Schaufelt sich die Menschheit mit der stetigen Weiterentwicklung und fortschreitenden Etablierung Künstlicher Intelligenz ihr eigenes Grab? Oder überwiegen die Vorteile smarter Roboter? Wir haben einen Experten befragt.
Am 11. Mai findet in Berlin die Konferenz "Rise of AI" statt. Experten werden dort Vorträge und Workshops zu Gegenwart und Zukunft Künstlicher Intelligenz halten.
Wir haben vorab mit Fabian Westerheide, dem Organisator des Events, gesprochen. Er ist sicher: "Wir erschaffen eine Form von Intelligenzleistung, die irgendwann für uns alles übernehmen kann, sodass wir nicht mehr arbeiten müssen."
Herr Westerheide, Sie beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit Künstlicher Intelligenz. Was macht für Sie persönlich den grossen Reiz dieses Themenkomplexes aus?
Fabian Westerheide: Zum einen beschäftigt mich dieses Thema seit meiner Kindheit. Ich liebe Science-Fiction seitdem ich angefangen habe zu lesen und da war das immer präsent. Zum anderen ist es eine Technologie, die nicht nur die Wirtschaft betrifft, also Unternehmen, sondern auch Politik, den Arbeitsmarkt, den Bildungsmarkt, die komplette Gesellschaft.
Es ist ein Thema, das wirklich jeden Menschen berührt, jedes Unternehmen und jede Institution. Und weil Künstliche Intelligenz zu dem grössten Thema seit der Erfindung des Stroms werden könnte. Wenn ich einen Vortrag gebe, sage ich immer gerne folgendes Zitat: 'Künstliche Intelligenz könnte die letzte Erfindung der Menschheit werden.'
Können Sie das konkretisieren?
Auf der einen Seite erschaffen wir eine Form von Intelligenz, die uns bedrohen könnte, uns vernichten könnte und uns von unserem eigenen göttlichen Thron der Schöpfung stossen könnte.
Auf der anderen Seite erschaffen wir aber auch eine Form von Intelligenzleistung, die irgendwann für uns alles übernehmen kann, sodass wir nicht mehr arbeiten müssen.
Damit wir dann in einem utopischen Paradies leben können, wo Künstliche Intelligenz für uns alles übernimmt, was wir als Arbeit definieren und wir nur noch die Themen bearbeiten, die uns Freude bereiten.
Für viele Laien wirkt das Thema Künstliche Intelligenz oft ein wenig abstrakt und abgehoben. Warum denken Sie ist es wichtig, dass sich trotzdem jeder Normalo damit beschäftigen sollte?
Weil es jeden betrifft und weil es bereits da ist.
Und wie äussert sich das jetzt schon konkret im Alltag?
Beschränkte Künstliche Intelligenzen haben wir bereits im Tesla, also im semi-autonomen Fahren. Sie sind in jedem Handy drin, das Siri oder Google Now hat. Jeder, der den Aktienkurs beobachtet, weiss, dass die Hälfte aller Aktienkurse heutzutage von KIs gesteuert werden. Wir nennen sie nur nicht KIs, wir nennen sie Algorithmen.
Nehmen wir das Beispiel Google: Die Suchmaschine weiss bereits besser, wonach man sucht, bevor man es eingetippt hat.
Oder Spotify: Jeder, der darüber Musik hört, kriegt Vorschläge basierend auf einer Künstlichen Intelligenz. Facebook benutzt Künstliche Intelligenz, um die komplette Timeline zu sortieren.
Bestes Beispiel: Früher hatte man eine Sekretärin, die einem die Post sortiert. Heutzutage hat man einen Spam-Filter, den kriegt man gar nicht mehr mit.
Das ist wie eine Sekretärin, die so dezent ist, dass man sich gar nicht mehr erinnert, sie eingestellt zu haben. Und die nächste Stufe ist eine Software, die autonom Emails beantworten kann.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden fünf Jahren?
Wir werden eine Kognitivierung erleben. Unsere ganze Umwelt wird intelligenter, also sämtliche Daten, die wir bereits haben.
Das wird dazu führen, dass eigentlich jedes Gerät mit einem Chip und jedes Gerät, das Strom hat, in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Form von Intelligenzleistung bringen wird.
Das bedeutet: Man betritt das Haus und das Licht geht an. Man verlässt die Wohnungstür und das Auto fährt vor. Man wacht morgens auf und die Maschine macht schon mal den Kaffee.
Das geht so weit, dass irgendwann der Kühlschrank von alleine aufgeht, weil man in die Nähe des Kühlschranks geht und man seine Milch rausnehmen möchte.
Und es bedeutet einfach, dass die ganze Umwelt anfängt, mitzudenken. Und das wird immer so weitergehen. Wir werden im Grunde eine Armee von bediensteten KI-Systemen haben, die dafür sorgen, dass unser Alltag noch angenehmer und komfortabler wird.
Auf Ihr Ziel angesprochen, haben Sie einmal gesagt: 'Meine Vision ist, dass jeder Bereich unseres Lebens digitalisiert wird. Bald wird jedes Gerät online sein, ob Kühlschranktür, Bett, Waschmaschine oder Zimmerbeleuchtung.' Warum halten sie das überhaupt für erstrebenswert?
Das ist eine gute Frage. Für mich ist das ein Rad der Zeit und ich will es nicht aufhalten. Es ist der natürliche Prozess unserer aktuellen Gesellschaft.
Erst, wenn ein Produkt komplett digitalisiert ist, wird optimale Effizienz erreicht. Wenn der Mensch Hand anlegen muss, ist es ineffizient. Die Welt ist voller Ineffizienzen. Und das ist eher, was mich stört.
