Seit Jahrzehnten vertrauen Frauen bei der Verhütung auf die Antibabypille. Mittlerweile herrscht bei vielen allerdings Unsicherheit: In welchem Verhältnis stehen Vorteile und Risiken zueinander? Wir haben bei einem Experten nachgefragt.
Bei ihrer Einführung in den 1960er Jahren galt die Antibabypille als ein modernes und wirksames Mittel, das Frauen mehr Selbstbestimmung und Freiheit bezüglich ihrer Familienplanung gab. Heute herrscht angesichts Berichten über schwerwiegende Nebenwirkungen wie Depressionen, Übelkeit und einem erhöhten Thromboserisiko zunehmende Verunsicherung darüber, in welchem Verhältnis ihr Nutzen und ihre Risiken stehen.
Bei der hormonalen Verhütung wird durch die Zufuhr geringer Mengen an Geschlechtshormonen die Befruchtung einer Eizelle verhindert. Am bekanntesten ist die orale Einnahme in Pillenform, aber auch die Hormonspirale oder das Stäbchen-Implantat beruhen auf demselben Grundprinzip. Die hormonalen Methoden gelten in Bezug auf die Schwangerschaftsverhütung als die zuverlässigsten. Gegen sexuell übertragbare Krankheiten schützen sie allerdings nicht.
Pille ist nicht gleich Pille
Neben der zuverlässigen Verhütung gehört zu den Vorzügen der Antibabypille auch, dass sie starken Blutungen und Regelbeschwerden entgegenwirken kann. Laut Ludwig Kiesel, Direktor an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Universitätsklinikum Münster, wird die Pille seit ihrer Einführung immer wieder weiterentwickelt, um ihre Verträglichkeit zu erhöhen und verschiedene gewünschte Zusatzwirkungen zu erreichen. So können einige Varianten eine übermässige Körperbehaarung hemmen oder Hautunreinheiten verhindern.
Die Unterschiede zwischen den zahlreich angebotenen Präparaten sind gross. Die meisten enthalten eine Kombination aus den beiden Hormonen Östrogen und Gestagen. Nachdem bei Pillen der neueren Generation, die etwa das Gestagen Drospirenon enthalten, ein erhöhtes Thromboserisiko festgestellt wurde, kam bereits vor einigen Jahren die Diskussion auf, ob der Nutzen und die Gesundheitsgefahren in einem sinnvollen Verhältnis stehen.
Auch wenn das Risiko gering sei, sei die Abwägung schwierig, sagt Kiesel. "Es ist kein Medikament gegen schwere Erkrankungen. Bei einem Medikament, das beispielsweise gegen Krebs eingesetzt wird, nehmen Sie auch schwerere Nebenwirkungen in Kauf."
Gefährliches Lifestyle-Produkt?
Einige Hersteller mussten sich dem Vorwurf stellen, dass sie die Pillen der neueren Generation massiv über die Zusatzeffekte wie dem Versprechen von schönerer Haut bewerben, aber nicht ausreichend auf die erhöhte Thrombosegefahr hinweisen.
Gegen Bayer, den Hersteller der Pille "Yasmin", klagten in den USA deshalb mehrere Tausend Frauen. In Deutschland versucht eine Anwenderin seit 2011, eine Schadensersatzforderung in Höhe von 200.000 Euro geltend zu machen, weil sie Gesundheitsschäden auf die Einnahme eines Präparats von Bayer zurückführt. Von der ersten gerichtlichen Instanz wurde diese Klage abgewiesen, weil die gesundheitlichen Probleme der Klägerin nicht zweifelsfrei auf die Einnahme der Pille zurückzuführen seien.
Es herrscht grosse Verunsicherung
Eine teils undifferenzierte Berichterstattung über die Risiken der Pille sorge für grosse Verunsicherung, berichtet Kiesel. Viele Frauen hätten sie in den vergangenen Jahren deshalb gänzlich abgesetzt mit der Folge, dass es mit weniger zuverlässigen Verhütungsmitteln vermehrt zu ungewollten Schwangerschaften gekommen sei.
Laut dem Gynäkologen bedarf es einer ausgewogenen Beratung, bei der die Risiken der unterschiedlichen Präparate ebenso wie ihre gesundheitlichen Vorteile erklärt werden, damit Frauen eine informierte Entscheidung treffen können.
Risiken der Pille
"Bei den Nebenwirkungen wird vorrangig die Thrombose genannt, weil es sich dabei um eine Erkrankung handelt, die potenziell ernste Folgen nach sich ziehen kann", sagt Kiesel.
