Mehl in die Wunde und Elektroschocks ins Gehirn: Früher haben Mediziner und Patienten auf bestimmte Behandlungsmethoden geschworen. Heute fragt man sich, wie man nur auf solche Ideen kommen konnte. Manche fragwürdige Methoden gibt es aber heute noch.
Ein völlig entkräfteter Mensch liegt in einem Bett. Links und rechts fliesst aus seinen Unterarmen Blut in grosse Schüsseln. Heute würden sich bei diesem Anblick bei jedem Mediziner die Nackenhaare zu Berge stellen. Im Mittelalter war der Aderlass eine beliebte Methode zur Behandlung von kranken Menschen.
Aderlass galt als reinigend
"Der Gedanke war, dass mit dem Blut auch das Übel aus dem Körper ausgeschieden wird. Da das venöse Blut beim Aderlass im Gegensatz zum hellen arteriellen Blut sehr dunkel ist, hat das die Menschen in dieser Annahme bestärkt", erklärt Jens Wagenknecht, niedergelassener Hausarzt in Varel und Mitglied des Bundesvorstandes des Deutschen Hausärzteverbandes.
Die Schwächung des Menschen wurde dabei in Kauf genommen. Sie wurde sogar als läuternd und reinigend und damit als Teil des Heilungsprozesses angesehen. "Diese Lehre beruhte auf den nicht vorhandenen Kenntnissen der Anatomie", sagt der Experte.
Das Problem bei dieser Art von Behandlung: Der grosse Blutverlust führt zu einer extremen Schwächung des Organismus und kann unabhängig von der Erkrankung des Patienten zum Tod führen.
Salz gegen Brandwunden
Noch vor wenigen Jahrzehnten stiess man auf Behandlungsmethoden und Hausmittel, die heute als fragwürdig erscheinen. Es bestand beispielsweise die feste Überzeugung, dass auf eine Brandwunde am besten Mehl, Butter oder Salz gehört, um die Wundheilung zu beschleunigen.
"Brandwunden sind eine Herausforderung für den Organismus. Gerade hier wurde schon allerlei ausprobiert und oft Schiffbruch erlitten", weiss Hausarzt Jens Wagenknecht. Stattdessen wurde Salz in die Wunde gestreut, das laut dem Mediziner zwar desinfizierend wirke, doch auch für grosse Schmerzen sorge.
Weitere Probleme: Butter auf der Wunde kann zu einem Hitzestau führen oder es geraten Keime hinein. Mehl kann die Wunde verkleben und die Heilung eher erschweren als fördern. Kleine Wunden verheilen durch den natürlichen Wundverschluss, also die Krustenbildung, oft ganz unproblematisch.
Eiskalte Bäder
Auch eiskalte Bäder führen nicht unbedingt zu dem erhofften gesundheitsfördernden Effekt. "Ein Eisbad ist für einen gesunden, jungen Menschen sicher kein Problem. Der Körper verkraftet die Temperaturabsenkung. Bei einem kranken Menschen kann das Ganze aber durchaus problematisch werden und zu Komplikationen führen", so der Hausarzt.
Es komme bei dieser Anwendung auf die Dauer und Dosierung an. Grundsätzlich hält der Arzt die Therapie mit einem Wechsel von warmen und kalten Temperatureinflüssen, so wie es Sebastian Kneipp vorschlägt, für hilfreich. "Dass die Wasseranwendungen Wirkung zeigen, ist unbestritten."
Elektroschocktherapie
Die Elektroschocktherapie wurde in den 1930er Jahren zur Behandlung von schweren psychischen Störungen entwickelt. Dabei wird im Gehirn unter kontrollierten Bedingungen ein Krampf ausgelöst, der geschädigte Neuronen dazu anregen soll, sich zu regenerieren und neu zu organisieren. Das Gehirn soll sozusagen neu gestartet werden.
Dennoch ist die Elektroschocktherapie bis heute nicht unumstritten. Vielen spuken die Bilder der Vergangenheit im Kopf, in denen Patienten sich während der Stromimpulse krampfhaft aufbäumen. Die Elektroschocktherapie oder Elektrokrampftherapie hat sich als Therapiemethode in der Behandlung der schweren Depressionen etabliert und ist eine wichtige Ergänzung zu Medikamenten.
Lobotomie
Ebenfalls umstritten ist die Lobotomie. Dabei wurden Anteile des Grosshirns mit einem speziellen Messer durchtrennt. "Das war ein sehr radikaler Eingriff", sagt Wagenknecht. Doch man habe bei der Behandlung von Schwersterkrankungen, etwa psychisch gestörten Menschen, eine Lösung in diesem Verfahren gesehen.
Das Problem: Quervernetzungen werden durchtrennt. Es werden quasi alle Stecker gezogen. Die Methode nimmt grossen Einfluss auf das Denken und kann zu einer ausgeprägten Wesensveränderung führen. Aufgrund erheblicher Nebenwirkungen geriet sie in den 1950er Jahren in Verruf.
Auch die Entwicklung von Psychopharmaka liess diese Behandlungsart in den Hintergrund rücken. In der modernen Medizin spielt dieses Verfahren in weiterentwickelter Form jedoch immer noch eine Rolle. Durch moderne Gerätschaften wie MRT kann sie viel verfeinerter und gezielter in bestimmten Arealen angewendet werden, um zum Beispiel überaktive Nervenbahnen stillzulegen.
Stand heute
Gibt es auch heute Therapien und Behandlungsmethoden, die gar nicht so gesund sind, wie wir glauben?
Ja, sagt der Arzt. Viele Alltagsbeschwerden werden heute auf Mangelerscheinungen und Unverträglichkeiten geschoben. Der postulierte Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen ist für Wagenknecht so eine Modeerscheinung. Jeder, der sich nicht gut oder schlapp fühlt, bescheinigt sich selbst einen Mangel und nimmt unnötigerweise Präparate oder Nahrungsergänzungsmittel.
Dabei ist der Arzt überzeugt, von Mangelerscheinungen und Mangelernährung kann bei uns gar keine Rede sein. "Wir haben eine eher gute, ausgewogene Ernährung. Dafür spricht, dass wir immer älter werden. Das lässt sich nicht allein mit dem medizinischen Fortschritt erklären."
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