• Ein feucht-fröhliches Experiment an der Universität Witten-Herdecke stimmt Mediziner sorgenvoll.
  • Nach Alkoholgenuss schätzen viele die eigene Trunkenheit falsch ein.
  • Was könnte helfen?

Mehr Ratgeberthemen finden Sie hier

Nach dem Genuss von Bier und Wein unterschätzt einem Experiment zufolge ein grosser Teil der Menschen seinen Atemalkoholwert - und überschätzt die Fahrtauglichkeit. Den alkoholträchtigen Versuch an der Universität Witten-Herdecke im Ruhrgebiet beschreiben Mediziner im Fachmagazin "Harm Reduction Journal".

90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland - mit guter körperlicher Fitness und durchschnittlich 24 Jahre alt - waren für die Studie aufgefordert, sich unter kontrollierten Bedingungen mit Pils und Weisswein zu betrinken. Dabei sollten sie unter anderem einschätzen, wann sie die gesetzliche Promillegrenze zum Autofahren erreicht hatten. In Deutschland liegt diese bei einem Wert von 0,5 Promille.

Studienleiter: Häufigkeit der Fehleinschätzungen bereitet Sorgen

Die Probanden sollten bei dem Versuch solange weitertrinken, bis sie ihrer Meinung nach die Promillegrenze erreicht hatten. An einem ersten Studientag meldeten sich demnach 39 Prozent der Teilnehmer erst, nachdem sie schon über der Schwelle waren. An einem zweiten Studientag waren es sogar 53 Prozent, die zu viel getrunken hatten. Einige wenige überzogen das gesetzliche Limit sogar sehr deutlich - und hielten sich noch immer für fahrtüchtig.

Die Ergebnisse seien unabhängig davon gewesen, ob die Probanden zuerst Bier oder Wein getrunken hatten. Auch das Geschlecht habe keinen wesentlichen Unterschied bei der Fähigkeit zur Selbsteinschätzung gemacht, heisst es in der Studie.

"Die Häufigkeit der Fehleinschätzungen muss uns deshalb Sorgen machen, weil im Strassenverkehr ja wenige reichen, um schwerwiegende Unfälle auszulösen", sagte Studienleiter Kai Hensel, der inzwischen am Universitätsklinikum Göttingen arbeitet, der Deutschen Presse-Agentur. Zudem habe sich gezeigt, dass der Hang zum Unterschätzen der eigenen Trunkenheit mit zunehmendem Alkoholkonsum noch steigt: Je mehr die Probanden tranken, desto weiter wich ihre Selbsteinschätzung von den tatsächlichen Messwerten ab.

Bewusstsein für Einfluss von Alkohol muss geschärft werden

"Allerdings gibt die Studie auch Hinweise auf gewisse Lerneffekte, so dass wir glauben, dass es durchaus helfen kann, das eigene Bewusstsein für den Effekt von Alkohol auf die Fahrtüchtigkeit zu schärfen", sagte Hensel weiter. Es sei daher sinnvoll, bei Aufklärungskampagnen erfahrbar zu machen, wie schnell das eigene Limit in Sachen Fahrtüchtigkeit erreicht sei - etwa durch Teststationen in Bereichen, wo Alkohol getrunken werde, so Hensel.

Im Experiment wurden durchschnittlich beispielsweise 1,4 Liter Bier in etwas über zwei Stunden getrunken, bis die Promillegrenze überschritten war. Beim Weisswein genügte eine knappe Flasche - "wobei davon auszugehen ist, dass der nach mehr als zwei Stunden gemessene Atemalkoholwert von dann jeweils 0,6 Promille auch nach Trinkstopp noch weiter ansteigt, weil der Alkohol nach und nach ins Blut übergeht", sagte Hensel. Zudem hatten die Teilnehmer zuvor alle gemeinsam gegessen.

Lesen Sie auch: Alkohol: Bin ich suchtgefährdet oder gar abhängig?

WHO: Verkehrsunfälle sind die häufigste Todesursache bei Kindern und jungen Menschen

Alkohol am Steuer stellt den Experten zufolge trotz vieler Aufklärungsbemühungen weltweit noch immer ein hohes aber vermeidbares Unfall- und damit Gesundheitsrisiko dar. Laut jüngsten Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich etwa 1,3 Millionen Menschen weltweit infolge eines Unfalls.

Für Kinder und junge Erwachsene im Alter von fünf bis 29 Jahren stellen demnach Verletzungen im Strassenverkehr die häufigste Todesursache dar. Risikofaktoren seien dabei unter anderem die Überschreitung der Geschwindigkeit und das Fahren unter Einfluss von Alkohol sowie anderen psychoaktiven Substanzen. (dpa/ari)

Lesen Sie auch: Was ist schlimmer, Kiffen oder Trinken? Der Versuch einer Einordnung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.