Immer mehr Menschen kehren Twitter den Rücken zu. Das Kommunikationsklima leidet unter unkontrollierten Lügen und Hass.
Als Alleineigentümer nimmt
Viele kehren Twitter den Rücken zu
Twitter hinterlässt eine Lücke als Kommunikationsraum und viele sind "heimatlos". Weil mit der Abkehr von Twitter nicht das Bedürfnis nach kontroverser Diskussion verschwindet, sucht man nach Alternativen.
Das macht Sinn, denn man geht ja auch im körperlichen Leben in die Karnevalskneipe, um zu feiern und in die Kirche, um sich zu besinnen.
Unterschiedliche Kommunikationsgewohnheiten
Wie in Kneipe und Kirche gelten auch in den unterschiedlichen sozialen Netzwerken unterschiedliche Regeln. Bei der beruflichen Kontaktpflege verhält man sich anders als bei Twitter, als einer Art Speakers Corner unter den sozialen Netzwerken. Hier haben viele Themen und Ansichten Platz.
Bei LinkedIn streitet und diskutiert man weniger. Es geht um berufliche Kontakte und ein gegenseitiges sich informieren. Im Büro hetzt man nicht öffentlich über Kollegen und Kolleginnen und streitet auch nicht emotional über Gott und die Welt. Um sich die Meinung zu geigen, wechselt man den Raum, wie von LinkedIn zu Twitter.
LinkedIn wird zum Ersatz für Twitter
Weil viele Menschen, die auf Twitter aktiv sind, zugleich auch LinkedIn nutzen, tauschen sie sich nach der Abkehr von Twitter dort aus. Mit dem Verzicht auf Twitter ist das Bedürfnis nach einem Netzwerk zur emotionalen und kontroversen Kommunikation nicht verschwunden.
Deshalb wird LinkedIn zunehmend wie Twitter benutzt. Es wird nun auch hier oft bis hart an die Grenze der Beleidigung diskutiert. Da LinkedIn sich nach wie vor als berufliches Netzwerk begreift, können weder Nutzer noch Verantwortliche mit diesem Wandel Richtung Randale-Plattform umgehen.
Unterschiedliche rechtliche Regeln
Hier kommt ein rechtlicher Punkt ins Spiel. Weil Twitter thematisch offen ist, unterfällt es dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Das dient dazu, Plattformen, die themenoffen sind, besonderen Pflichten zu unterwerfen. Gemeldete Inhalte müssen hier nach einem konkreten Verfahren binnen kurzer Frist geprüft und gegebenenfalls entfernt werden.
Weil Netzwerke mit spezifischen Themenstellungen – nach der Begründung des Gesetzes auch berufliche Netzwerke – vom Gesetz nicht erfasst sind, greift das Gesetz nicht für LinkedIn. Wer bei LinkedIn beleidigt wird, kann sich also faktisch kaum wehren.
Schutz jenseits des NetzDG
Wie geht man damit um? Grundsätzlich gilt: Wer bei LinkedIn mit rechtswidrigen Äusserungen konfrontiert wird, geniesst – sieht man vom NetzDG ab – vollen rechtlichen Schutz. Man darf dort niemanden beleidigen oder sich unflätig verhalten. Geschieht das dennoch, macht man sich gegebenenfalls strafbar, etwa wegen Beleidigung.
Auch der Bundesgerichtshof hat unabhängig von der Geltung des NetzDG Vorgaben dafür gemacht, wie Anbieter sozialer Netzwerke ihr virtuelles Hausrecht am Gesetzesrecht auszurichten haben. Es fehlt aber das scharfe Schwert des NetzDG.
Richtig ist deshalb, dass verglichen mit Twitter jedenfalls so lange ein Schutzdefizit besteht, wie LinkedIn seinen Charakter als berufliches Netzwerk nicht ändert. Ob sich der Charakter geändert hat, ist schwer feststellbar.
Digital Services Act als Lösung
Das Problem ist aber endlich. Das NetzDG wird nämlich aufgehoben, wenn am 17.2.2024 das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) der EU Geltung beansprucht. Das neue Recht unterscheidet im Unterschied zum NetzDG nicht mehr nach der Ausrichtung sozialer Netzwerke und ermöglicht grenzüberschreitende Anordnungen zum Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte im Netz.
Es werden neue Schadenersatzpflichten bei Rechtsverstössen von Online-Plattformen eingeführt. Solche, bei denen – etwa per Chat – Inhalte geteilt werden, müssen ein Beschwerdemanagementsystem, ein Streitbeilegungsmechanismus und besondere Massnahmen für vertrauenswürdige Hinweisgeber vorgehalten werden und spezifische Transparenzberichtspflichten erfüllen. Spätestens dann gibt es eine Lösung für den Hass bei LinkedIn.
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