Schockmoment bei der Formel 1: Beim Grand Prix von Österreich krachten Kimi Räikkönen und Fernando Alonso in die Leitplanke. Alonso sprach von einem "normalen Unfall" – nannte danach aber eine Belastung von 44 g. Was bedeutet das für einen Menschen und wann wird es gefährlich?
Der Grand Prix von Österreich in Spielberg am Wochenende war nicht einmal eine Runde alt, als der Ferrari und der McLaren in die Leitplanke schlitterten. Kimi Räikkönen (Ferrari) bekam seinen Wagen nicht unter Kontrolle, wie er später bestätigte – seine Reifen drehten durch, dann rutschte er nach links weg. Fernando Alonso (McLaren) beschrieb den Unfall anschliessend so: "Ich wollte ihn überholen, und er verlor sein Auto nach links. Genau da war ich. Deshalb knallten wir beide in die Leitplanke." Er sei einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, glaubt Alonso: "Es war ein ganz normaler Unfall." Doch normal sah der Unfall nicht aus.
Denn
44 g, das wäre das 44-fache des Körpergewichts – und damit eine massive Belastung für einen Fahrer. Aber was genau bedeutet das aus medizinischer Sicht? Welchen Kräften hält der menschliche Körper stand und wann wird es gefährlich?
g – was ist das überhaupt?
g-Kräfte beschreiben, welche Belastung auf einen Mensch wirken, wenn er Beschleunigungen oder Änderungen von Geschwindigkeiten ausgesetzt ist. Das klingt abstrakt und lässt sich am einfachsten mit der Erdanziehungskraft verstehen, die 1 g beträgt. Noch genauer wird es, wenn man sich Alltagssituationen ansieht: Drückt der Fahrer in einem normalen Auto aufs Gaspedal, wirken rund 0,3 g auf ihn. In der Formel 1 sind es hingegen schon deutlich mehr: 1 bis 1,5 g. Und wenn die Rennfahrer auch noch in Kurven einfahren, können es sogar 5 g sein. Bei Astronauten, die ins All reisen, sind es etwa 3 bis 4 g. Auf sie wirkt damit also das drei- bis vierfache ihres eigenen Körpergewichtes ein.
Welche Kräfte hält der menschliche Körper aus?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa der Art der Belastung und wie trainiert ein Mensch ist. "Kampfpiloten können kurzzeitig bis zu 8 g aushalten. Aber sie tragen auch Spezialanzüge und führen Atemtechniken durch", erklärt Dr. Günther Schönweiss im Gespräch mit unserem Portal. Schönweiss ist Fliegerarzt im bayerischen Nüdlingen und führt medizinische Untersuchungen für alle Tauglichkeitsklassen durchführt. Anzüge und Pressatmung würden verhindern, dass ein Pilot bewusstlos wird – etwa wenn er extreme Manöver fliegt. Für mehr als zehn bis 15 Sekunden sei jedoch auch das kaum möglich, sagt Schönweiss.
Was passiert mit dem Körper, wenn die Belastung zu gross wird?
Wie im Beispiel des Piloten verliert der Mensch als erstes das Bewusstsein. Schönweiss spricht von einem sogenannten Greyout, der Vorstufe zum Blackout: "Das Gehirn bekommt nicht mehr genug Sauerstoff, man sieht keine Farben mehr, sondern nur noch Schwarz-Weiss und wird schliesslich bewusstlos." Wirken die extremen Kräfte weiter, können Organe beschädigt werden. Wo diese "Organzerreissung" auftritt, hängt laut Schönweiss von den jeweiligen Schwächen eines Menschen ab. Ein Beispiel aus dem Alltag – wie auch aus der Formel 1 – ist ein Autounfall, bei dem es zu einem Milzriss kommen kann. Im schlimmsten Fall trifft es auch die Hauptschlagader des Menschen, die Aorta.
Ist Kraft gleich Kraft?
Nein, denn neben der Beschleunigung und in welchem Zeitraum diese stattfindet, ist auch die Richtung entscheidend. "Beschleunigungen, die senkrecht zur Körperachse wirken, sind für den menschlichen Organismus weitaus besser zu verkraften", schreibt Dr. Klaus Hannemann, Raumfahrzeug-Experte vom Max-Planck-Institut, in einem Fachbeitrag. Hannemann leitet die Abteilung Raumfahrzeuge im Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Deshalb würden Astronauten auch in ihren Kapseln liegen, wenn sie wieder in die Erdatmosphäre eintreten.
Schnell kann auch eine negative Beschleunigung zur Last werden, wie sie etwa auf eine Person wirkt, die auf dem Kopf steht. Diese -1 g stellten für gesunde Menschen normalerweise kein Problem dar, schreibt Hannemann. "Schon kleine Überschreitungen dieser Marke werden allerdings als sehr unangenehm und unter Umständen als schmerzhaft empfunden." Bereits bei -3 g könne es zum Redout kommen, bei dem man nur noch rot sieht, da das Blut in den Kopf und damit in die Netzhaut und Blutgefässe des Auges gepresst wird.
44 g – wie ist diese Zahl nun zu bewerten?
Im Fall der Formel 1 sind solche Daten schwer einzuschätzen, oft gibt es mehrere Messungen oder Berechnungen. Genannt werden manchmal jedoch nur die Spitzenwerte, in anderen Fällen wiederum gleich mehrere. In der Regel fehlt dabei aber eine wichtige Angabe: Wie lange wirkte die Kraft ein? Von Bedeutung ist auch, ob ein Fahrer frontal in ein Hindernis knallt oder seitlich wie Alonso daran entlang schrammt. So kommt es, dass die blosse Anzahl der g nur begrenzte Schlüsse über die Folgen des Unfalls aussagt.
Andere Fahrer waren weit grösseren Belastungen ausgesetzt und überstanden diese. Als etwa Luciano Burti 2001 in Spa in einen Reifenstapel krachte, sollen bei ihm 86 g gemessen worden sein. Burti hatte mit einer Gehirnerschütterung und Hirnblutungen zu kämpfen, überlebte jedoch am Ende.
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