Die Nachricht schlug ein: 200 Millionen US-Dollar Privatfinanzierung sind an das junge onkologische Biotech-Unternehmen ADC Therapeutics gegangen. Ein Rekord in Europa seit 2015, der die Vitalität des Westschweizer "Health Valleys" verdeutlicht.

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Die Ankündigung führte in der Westschweiz zu grossen Schlagzeilen: ADC Therapeutics, ein junges Waadtländer Unternehmen, das sich auf modernste Behandlungsmethoden von Krebserkrankungen spezialisiert hat, konnte fast 200 Millionen Franken an privaten Investitionen aufbringen. Das ist ein Rekord seit 2015 und zeigt, dass das Westschweizer "Health Valleys" weiter wächst.

Die Finanzierung sei mit neuen und bestehenden Investoren realisiert worden, schrieb ADC Therapeutics am 23. Oktober in einer Mitteilung. Bereits im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen 105 Millionen Dollar aufbringen. Seit dessen Gründung 2012 konnten insgesamt 455 Millionen Franken an Investorengeldern angezogen werden.

Mit den neuen Mitteln sollen die beiden in der Testphase befindlichen Medikamente ADCT-301 und ADCT-402 weiterentwickelt werden. Diese beiden Substanzen sind Gegenstand von vier klinischen Studien in verschiedenen Subtypen von Lymphknotenkrebs und Leukämie.

"Die beiden Medikamente, die wir testen, sind sehr wirkungsvoll für Patienten, die keine therapeutischen Alternativen mehr haben", sagte Chris Martin, Direktor von ADC Therapeutics, gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS. Insgesamt plant das Waadtländer Unternehmen die Entwicklung von acht Medikamenten, von denen jedes mehr als eine Milliarde Dollar pro Jahr einbringen soll.

Forschung im Ausland

Doch einige Experten relativieren diese Mittelbeschaffung, die auf den ersten Blick spektakulär erscheinen mag. "Die Beträge entsprechen den Standards im Biotech-Bereich", sagt Jordi Montserrat, Co-Direktor von Venture Kick und Leiter von Venturelab in der Westschweiz.

Montserrat bedauert zudem, dass diese Ankündigung nicht ein Unternehmen betrifft, das in der Schweiz forscht. Denn die Laboratorien von ADC Therapeutics befinden sich gegenwärtig in Grossbritannien und den USA. Am Schweizer Standort von ADC Therapeutics befinden sich neben dem Management namentlich die Rechts- und Finanzdienstleistungen der Gruppe. Nach der Ankündigung dieser Spendenaktion sollen rund 30 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, davon einige im Kanton Waadt.

"Health Valley" statt "Silicon Valley"

"Diese Operation stärkt die gesamte Schweiz als führenden Wissenschaftsplatz im Kampf gegen Krebs", kommentierte hingegen die Waadtländer Tageszeitung 24 heures am Dienstag. Sie erinnerte daran, dass "der Erfolg von ADC Therapeutics und anderen solchen Unternehmen im Kontext kolossaler Investitionen zwischen Lausanne und Genf steht, die sowohl von der Privatwirtschaft als auch von Behörden getätigt wurden".

Seit Beginn der 2000er-Jahre sind in der Westschweiz Betriebe der Bio- und Medizinaltechnologie entstanden, welche die Region zu einem wahren "Health Valley" gemacht haben (so genannt in Anspielung auf das Silicon Valley in Kalifornien). Diese rasch wachsende Konstellation erstreckt sich vom Kanton Wallis im Osten bis nach Genf im Westen und nach Neuenburg und Bern im Norden.

Dazu gehören fast 1000 Unternehmen aus dem Bereich Life-Sciences, von Start-ups bis hin zu multinationalen Unternehmen wie Baxter, Debiopharm oder UCB Farchim, Inkubatoren sowie 20 Forschungseinrichtungen und Universitäten. Insgesamt beschäftigen diese 25'000 Personen, womit die Westschweiz zusammen mit den beiden englischen Regionen Cambridge und Oxford eines der drei grössten europäischen Zentren des Sektors ist.

Günstiges Ökosystem

Doch diese Erfolgsgeschichte entwickelte sich nicht immer nur in eine Richtung: 2012 führte die Schliessung des Genfer Standorts von Merck Serono zu einem Verlust von 1250 Arbeitsplätzen und einer Schockwelle in der gesamten Genfersee-Region. Seither ermöglichte die Eröffnung eines Biotech-Campus' am ehemaligen Standort von Merck Serono in Genf, das Trauma des Weggangs des deutschen Unternehmens deutlich zu mindern.

Der Wegzug von Merck Serono erinnerte jedoch daran, dass die aussergewöhnliche Entwicklung der letzten Jahre in dieser Region fragil bleibt. "Diese Unternehmen [aktiv in der Biotechnologie] sind sehr mobil. Wenn die Bedingungen ungünstig werden, könnten sie sehr schnell weiterziehen", sagt Benoît Dubuis, Direktor des Genfer Biotech Campus'.

Das "Health Valley" spielt dabei eine zentrale Rolle und ist ein wichtiger Trumpf, um Biotech-Unternehmen für eine Ansiedlung in der Schweiz zu überzeugen. "Diese Unternehmen verstehen, welche Vorteile sie haben, wenn sie sich in dieses Ökosystem integrieren können", sagt Dubuis.


(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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