Der türkische Regierungschef Erdogan hat in seinem Land den Kurznachrichtendienst Twitter blockieren lassen. Es ist ein Versuch, Kritiker mundtot zu machen. Seine Furcht ist nicht unbegründet: Twitter kann ein Funke sein, der Revolutionen entzündet.
Es hatte sich offenbar einiges an Frust angestaut bei dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan: "Twitter und solche Sachen werden wir mit der Wurzel ausreissen", zitiert ihn eine türkische Nachrichtenagentur am Donnerstag. "Was dazu die internationale Gemeinschaft sagt, interessiert mich überhaupt nicht." Tatsächlich war der Kurznachrichtendienst kurz darauf für weite Teile der etwa zehn bis zwölf Millionen Twitter-Nutzer des Landes nicht erreichbar. Offizielle Begründung: Der Dienst würde die Privatsphäre der Bürger verletzen.
Erdogan sieht seine Macht gefährdet
Der wahre Grund dürfte ein anderer sein: Erdogan sieht seine Macht gefährdet. In den vergangenen Wochen waren Tonaufnahmen aufgetaucht, die auf Korruption in seinem Umfeld vermuten lassen. Die Links zu den Mitschnitten wurden auf Twitter geteilt. Erdogan mag die klassischen Medien kontrollieren können, aber auf die Informationen, die in den Sozialen Medien verbreitet werden, hat er kaum Einfluss.
Ausserdem hatten in den vergangenen Wochen und Monaten türkische Regierungsgegner immer wieder Twitter und Co. genutzt, um Proteste zu organisieren. Erdogan sieht sich nicht zu unrecht bedroht. Die Ereignisse des sogenannten "Arabischen Frühlings", der seinen Anfang in Tunesien und Ägypten nahm, haben gezeigt, welche Chancen und Möglichkeiten die Sozialen Medien in autoritären Regimen bieten. Viel wurde diskutiert, welchen Anteil sie an den Umstürzen hatten. Klar ist heute: Twitter allein macht keine Revolution – aber es kann der entscheidende Funke sein.
Twitter umgeht die Meinungszensur
In einer Umgebung, in der die klassischen Medien zensiert werden und kein offener Meinungsaustauch möglich ist, wird Twitter zum alternativen Kommunikationsmittel, zur Plattform für den politischen Diskurs. In Ägypten zum Beispiel waren vor der Revolution Notstandsgesetze in Kraft, die es möglich machten, die Medien zu unterdrücken und Journalisten zu zensieren. Das Internet wurde für viele Ägypter die einzige Möglichkeit, sich frei zu äussern.
"Durch die Neuen Medien gab es einen staatlich mässig bis gar nicht überwachten Bereich, der lange vor und zum Beginn der Umstürze die Möglichkeit bot, Informationen zu verbreiten und zu empfangen, Meinungen zu formen und ein verschüttetes Massenbewusstsein auszuprägen", heisst es in einer Untersuchung des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
So entstand ein Wir-Gefühl, die Forderungen der Demonstranten bekamen eine breitere Öffentlichkeit – sowohl im eigenen Land als auch darüber hinaus. "Selbst wenn eine politische Bewegung sich wenig über das Internet organisierte, könnte sie durch aktive Informationspolitik das Ausland zu diplomatischen Druck auf die eigene Regierung motivieren", heisst es weiter. So nutzten nach den angeblich gefälschten Präsidentschaftswahlen im Iran 2009 die jungen Demonstranten der "Grünen Revolution" Twitter, um die Weltöffentlichkeit auf die Missstände in ihrem Land aufmerksam zu machen.
Mobilisierung der Massen durch soziale Plattformen
Neben der Kommunikation ist die zweite grosse Bedeutung von Twitter die Möglichkeit zur Organisation. Sehr schnell und mit wenig Aufwand lassen sich viele Menschen mobilisieren. So entsteht ein gewisser Druck, eine kritische Masse.
Allerdings sind es am Ende nicht Tweets, die Regime stürzen können, sondern die reale Präsenz von Menschen auf Massenkundgebungen. "Nicht Facebook und Twitter sind verantwortlich für den Arabischen Frühling, sondern soziale, politische und ökonomische Missstände", heisst es in der Hamburger Studie. Aber sie helfen zumindest, die Menschen auf die Strasse zu bekommen. "Sie haben den Unzufriedenen ermöglicht, sich auf eine neue Art und Weise zu organisieren", sagt die Soziologin Zeynep Tufekci.
Welche Wucht sich dabei entfalten kann, zeigte sich Mitte März in der Türkei. Über Twitter verbreite sich die Nachricht vom Tod eines 15-jährigen Jungen, der bei den Protesten vom Gezi-Park von einer Gaspatrone am Kopf getroffen worden war. Über die Hashtags #BerkinElvan und #Gezi wurden Treffpunkte und Zeiten verbreitet – so versammelten sich im ganzen Land Zehntausende zu Protesten.
Kein Wunder, dass Erdogan sich bedroht fühlt. Ein wenig mehr hätte er sich aber vielleicht mit Twitter auseinandersetzen sollen. Die Sperren, die er jetzt verhängt hat, sind nicht sehr effektiv. Schnell verbreiteten sich im Netz Wege, sie zu umgehen, zum Beispiel durch Dienste, die verschleiern, von wo aus man surft. Oder einfach durch das Senden einer SMS.
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