• Während der Corona-Pandemie konnten Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime und Disney Plus nochmals kräftig zulegen.
  • Aber was macht den Reiz dieser Angebote aus?
  • Was machen sie besser als das traditionelle Fernsehen? Und wie sieht die Zukunft aus?

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Würden Sie auf Tinder oder einer anderen Dating-Plattform bei Ihren Hobbys "Fernsehen" eingeben? Womöglich nicht. Netflix taucht dort allerdings häufig auf. Offenbar ist es angesagt, Streamingdienste zu schauen und dies anderen mitteilen zu wollen. Aber was ist der Unterschied zum klassischen Fernsehen? Letztlich sitzt der Konsument doch trotzdem vor einem Bildschirm und lässt sich berieseln.

Zunächst einmal sind es die Inhalte. Viele Streamingdienste punkten durch ein breites Angebot mit internationalen Formaten. Gerade Netflix hat es geschafft, neben populären Filmen eigene hochwertige Serien wie "House of Cards", "The Crown", "Stranger Things" oder "Black Mirror" auf den Markt zu bringen.

Mit einem geschickten Marketing sei es dem Streamingdienst gelungen, dass es unter jungen Leuten quasi ein "Muss" ist, diese Serien zu kennen, sagt Katarina Stanoevska-Slabeva, Professorin für Informationsmanagement an der Universität St. Gallen.

Jederzeit und überall verfügbar

Streamingdienste punkten durch ihre einfache Verfügbarkeit. Ob nun am Computer zu Hause oder auf dem Smartphone im Zug: Nutzer können die Inhalte nach Lust und Laune konsumieren. "Streamingdienste kommen dem heutigen Wunsch nach Video on Demand nach. Der Kunde bestimmt, wann er etwas schaut, nicht das Medium", erklärt Miriam Goetz, Professorin für Medienmanagement.

Wie bereits im Musikbereich durch Spotify etabliert, setzen sich beim Bewegtbild ebenfalls Abo-basierte Flatrate-Angebote mit flexiblen Kündigungsmöglichkeiten durch. "Das entspricht dem heutigen Zeitgeist", so Miriam Goetz, die an der IST-Hochschule für Management in Düsseldorf lehrt.

Wie Netflix süchtig macht

Streamingdienste setzen ähnlich wie soziale Medien auf das sogenannte "Addictive Design". Die Plattformen sind so aufgebaut, dass sie die Kunden möglichst lange bei der Stange halten.

Als Beispiel nennt Katarina Stanoevska-Slabeva das von Netflix eingeführte "Binge Watching": Alle Serienteile werden auf einmal zur Verfügung gestellt, so dass die Nutzer länger auf der Plattform verweilen und alle Teile auf einmal konsumieren. "Es entsteht buchstäblich eine Sucht, eine Serie zu Ende zu schauen", erklärt die Professorin.

Weitere Faktoren, die eine intensive Nutzung von Streamingdiensten fördern, sind eine aufwendige Nutzeranalyse für personalisierte Vorschläge und ein endlos erscheinendes Angebot.

"Streamingdienste sind auch deswegen interessant, weil man an verschiedenen Orten gemeinsam mit Freunden oder Bekannten schauen kann", sagt Katarina Stanoevska-Slabeva und nennt als Beispiel Netflix-Partys, bei denen die Teilnehmer über die gerade gesehenen Inhalte chatten. Das gebe es beim klassischen Fernsehen in dieser Form nicht. So werde der "Tatort" in der ARD grösstenteils über Twitter kommentiert.

Menschen sitzen länger vor Bildschirm

Gerade bei der jungen Zielgruppe kommt es zu einer Verschiebung vom klassischen TV in Richtung Streaming. Die privaten TV-Sender versuchen diesen Bedürfnissen zu entsprechen, indem sie die Angebote ihrer Streaming-Ableger TVNOW (RTL) und Joyn (Pro7/Sat 1) immer weiter ausbauen.

