Die App Clubhouse hat mit Bodo Ramelow ihr erstes "Opfer" nach einer kommunikativen Entgleisung gefunden. Der neue Dienst ist nicht nur für Persönlichkeitsrechte gefährlich. Er kann für seinen Anbieter und die Nutzer schnell zum datenschutzrechtlichen Harakiri werden.

Rolf Schwartmann
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Clubhouse ist im Netz aktuell "the Place to be". Die emporschiessende App ermöglicht Promigespräche in grosser Runde. Ohne Bild und mit dem iPhone – der Dienst wird für Android-Geräte nicht angeboten - können eingeladene Nutzer in virtuellen Hörräumen chatten und von Diskussion zu Diskussion hüpfen.

Man kann mit Promis reden, die sich hier die virtuelle Klinke in die Hand geben. Der Kontext ist heimelig – nur mein Handy und ich. Schliesslich bombardiert man Siri & Co per Sprachnachricht auch unbedarft mit medizinischen Fragen und persönlichen politischen Vorlieben.

Grenzenloses Vertrauen in die Vertraulichkeit von öffentlichen Social-Media-Chats

Das Vertrauen in die Vertraulichkeit öffentlicher Gespräche scheint grenzenlos zu werden. Kürzlich plauderte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow in einem Chat über "Trash und Feuilleton" despektierlich aus dem Nähkästchen der Ministerpräsidentenrunden mit der Kanzlerin, dem "Merkelchen" - wie er die Kanzlerin in der vermeintlichen Vertraulichkeit des Social-Media-Chats nannte. Zudem verriet er, dass er sich die Zeit während der Konferenzen mit daddeln vertreibe.

Das bekam der ebenfalls im Chat anwesende Chefredakteur der Welt am Sonntag mit. Da öffentliche kommunikative Entgleisungen von Prominenten von öffentlichem Interesse sind, "spiesste" der Journalist das Verhalten des Politikers in der Zeitung auf.

Selbst Schuld, Herr Ministerpräsident Ramelow, kann man da nur sagen. Mit einer locker wirkenden Amtsführung kokettiert man als Politiker, dem die Verantwortung für ein Bundesland anvertraut ist, unter aller Ohren besser nicht. Ein soziales Netzwerk mit einem geschützten Privatraum oder einem Kneipenstammtisch zu verwechseln, wo Worte begrenzt öffentlich werden und zudem flüchtig sind, ist der Fehler eines blutigen Anfängers und kann schnell in Kommunikations-Kamikaze münden. Auch wenn es modern, cool und hip scheint, auf jeden Zug der Sozialen Medien aufzuspringen, so ist das doch gefährlich.

Wir sind doch nicht mehr im Neuland der Netzkommunikation. Insofern staunt man schon, wie bereitwillig sich viele im Kampf um öffentliche Sichtbarkeit auf jedes "Höher – Besser – Weiter" im Internet einlassen. Die Risiken sind angesichts der bekannten Mechanismen in sozialen Netzwerken eigentlich offensichtlich, aber das schnelle schmutzige Glück der öffentlichen Wahrnehmung ist in Zeiten von FOMO ("Fear Of Missing Out") in der elitären Welt eines „Clubhouse“ ausgesprochen wohlfeil.

Nutzungsbedingungen schützen nicht wirksam vor Berichterstattung

Aber ist das gesprochene Wort dort denn nicht geschützt? In der virtuellen Öffentlichkeit eines Social-Media-Chats wird das bei einem Ministerpräsidenten, der sich gewollt in der Öffentlichkeit sonnt, wohl kaum einen Juristen überzeugen. Da bekommt man einfach Sonnenbrand.

Aber schützen denn die Nutzungsbedingungen von "Clubhouse“ nicht? Sie versuchen das, indem sie die Wiedergabe von Äusserungen von der Einwilligung der Betroffenen abhängig machen. Ein Zitat- und Berichterstattungsverbot für Presse und Öffentlichkeit durch Allgemeine Geschäftsbedingungen? Netter Versuch liebes US-Unternehmen, aber noch haben wir eine Rechtsordnung und die schützt die Meinungsfreiheit, gerade auch die der Journalisten.

Sie ist eines der höchsten Güter unserer Verfassung und ein Sockel der Demokratie. Diese mit Nutzungsbedingungen als Parallelrechtsordnung aushebeln zu wollen, ist lächerlich. Obwohl uns zu denken geben muss, dass sie aktuell für Facebook & Co als Rechtsgrundlage für das Sperren von Staatschefs herangezogen werden, deren Rechtmässigkeit ein "Oberster Facebook-Gerichtshof" von Zuckerbergs Gnaden überprüfen soll.

Clubhouse ist datenschutzrechtliches Harakiri, was teuer werden kann

Dass Clubhouse datenschutzrechtlich Harakiri ist, fällt bei all dem in der öffentlichen Debatte kaum ins Gewicht. Auf gespeicherte Rufnummern in den persönlichen Kontakten zugreifen zu lassen, ist zumindest für nicht private Nutzer nicht von der DSGVO gedeckt. Man braucht dafür eine informierte Einwilligung vieler Betroffener, die von der Nutzung und wohl auch werblichen Auswertung ihres Verhaltens, das sich aus der Nummer ablesen lässt, nichts wissen.

Dass alle Gespräche – natürlich auch wieder auf Grundlage der Nutzungsbedingungen - aufgezeichnet werden, ist eine Komplettüberwachung und datenschutzrechtlich ein völliger Gau. Transparent über den Mitschnitt und dessen Zwecke informiert ist man durch die AGB wohl kaum und durch nutzen willigt man nicht ein. Nicht, dass die für viele Nutzer trotz Erwähnung in den AGB faktisch heimliche Aufzeichnung aller Äusserungen bei Clubhouse für den Dienst am Ende auch noch strafbar ist. Dagegen spräche, dass jedenfalls das was Nutzer in den öffentlichen Chats bei Clubhouse von sich geben, nicht als vertrauliche Äusserung einzustufen sein dürfte.

Aber auch ohne Strafrecht ist das, was Clubhouse macht, jedenfalls datenschutzrechtlich nicht gerechtfertigt. Für eine unzulässige Videoüberwachung hat die Datenschutzaufsicht in Niedersachsen kürzlich ein Bussgeld von 10 Millionen Euro verhangen. Das kann Clubhouse auch blühen. Wenn ein Nutzer durch die App einen Vermögens- oder Ehrschaden erleidet, dann kann er den Dienst auch nach DSGVO auf Schadensersatz verklagen.

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