach ständigen Hänseleien an der Schule verklagten Ghyslain Razas Eltern die Mitschüler und erzielten im April 2006 einen aussergerichtlichen Vergleich und erhielten für ihren Sohn Schmerzensgeld.

Kurz nach den Anschlägen 2001 auf das World Trade Center in New York kursierte im Internet das Foto eines Touristen auf einem der Twin Towers. Im Hintergrund vor dem Häusermeer in Manhattan ist eine der angeblichen Anschlagsmaschinen kurz vor dem Aufprall zu sehen.

Das Bild zeigt aber in Wirklichkeit den Ungarn Peter Guzli, der 1997 auf dem Balkon des World Trade Centers stand. Nach den Anschlägen kopierte er digital ein Flugzeug in sein Urlaubsfoto und trat damit unwissentlich eine Lawine los. Ursprünglich war das Scherzbild per E-Mail nur an ein paar Freunde gegangen, doch schon bald kannten viele hundert Millionen Internet-Nutzer das Gesicht des "Tourist Guy".

Aufgrund der Popularität der Montage meldete sich 2001 ein Brasilianer mit der Behauptung, er sei der Tourist. Fast hätte der Südamerikaner einen Werbevertrag bekommen. Doch dann nahm der unfreiwillige Internetstar Peter Guzli mit dem US-Magazin "Wired" Kontakt auf und klärte die Geschichte auf. Seitdem kursieren zahllose Foto-Montagen mit dem "Tourist Guy" als Zeitzeuge historischer Momente oder als Freund der grossen Stars.

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