Ineffizienz bedeutet Arbeit und ich bin der Meinung, wir wollen nicht arbeiten. Kein Mensch möchte arbeiten. Wir möchten beschäftigt sein, wir möchten eine Aufgabe haben, wir haben eine Selbstbestimmung.
Aber ich habe noch keinen Mensch getroffen, der freiwillig sagt: 'Wow! Bin ich froh, dass ich malochen muss.' Ich möchte einfach an den Punkt kommen, dass wir nicht mehr arbeiten müssen, sondern arbeiten können. Und die Digitalisierung trägt dazu bei.
Die mächtigsten Menschen der Welt hatten vor 130 Jahren weniger Macht als jeder einzelne Mensch heute. Warum? Durch die Digitalisierung!
Ich halte das für sehr erstrebenswert. Für mich ist das übergreifende Ziel der Digitalisierung also, dass sie dafür sorgt, dass wir Menschen länger leben, intelligenter sind und glücklicher werden.
Und welche Nachteile bringen diese Entwicklungen mit sich?
Natürlich hat die Digitalisierung auch eine ganze Menge Nachteile. Die Anzahl an Emails ist katastrophal. Wir werden ständig bombardiert von Textnachrichten und Push-Notifications. Das trifft die gesamte Gesellschaft und jedes Individuum muss lernen, damit umzugehen.
Und natürlich gibt es mit jeder Technologie auch immer Sicherheitsbedenken. Zum Beispiel sind wir bereits heute Cyborgs, also eine Mischung aus Maschine und Mensch. Die meisten haben es noch nicht begriffen. Das Handy ist bereits die Verlängerung unseres Mundes, unserer Ohren, unserer Hände, unseres Gehirns.
Aus unserer Gesellschaft auszubrechen und zu sagen 'Nein ich habe weder Handy noch Email noch Facebook-Account' wird dabei immer schwerer. Und das sorgt natürlich für gesellschaftliche Konflikte, für Unwissenheit und Bedürfnisse zur Reform.
Wir bilden Menschen aktuell immer noch zu Arbeitssklaven aus, damit sie von morgens um 9 Uhr bis abends um 17 Uhr funktionieren, um ein garantiertes Einkommen zu haben. Das ist überhaupt nicht mehr zeitgemäss.
Zusätzlich gibt es immer öfter auch ethische Zweifel in Bezug auf 'intelligente Roboter'. Zu Recht?
Mit jeder Technologie gehen ethische Bedenken einher. Das ist auch ein Sicherheitsthema. Wenn jemand ein Cyborg ist, kann er gehackt werden.
Überall wo ein Schloss ist, versucht jemand reinzukommen. Sei es der Staat, ein Geheimdienst, eine kriminelle Institution oder der Eigentümer. Das ist ein Dilemma, das man immer hat.
Wenn ein selbstfahrendes Auto also vor einem Unfall entscheiden muss: rechts oder links, wen bringe ich um?
Warum haben wir das nie beim Menschen diskutiert? Warum sprechen wir nicht darüber, ob der Mensch, wenn er einen Unfall baut lieber die alte Frau, das Kind oder sich selbst rettet?
Nun findet am 11. Mai in Berlin mit "Rise of AI" eine grosse Konferenz statt, die Sie organisieren. Auf was dürfen sich Besucher freuen?
Sie dürfen sich freuen auf sehr inspirierende Vorträge, die definitiv an dem kratzen, worüber sie noch nicht nachgedacht haben.
Auf drei Ebenen: Wo steht Künstliche Intelligenz heute? Wie entwickelt sich das Ganze weiter und was sind die Implikationen für Gesellschaft und Unternehmen?
Dazu kommt natürlich der Austausch mit Leuten, die sich damit beschäftigen.
Mit Frank Thelen, der aus der VOX-Sendung "Höhle der Löwen" bekannt ist, haben Sie einen Redner mit sehr grossem Bekanntheitsgrad gewinnen können. Was wird er beitragen?
Mit ihm werde ich ein eher strategisches und philosophisches Gespräch führen, wofür man keine grosse Expertise braucht, sondern eher ein intelligenter Mensch sein muss, der auch mal gerne über die Zukunft nachdenkt.
Und dafür ist er ideal, weil er ein sehr gebildeter, wissender und redegewandter Mensch ist.
Ich würde abschliessend noch gerne einen Blick in die weiter entfernte Zukunft werfen. Wagen Sie es schon heute einen gewöhnlichen Tagesablauf im Jahr 2050 zu konstruieren?
2050 sind wir ganz klar schon in der gemischten Realität. Schon heute gilt ja: Sie nehmen die Welt anders wahr, als ich sie wahrnehme. Der Unterschied ist, das passiert in unserem Kopf. 2050 wird das nicht mehr in unserem Kopf sein, sondern wir können andere Menschen in unseren Kopf hineinlassen.
Wir werden gar nicht mehr unterscheiden können, zwischen dem, was physisch real ist und was virtuell real ist. Diese virtuelle Realität und die physische Welt werden noch mehr ineinander fliessen und zwar so, dass alles, was wir sehen und fühlen, eine Mischung aus beidem ist.
Es ist also gar nicht beschreibbar, wie unser Alltag sein wird, weil jeder Alltag anders sein wird. Der eine lebt vielleicht sein ganzes Leben in einer virtuellen Realität. Er sitzt einfach auf einem Stuhl, hat vielleicht einen Nährstoffzugang und lebt komplett in dieser virtuellen Realität.
Es wird auf der anderen Seite ein Extrem geben, das überhaupt keine Technik an sich hat: Ein kompletter Aussteiger, der vielleicht wieder sehr eigentümlich lebt, der einfach sein Gemüse selbst anbaut, sich um den Garten kümmert und mit seinen Kindern spielt. Und zwischen diesen Extremen wird alles möglich sein.
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