Von einer Thrombose spricht man, wenn in einem Blutgefäss ein Blutgerinnsel entsteht und es verstopft. Sie kann gefährlich werden, wenn sich Teile des Blutgerinnsels lösen, in die Lunge wandern und dort ein Blutgefäss verstopfen. Eine solche Lungenembolie kann im schlimmsten Fall zum Herz-Kreislauf-Versagen führen.
Das Risiko einer Thrombose ist jedoch bei Frauen in dem Alter, in dem Schwangerschaftsverhütung eine Rolle spielt, relativ gering. Laut einer Übersicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sehen die Zahlen konkret folgendermassen aus:
Bei der regelmässigen Einnahme ...
- ... von Kombinationspräparaten der jüngeren Generationen, die Drospirenon, Gestoden oder Desogestrel enthalten, bekommen etwa neun bis zwölf von 10.000 Frauen innerhalb eines Jahres eine Venenthrombose.
- ... von Kombinationspräparaten der älteren Generationen, die Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat enthalten, bekommen etwa fünf bis sieben von 10.000 Frauen innerhalb eines Jahres eine Venenthrombose.
Im Vergleich treten bei etwa zwei von 10.000 Frauen, die keine hormonalen Verhütungsmittel verwenden und nicht schwanger sind, Venenthrombosen auf.
Hormonpräparate können aufs Gemüt schlagen
Nicht jede Frau verträgt die unterschiedlichen Pillen-Präparate gleich gut. Typische Beschwerden, über die Anwenderinnen berichten, sind Zwischenblutungen, Kopfschmerzen, ein Verlust der Libido und Stimmungsschwankungen.
Allgemein ist die Pille Kiesel zufolge jedoch relativ gut verträglich. Es gebe viele Frauen, die keine Probleme mit ihrer Nutzung hätten.
Eine Nebenwirkung, die durchaus gefährlich sein kann, ist der Einfluss von Hormonpräparaten auf das Gemüt. Mehrere Studien haben einen Zusammenhang zwischen der Verwendung hormonaler Verhütungsmittel und Depressionen bis hin zu Suizidgefahr festgestellt. Wer hormonelle Verhütungsmethoden verwendet und unter Niedergeschlagenheit leidet, sollte das unbedingt seinem Arzt gegenüber ansprechen und alternative Methoden in Betracht ziehen.
Pille hat auch gesundheitliche Vorteile
Neben der Tatsache, dass hormonale Methoden bei der Schwangerschaftsverhütung am zuverlässigsten sind, können sie auch gesundheitliche Vorteile haben. Vor allem sei dabei an die Verhütung von Eierstockkrebs zu denken, sagt Kiesel. "Es gibt kein anderes Medikament, das annähernd so wirksam das Risiko einer Krebsart senkt, die häufig viel zu spät erkannt wird", betont er.
Auch scheinbar weniger wichtige Zusatzwirkungen wie ein reineres Erscheinungsbild der Haut als reine Lifestyle-Versprechen zu bezeichnen, greife vielmals zu kurz. Häufig handle es sich um eine starke Akne, unter der Frauen ernsthaft litten, die durch die Einnahme einer geeigneten Antibabypille behoben werde.
Pille: Risiken mit Arzt besprechen
Die Pille ist nicht für alle Frauen die beste Verhütungsmethode. Insbesondere bei zusätzlichen Faktoren, die ein Thromboserisiko erhöhen – wie Rauchen oder Übergewicht – oder wenn sich eine depressive Verstimmung einstellt, sollten sich Frauen über nicht-hormonell wirkende Alternativen informieren.
Allen Frauen pauschal von der Nutzung der Pille abzuraten und so für eine allgemeine Verunsicherung zu sorgen, ist laut Kiesel jedoch auch nicht der richtige Weg. Stattdessen müssten Nutzen und Risiken unterschiedlicher Präparate und Methoden mit einem Arzt oder einer Ärztin beraten und individuell abgewogen werden.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. Ludwig Kiesel, Direktor an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Universitätsklinikum Münster und Kommissionsmitglied der wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe DGGG
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Venöse Thromboembolien und kombinierte hormonale Kontrazeptiva
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Suizidalität als mögliche Folge einer Depression unter der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Rote-Hand-Brief zu kombinierten hormonalen Kontrazeptiva
- Deutsche Apotheker Zeitung: „Pillenmüde“ – von den Nebenwirkungen der Kontrazeptiva/"Streit um 'Yasminelle' geht in die nächste Instanz"
- Techniker Krankenkasse: "Pille - Was sind die Risiken?"/"Pillenreport - Ein Statusbericht zu oralen Kontrazeptiva"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.