Die Ahnenforschung mit Hilfe von Gentests boomt. Seit dem sehr emotionalen viralen Video einer grossen Reisesuchmaschine wollen immer mehr Menschen herausfinden, woher sie kommen. Aber was bringen diese Tests wirklich?

Mehr zum Thema Gesundheit

Es klingt verblüffend simpel: Einfach den Mundraum mit einem Wattestäbchen abstreichen, das Wattestäbchen in ein Röhrchen schieben und an eine der vielen Unternehmen schicken, die Ahnenforschung mit Hilfe von DNA als Dienstleistung anbieten.

Sie heissen zum Beispiel "My Heritage", "23andMe", "ancestry" oder "iGENA". Ihr Versprechen: die eigene Geschichte entdecken. Die Preise schwanken zwischen 69 und 1279 Euro.

Das Ergebnis im viralen Video: Ein nationalstolzer Brite, der die Deutschen nicht mag, ist zu 5 Prozent deutsch. Eine Kurdin, die die Türkei nicht leiden kann, hat Vorfahren im Kaukasus. Überraschend. Aber was bedeutet das genau?

Die DNA-Test haben keinen wissenschaftlichen Wert

Die Herkunft eines Menschen zu bestimmen, klingt gar nicht so schwer. In Laboren wird das persönliche Genom im Speichel aufgeschlüsselt und mit einer riesigen DNA-Datenbank auf der ganzen Welt verglichen. Durch Gemeinsamkeiten in der DNA-Sequenz kann man herausfinden, wo die eigenen Vorfahren gelebt haben.

Genau diesen Punkt sieht Mark Stoneking kritisch. Er ist Professor am Max-Plank-Institut für evolutionäre Anthropologie in der Abteilung für evolutionäre Genetik: "Diese Daten sind nicht realistisch, sondern modell-basiert. Man hat eine gewisse Anzahl an Referenz-DNA und die Zuordnung der Herkunft erfolgt dann nach dem Prinzip: 'Wir ordnen so zu wie es am wahrscheinlichsten ist'. Die Prozentangaben sind nur eine ungefähre Einschätzung und sollten nicht zu ernst genommen werden", erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein gutes Beispiel für diese Ungenauigkeit ist der Beginn der DNA-Ahnenforschung, kurz nachdem 2001 das menschliche Genom vollständig sequenziert wurde.

"Als vor 15 Jahren die ersten dieser Tests gemacht wurden, stellte man fest, dass etwa zehn Prozent der Europäer von amerikanischen Ureinwohnern abstammen. Das ist eigentlich unmöglich. Später fand man raus, dass diese Vorfahren asiatischen Ursprungs waren. Man hatte damals nicht alle Daten und darum das genommen, was am besten passt. Das ist ungenau", sagt Prof. Stoneking.

Er selbst hat noch nie einen solchen Test gemacht, weil er für ihn nicht von wissenschaftlichem Wert ist.

Natürlich wächst die Anzahl an Referenzpersonen und damit die Genauigkeit mit jedem, der einen solchen Test machen lässt. Das nach eigenen Angaben grösste Unternehmen für DNA-Analyse ist "iGENA" und hat mittlerweile 850.000 Kundenprofile. Die meisten davon stammen aus Europa. Je exotischer die eigene Herkunft also ist, umso ungenauer werden die Ergebnisse.

Erkenntnisse nur über einen Bruchteil unserer Vorfahren

Die Anzahl unserer Vorfahren steigt exponentiell an, je länger man zurückgeht. Jeder hat zwei Eltern, vier Grosseltern, acht Ur-Grosseltern, sechzehn Ur-Ur-Grosseltern und so weiter. Die DNA-Ahnenforscher bieten an, tausende Jahre in der eigenen Geschichte zurückzugehen. Wenn man rein rechnerisch nur 500 Jahre zurückgeht, also etwa 30 Generationen, hat man schon eine Milliarde Vorfahren.

Man erfährt aber nicht über alle etwas, sondern nur über zwei Linien: die der Mutter und die des Vaters. Das lässt eine knappe Milliarde Menschen aussen vor.

Nachher genauso klug wie vorher

Natürlich ist es erst mal überraschend, wenn man als Deutscher herausfindet, dass man zu 20 Prozent aus Skandinavien kommt, oder vom Mittelmeer. Bei genauerer Betrachtung ist das aber logisch.

Die Menschen sind schon immer gerne umhergewandert, haben fremde Welten erobert und sich natürlich auch in der Ferne fortgepflanzt.

"Wenn man nur ein paar tausend Jahre zurückgeht, dann haben wir alle gemeinsame Verwandte. Der Mensch ist erst 350.000 Jahre alt. Wir haben als Spezies noch keine lange Geschichte. Und obwohl wir alle unterschiedlich aussehen sind wir genetisch nah miteinander verwandt", erklärt Prof. Stoneking im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ich stamme von Wikingern ab. Und jetzt?

Mark Thomas, Professor für evolutionäre Genetik am University Collage in London hat die DNA-Ahnenforschung im "Guardian" als "genetische Astrologie" abgetan. So einfach ist es dann aber doch nicht. Man sollte den Einfluss solcher Ergebnisse auf den Menschen nicht herunterspielen, meint Sebastian Markett, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der Humboldt-Uni in Berlin:

"Wir wollen erklären, warum wir so sind, wie wir sind. Das ist ein emotionales Bedürfnis des Menschen. Wie vergleichen uns mit Freunden und sehen oft das, was wir schlechter machen. Wir wollen erklären, warum bin ich ängstlicher, weniger sportlich. Und obwohl die Gen-Tests ungenau sind, kann ich eine nette Story dazu erfinden. Ob die stimmt, ist was anderes. Aber das kann einem auch guttun und Kraft geben", erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Menschen werden zu 50 Prozent durch die Gene geprägt

Dass Menschen ihre Identität in den Genen suchen ist teilweise sogar richtig. Die Frage, ob wir eher von unserer Umwelt oder unseren Genen geprägt werden, ist eine schon sehr alte in der psychologischen Forschung.

"Man kann überhaupt nicht leugnen, dass Genetik einen Einfluss auf uns hat. Die Psychologie hat sich lange gestritten wie viel Einfluss Gene und wie viel Einfluss Umweltfaktoren haben. Heute wissen wir: Genetische Faktoren beeinflussen unser Verhalten und unsere Persönlichkeit zu etwa 50 Prozent", erklärt Professor Markett.

Dennoch sollte man die Ergebnisse eines DNA-Tests auch mit Vorsicht betrachten. In dem viral gegangenen Video sagt eine Teilnehmerin, dass Rassismus eigentlich keinen Sinn macht, weil wir alle irgendwie genetisch miteinander verbunden sind. Das klingt erst mal sehr romantisch, kann sich aber laut Professor Markett auch ins Gegenteil umkehren.

"Wenn ich einen DNA-Test mache und da steht, ich bin fünf Prozent Skandinavier, dann weiss ich gar nicht, welche Gene das genau sind, die ich da abbekommen habe. Und wir wissen auch nicht, was das genau bedeutet. Man ist dann ganz schnell bei irgendwelchen Stereotypen, die man mit einer Volksgruppe verbindet und das ist dann schon gefährlich", erklärt er.

Diese Tests haben also durchaus ihre Berechtigung und können bei der Persönlichkeitsfindung helfen, allerdings sollte man sie mit Gelassenheit hinnehmen und nicht zu viel hereininterpretieren.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.