Brüssel (dpa) - Menschen mit Fernbeziehung und ungünstigem Handy-Vertrag haben sich womöglich zu früh gefreut: Zwar schafft die EU zum 15. Juni die Extra-Gebühren für die Handy-Nutzung im EU-Ausland weitgehend ab, Gespräche ins EU-Ausland kosten aber so viel wie zuvor.
"Das bleibt ein grosses Ärgernis", klagt die Verbraucherschützerin Isabelle Buscke, die den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Brüssel vertritt. Telefonate ins Ausland fallen eben nicht unter die Neuregelung - "das kann durchaus mal zwei Euro die Minute kosten".
- Achtung: Kleingedrucktes lesen
Wer also mit dem Autovermieter auf Mallorca verhandeln will oder die polnische Nummer der Liebsten in Warschau wählt, sollte die Bestimmungen seines Vertrags gut kennen. "Die Verbraucher müssen weiter in das Kleingedruckte schauen" - trotz der grundsätzlich verbraucherfreundlichen Roaming-Neuregelung, warnt Buscke. Die soll dafür sorgen, dass Anrufe und mobile Internet-Nutzung beim Aufenthalt in anderen EU-Ländern nicht teurer ausfallen als daheim.
- Kuriose Folgen: Mehr zahlen
Die Änderung kann also kuriose Folgen haben: Wer mit deutschem Handy-Vertrag aus Deutschland in Spanien oder Polen anruft, zahlt unter Umständen mehr, als wenn er das gleiche Telefonat aus Spanien oder Polen oder einem beliebigen anderen EU-Land führt. "Das ist das Knifflige und das Unbefriedigende an der Neuregelung", sagt Buscke. Auch eine Einwahl in die Mobilfunknetze etwa von Kreuzfahrtschiffen bleibt teuer - sie ist von der EU-Regelung ausgenommen.
- Anbieter-Check: Von Deutsche Telekom bis O2
Unklar ist, ob wirklich alle Handy-Kunden in den Genuss der neuen Vorgaben kommen, oder ob besondere Vertragsklauseln das verhindern. "Wir machen keine Unterscheidung", versichert Andreas Middel von der Deutschen Telekom. Ähnlich verspricht seine Vodafone-Kollegin Sarah Roetzer: "Alle Consumer Kunden werden ab 15. Juni von den regulierten Bedingungen in der EU automatisch und uneingeschränkt profitieren und keine Roaming-Gebühren mehr zahlen."
Jörn Borm von Telefónica (O2) kann hingegen nicht sagen, wie hoch der Anteil jener Kunden sein wird, die "zum 15.06. reguliert werden". Im Mai hatte der Konzern seinen Umsatzrückgang des vergangenen Jahres unter anderem auf die gesenkten Roaming- und Durchleitungsentgelte zurückgeführt: Das Unternehmen habe wegen der Regulierung rund 35 Millionen Euro weniger eingenommen als 2015.
Verbraucherschützer erwarten, dass die Anbieter sich überlegen, wie sie die neuen Regeln anwenden. Probleme könnten demnach die Nutzer von Prepaid-Karten bekommen: Die enthielten kein festes Volumen für Telefonate und Internet-Surfen, das entsprechend auch im Ausland nutzbar wäre. Ausserdem gebe es immer mehr Deutschlandtarife, bei denen die Nutzung jenseits der Grenzen technisch ausgeschlossen sei.
- Fair-use-Regel: Handy-Nutzung im Ausland begrenzt
Dann ist da noch die sogenannte Fair-use-Regelung. Die soll verhindern, dass sich Verbraucher einfach den billigsten Anbieter in Europa aussuchen und mit dessen SIM-Karten grenzenlos günstig telefonieren. Vodafone behalte sich Aufschläge gemäss dieser Regelung vor, erklärt Unternehmenssprecherin Roetzer. Die vzbv-Expertin Buscke bestätigt mögliche Kontrollen einer exzessiven Auslandsnutzung: "Ab einer gewissen Schwelle können die Anbieter aufmerksam werden."
Obwohl die Verbraucherschützerin etliche Wermutstropfen, Stolpersteine und das Kleingedruckte beklagt, hält sie die neue Roaming-Verordnung letztlich für einen Fortschritt: "Das ist ein Meilenstein für die Verbraucher." Bis zur tatsächlichen Abschaffung der Roaminggebühren habe es auch zehn Jahre gedauert.
