In einigen Ländern wird mit speziellen Flaschenetiketten auf Alkoholika vor den Gefahren für Ungeborene gewarnt. In Deutschland setzt man hingegen auf die Vernunft und Aufklärung werdender Mütter. Offensichtlich nicht energisch genug, denn noch immer unterschätzen viele Schwangere die verheerende Auswirkung von Alkohol auf das ungeborene Leben.

Mehr zum Thema Gesundheit

58 Prozent der werdenden Mütter trinken gelegentlich Alkohol, ergab eine Umfrage des Robert-Koch-Instituts unter Schwangeren. Mit fatalen Folgen: Allein in Deutschland kommen jährlich zwischen 4.000 und 10.000 Babys mit dem fetalen Alkoholsyndrom, das heisst mit verschieden stark ausgeprägten geistigen und/oder körperlichen Behinderungen, zur Welt. "Das Fetale Alkoholsyndrom ist die häufigste Ursache für Behinderungen, die nicht genetisch bedingt sind, sondern durch eine Substanz. Die Kinder sind in ihrer Hirnentwicklung geschädigt, weil Alkohol ein Gift ist, das die Nervenzellen angreift", erklärt Reinhold Feldmann von der Uniklinik Münster im Interview mit "Stern.de".

Organische und körperliche Missbildungen: Das Fetale Alkoholsyndrom (FAS)

In schweren Fällen werden Kinder, die im Mutterleib Alkohol ausgesetzt waren, mit organischen Schäden und äusserlichen Missbildungen, wie etwa einem geringen Kopfumfang, tiefer sitzenden Ohren, kurzer Nase und sehr kleinen Augen sowie extrem schmaler Oberlippe geboren. In der abgeschwächten Form, die auch Fetaler Alkoholdefekt genannt wird, sind die Kinder äusserlich zwar gesund, doch ist ihr Zentrales Nervensystem irreparabel geschädigt. Das heisst, sie sind oft unterentwickelt, verhaltensauffällig und lernen nicht so schnell wie Kinder gleichen Alters.

Vor allem in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten wirkt sich Alkoholkonsum besonders stark auf das ungeborene Kind aus, denn in dieser Zeit entwickeln sich die Nervenzellen und Organe. Da Alkohol die Zellteilung beeinflussen kann, besteht die Gefahr, dass wichtige Entwicklungsschritte unterbrochen oder gar komplett verhindert werden. Aber auch nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel kann das Zellgift noch fatale Auswirkungen vor allem auf das Zentrale Nervensystem des Babys haben, da das Gehirn während der gesamten Schwangerschaft reift.

Alkohol stört aber nicht nur auf direktem Weg die Entwicklung des ungeborenen Kindes und kann dadurch gesundheitliche Schäden bei ihm verursachen. Auch indirekt kann er die Aktivität des Stresssystems bei der Mutter wie bei dem Baby erhöhen und es so anfälliger für stressbedingte Krankheiten machen. Zudem fördert Alkohol in der Schwangerschaft eine spätere Alkoholabhängigkeit des Kindes.

Alkohol sollte während der Schwangerschaft tabu sein

Alkohol passiert problemlos die Plazentaschranke und gelangt so ungefiltert in den Blutkreislauf des Babys. Der Alkoholspiegel des Fötus ist daher genauso hoch wie der der Mutter. Da der kindliche Organismus den Alkohol im Vergleich zur Mutter aber nur langsam abbauen kann, verbleibt das Gift länger im Körper und hat so genug Zeit, irreparable Schäden zu verursachen. "Gerade die kognitiven Beeinträchtigungen lassen sich nicht rückgängig machen", sagt Hans-Ludwig Spohr, ehemaliger Chefarzt einer Berliner Kinderklinik, im Interview mit "Zeit Online". Die meisten dieser Kinder sind im Erwachsenenalter nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen.

Welche Menge Alkohol schon die Gesundheit des ungeborenen Kindes gefährdet, ist nicht eindeutig geklärt. So gibt es Tage im Verlauf der Schwangerschaft, in denen wenig Alkohol unbedenklich sein kann. Dann gibt es aber auch Tage, in denen schon ein kleines Glas Sekt ausreicht, um schwere gesundheitliche Schäden bei dem Kind im Mutterleib zu verursachen. Da niemand mit absoluter Sicherheit sagen kann, wo genau dieses Zeitfenster liegt, sollte Alkohol in der Schwangerschaft am besten generell tabu sein.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.