Diese Tendenz bedeute aber nicht das Ende des traditionellen Fernsehens, betont Miriam Goetz. Denn gleichzeitig erhöht sich die gesamte Sehzeit, die wir vor dem Bildschirm mit Bewegtbild verbringen. Und andererseits punktet das klassische Fernsehen durch tagesaktuelle, seriöse Nachrichten.

"Das zeigt sich insbesondere in der Corona-Pandemie", sagt die Wissenschaftlerin. Ein weiterer Bereich, wo das klassische TV einen Vorteil habe, seien aufwendige Live-Formate im Sport.

Rückschlag für Netflix

Das grosse Wachstum erwarten Investoren dennoch bei den Streamingdiensten - auch wenn diese Erwartungen manchmal überzogen sind. Das zeigte sich an der Netflix-Aktie, die zur Veröffentlichung der Geschäftszahlen vor zwei Wochen ganze 10 Prozent einbrach.

Nicht etwa, weil das Unternehmen Verluste machte. Im Gegenteil: Netflix konnte bei Umsatz und Gewinn kräftig zulegen und noch dazu vier Millionen weitere Abo-Kunden dazugewinnen. Allerdings hatten die Investoren mehr erwartet.

Mittlerweile ist die Netflix-Aktie nach der Talfahrt zwar wieder auf Wachstumskurs. Aber Medien-Professorin Goetz geht davon aus, dass das zukünftige Wachstum im Vergleich zum Vorjahr eher moderat ausfallen dürfte.

"Netflix hat vor allem durch Corona und erfolgreiche Produktionen wie etwa Bridgerton ein sensationelles Geschäftsjahr 2020 hingelegt", begründet sie: "Im Jahr 2021 konnte Netflix dagegen wegen pandemiebedingter Produktionsprobleme keine neuen Streaming-Hits mehr liefern und musste sich ausserdem wachsender Konkurrenz stellen, wie etwa Walt Disney."

Was kommt nach Corona

Wenn sich die Corona-Lage stabilisiert hat, werden die Menschen wieder verstärkt das tun, was sie in der Pandemie entbehren mussten: mehr Zeit draussen verbringen, Freunde treffen, ins Restaurant oder ins Kino gehen. "Das wird zu einer normaleren Handhabe der Streaming-Dienste führen. Ein Ende sehe ich nicht, eher ein sukzessives Abflauen hin zu einem normalisierten Gebrauch", so Miriam Goetz.

Neben Streamingdiensten und klassischem TV sieht Professorin Stanoevska-Slabeva aus St. Gallen noch einen weiteren Player, der um die Aufmerksamkeit von Zuschauern buhlt: YouTube. "Bei YouTube können die Nutzer beispielsweise unterhaltsame Videos und Lernvideos finden. Gleichzeitig sind dort zahlreiche Influencer zum Beispiel im Bereich Online-Spiele aktiv, die ein treues Publikum um sich scharen."

Alle drei Angebotsformate werden in Zukunft ihre Rolle für unterschiedliche Zielgruppen und Bedürfnisse spielen. Katarina Stanoevska-Slabeva: "Am Ende wird es keine richtigen Verlierer oder Gewinner geben. Die beschränkte Zeit der Zuschauer wird sich, je nach Bedürfnis, auf diese Angebote verteilen."

Über die Expertinnen: Professorin Miriam Goetz von der IST-Hochschule für Management in Düsseldorf: Sie promovierte 2010 an der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster zum Thema Massenmedien und Medienpsychologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Medien- & Markenpsychologie sowie Kommunikationsstrategien in Vertrieb- und Marketing.
Professorin Katarina Stanoevska-Slabeva von der Universität in St. Gallen: Sie forscht und lehrt am dortigen Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement. Ihre Schwerpunkte sind digitale Geschäftsmodelle, digitale Kommunikation und digitales Nutzungsverhalten.
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