- Eingeschränkte Leistungen im Ausland
Mit dem Wegfall der Roaminggebühren sollen Mobilfunkkunden im EU-Ausland ihren Handyvertrag eigentlich so nutzen können wie daheim - ohne Extrakosten. Allerdings schränken einige Anbieter ihre Leistungen im EU-Ausland ein, so dass am Ende doch zusätzliche Kosten anfallen, wenn man sein Telefon so nutzt wie zu Hause. Das hat "Finanztest" bei einer Befragung von 16 Mobilfunkanbietern herausgefunden (Ausgabe 7/17).
Vor allem Kunden mit einer sogenannten Community-Option in ihrem Tarif müssen den Angaben zufolge genau hinschauen: In Deutschland sind für sie Telefonate zu anderen Kunden desselben Anbieters kostenlos oder günstiger. Doch im Ausland gelten diese Vergünstigungen bei manchen Providern nicht: Die Verbindungen werden auf gebuchte Minutenkontingente angerechnet oder kosten so viel wie alle Verbindungen auch.
Ein zweiter Punkt, der den Testern vereinzelt aufgefallen ist: Reine Datentarife - etwa für Tablets - sind nur im Inland nutzbar. Deshalb sollten Mobilfunkkunden unbedingt vor dem Urlaub prüfen, ob ihr Vertrag bereits eine Roaming-Option enthält und welche Konditionen genau gelten.
- Einschränkungen bei günstigen Inlandstarifen
Mobilfunkanbieter dürfen die Roamingnutzung bei besonders günstigen Inlandstarifen und Tarifen mit unbegrenztem Datenvolumen einschränken. Das gelte für Prepaid- und Vertragskunden, teilt die Bundesnetzagentur in einem neuen Fragekatalog für Verbraucher auf ihrer Internetseite mit.
In einem Rechenbeispiel erklärt die Bundesnetzagentur: Stehen dem Verbraucher im Inland für einen günstigen Preis acht Gigabyte Datenvolumen zu, könnte der Mobilfunkanbieter die Daten auf sechs Gigabyte im EU-Ausland beschränken.
Über die Datengrenze muss der Mobilfunkanbieter den Kunden allerdings vorab in einer Mitteilung informieren. Wer die angemessene Nutzung überschritten hat, erhält ebenfalls eine SMS. Danach fallen Aufschläge an. Laut Bundesnetzagentur dürfe jede Gesprächsminute maximal 0,032 Euro plus Mehrwertsteuer extra kosten, ein Gigabyte Datenvolumen kostet bis zum 31.12.2017 zusätzlich 7,70 Euro plus Mehrwertsteuer. In den kommenden Jahren müssen die Mobilfunkanbieter diese Aufschläge weiter senken.
Kleine Länder bleiben Kostenfallen
Vorsicht geboten ist weiterhin bei der Schweiz, der Isle of Man, den britischen Kanalinseln und kleinen Ländern wie San Marino, Andorra oder Monaco, berichtet das "c't"-Magazin (Ausgabe 6/16). Für diese Länder und Gebiete gilt die EU-Verordnung nicht. Trotzdem ordnen manche Provider sie der EU-Länderliste zu, andere aber nicht. Vor allem Reisende in Grenzgebieten müssen aufpassen.
Wer zum Beispiel von Deutschland nach Italien unterwegs ist und über den Gotthard- oder San-Bernardino-Pass fährt, sollte nach dem Passieren der Schweizer Grenze die Gebühren-Info-SMS des heimischen Netzbetreibers genau studieren, bevor er das Daten-Roaming aktiviert oder länger telefoniert, raten die Experten.
Die Hinweis-Kurznachrichten der Provider treffen spätestens einige Minuten nach dem ersten Einbuchen des Telefons in ein ausländisches Netz ein - auch dann, wenn es sich um einen EU-Mitgliedsstaat handelt, der unter die EU-Roaming-Verordnung fällt.
Die EU-Regulierung gilt ausserdem nicht auf Schiffen oder Flugzeugen, die die Gespräche und Daten via Satellit verschicken. © dpa
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