Der Mensch hat unsichtbare Begleiter, von denen er wenig mitbekommt: Billionen Mikroorganismen tummeln sich auf und in seinem Körper. Vor allem Bakterien im Darm haben einen immensen Einfluss auf Gesundheit, Krankheit – und auch auf unser Körpergewicht.
Bakterien siedeln überall am menschlichen Körper. Je nach Körperregion ist die Bakterienbevölkerung (auch als Mikrobiota bezeichnet) völlig unterschiedlich zusammengesetzt. Im Darm sitzt die umfangreichste und komplexeste Mikrobiota. Sie wird in grossem Masse durch die Ernährung beeinflusst.
Darmflora beeinflusst Entstehung von Krankheiten
Mit unseren winzigen Mitbewohnern leben wir in einer unschätzbaren Symbiose: Der Mensch fungiert als Wirt, die Bakterien unterstützen im Gegenzug das Immunsystem und die Verdauung. Doch das ist längst nicht alles, wie man erst allmählich herausfindet.
Mittlerweile gibt es immer mehr Hinweise, dass Darmbakterien ein wichtiger Faktor in der Entstehung von Krankheiten sind, erklärt Dr. rer. nat. Andreas Schwiertz auf dem Symposium des Verbandes für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB).
Asthma, Depressionen, Diabetes, aber auch Adipositas könnten durch die Darmflora beeinflusst werden, sagt Schwiertz, Leiter des Bereichs Forschung und Entwicklung am Institut für Mikroökologie.
Adipositas kann übertragen werden
Die nationale Verzehrsstudie II aus dem Jahr 2008 zeigt, dass allein in Deutschland jeder Fünfte adipös, also fettleibig, ist. Gravierender noch sind die Zahlen in den EU-Ländern Griechenland, England und Spanien. In Amerika sind gar 27,7 Prozent der Bevölkerung fettleibig. Übergewicht scheint sich wie eine Epidemie in Industrienationen auszubreiten.
Ist daran allein die Ernährung schuld? Forscher haben herausgefunden, dass auch die Bakterien im Darm einen Einfluss auf unser Gewicht haben können. Eine Studie an Mäusen zeigt: Die Darmflora von Adipösen produziert zusätzliche Energie.
In dem Versuch transplantierte man die Stuhlflora einer adipösen Maus in den Darm einer schlanken Artgenossin. Letztere nahm – ohne Veränderungen in der Fütterung – im Anschluss an Gewicht zu.
Es gebe Hinweise, dass sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, sagt Schwiertz. Im vergangenen Jahr habe es einen vergleichbaren Fall gegeben. Eine Frau habe eine Infektion gehabt, die nicht mehr mit Antibiotika zu behandeln war. "Die Dame – sie selbst war schlank - bekam eine Fäkaltransplantation von ihrer adipösen Tochter." Die Patientin sei daraufhin selbst adipös geworden, obwohl sie ihr normales Essverhalten beibehalten habe. "Es scheint so zu sein, dass ihre Tochter ihr die Adipositas übertragen hat."
Machen Darm-Bakterien dick?
Es handelt sich hier nur um einen einzigen Fall, die Aussagekraft ist daher begrenzt. Doch Schwiertz ist sicher: "Die Darmflora hat definitiv einen Einfluss auf die Gewichtszunahme." Man habe in einer Studie festgestellt, dass adipöse Menschen eine grössere Menge kurzkettiger Fettsäuren aufwiesen, die in der Darmflora produziert wurden. "Die Bakteriengemeinschaft der Adipösen hat daher viel mehr Energie zur Verfügung gestellt als bei Dünnen."
Bis zu 300 Kilokalorien aus Nahrungsbestandteilen, die eigentlich als unverdaulich gelten, können bei Adipösen durch bestimmte Bakterien freigesetzt werden – zusätzliche Energie, die Übergewicht verstärkt. Aufs Jahr gerechnet summieren sich 300 überschüssige Kilokalorien pro Tag immerhin auf fast 16 Kilogramm Fettgewebe.
Sind Bakterien also schuld an Adipositas? Nein, findet Schwiertz. "Es müssen viele Faktoren zusammenkommen. Ein adipöses Problem bekommt man nicht von heute auf morgen. Damit Adipositas entsteht, muss auch entsprechend Energie zugeführt werden."
Schlank durch Fäkaltransplantation?
Das Mittel der Wahl, um eine Adipositas zu bekämpfen, sei eine Ernährungsumstellung. Denn die Ernährung bleibt der Hauptfaktor für Übergewicht: "Man ernährt sich falsch, dadurch ändert sich die Bakteriengemeinschaft. Diese führt dann noch ein bisschen mehr Energie zu - aber sie ist nicht schuld daran, dass man adipös ist." Stellt man die Ernährung um, verändert man auch die Mikrobengemeinschaft im Darm wieder.
Eine Fäkaltransplantation - wie im oben erwähnten Fall, nur umgekehrt -, um Adipöse schlank zu machen, hält Schwiertz für keine gute Idee. "Fäkaltransplantationen werden mittlerweile auch in Deutschland gemacht. Das sind aber experimentelle Studien bei schwerkranken Patienten, bei denen Antibiotika nicht mehr hilft. Dann ist das das letzte Mittel der Wahl."
Auch wenn man enorme Erfolge durch Fäkaltransplantationen verbuche – zum Beispiel bei Infektionen mit dem Krankenhauserreger Clostridium difficile -, "ob es bei anderen Erkrankungen wie chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Adipositas funktioniert, weiss man noch nicht genau."
Es gebe zudem Risiken: Durch die Fäkaltransplantation könne man dem Patienten auch Krankheiten übertragen, die er erst später ausbildet, zum Beispiel Diabetes oder Morbus Crohn. "Das wissen Sie nicht, denn Sie transplantieren eine de facto unbekannte Mikrobengemeinschaft und wissen nicht, wie der Patient darauf reagiert."
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