Im Netz geht ein Video viral, in dem Blutproben und ein angeblicher Impfstoff unter einem Mikroskop untersucht werden. Experten sagen, die Untersuchung entspreche keinen wissenschaftlichen Standards. Über Inhaltsstoffe von COVID-Impfungen oder Blutveränderungen durch Impfstoffe sagen die Bilder demnach nichts aus.
Über WhatsApp verbreitet sich ein Video, das angeblich die Ergebnisse einer Blutuntersuchung bei Geimpften und Ungeimpften zeigt. Es soll beweisen, dass sich das Blut von Geimpften verändert, das von Ungeimpften hingegen "normal" aussieht. Ausserdem werde angeblich ein Impfstoff gegen COVID-19 unter einem Mikroskop untersucht.
Wir haben Experten um eine Einschätzung des Videos gebeten. Sie erklärten übereinstimmend, dass die Blutuntersuchung im Video keinen wissenschaftlichen Standards entspreche und die Ergebnisse nicht aussagekräftig seien.
Der Mann, der das Video aufgenommen hat, nennt sich auf Telegram "Tommy Selbstdenker" und auf Instagram "Tommy Positiv". Auf dem Telegram-Kanal des Mannes werden unter anderem Beiträge der Partei "Freie Sachsen" geteilt, die das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz am 17. Juni als "erwiesene rechtsextremistische Bestrebung" einstufte.
In dem Video wird Menschen in den Finger gestochen und der austretende Blutstropfen unter einem Mikroskop untersucht
In dem Video ist zu sehen, wie acht Menschen in den Finger gestochen und der austretende Blutstropfen auf einen Objektträger aufgebracht wird, anschliessend wird etwas unter einem Mikroskop untersucht. Dabei entstehen Bilder wie die folgenden:
In dem Video wird behauptet, vier der Menschen seien geimpft, vier ungeimpft. Das Blut der Ungeimpften fliesse, wohingegen das Blut von Geimpften verklumpt sei und "zusammenklebe". Es seien sogenannte "Geldrollen" zu sehen, also rote Blutkörperchen dicht aneinander. Diese seien durch drei Gründe erklärbar: Wassermangel, Elektrosmog oder eine Impfung gegen COVID-19.
Diese Geldrollen bilden sich nicht nur bei allen angeblich geimpften Probanden, sondern auch bei zwei ungeimpften Probanden. Bei ihnen sei die Geldrollenbildung "nicht so krass wie bei den Geimpften", heisst es im Video.
Die sogenannte Geldrollenbildung entsteht dann, wenn sich rote Blutkörperchen aneinanderlagern oder wenn zu viel Blut auf einen Objektträger aufgetragen wird. Das erklärten Experten für CORRECTIV.Faktencheck bereits für einen Faktencheck vom 30. September. Weiter sagten sie, dass ein Wassermangel üblicherweise nicht durch mikroskopische Untersuchungen diagnostiziert werde und sich unter einem Mikroskop nur dann ein Unterschied durch Wassertrinken feststellen lasse, wenn ein Mensch zuvor "massiv dehydriert" gewesen sei.
Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen rund um die Corona-Pandemie in unserem Live-Blog
Experte: "Eine Blutuntersuchung wird so nicht durchgeführt"
Das Video ordnete Thorsten Kaiser, leitender Oberarzt am Institut für Labormedizin am Universitätsklinikum Leipzig, per E-Mail für CORRECTIV.Faktencheck ein: "Eine Blutbilduntersuchung wird so nicht durchgeführt."
Eine Beurteilung der Blutzellen sei beispielsweise nur dann möglich, wenn blutgerinnungshemmende Substanzen eingesetzt würden. Ohne solche Zusätze verklumpten die Blutplättchen, so entstünden die im Video zu sehenden Geldrollen. Das deute jedoch nicht auf eine Krankheit hin.
Bei der geringen Anzahl an Probanden sei es zudem wahrscheinlich, dass die Ergebnisse rein zufällig seien. Laut Kaiser zeigt sich das auch daran, dass bei angeblich ungeimpften Probanden eine Geldrollenbildung zu sehen sei.
Der Facharzt Veit Bücklein vom Klinikum der Universität München erklärte CORRECTIV.Faktencheck, die Bilder im Video seien mittels Dunkelfeld-Mikroskopie erstellt worden. Der Nutzen dieser Diagnosemethode zur Erkennung von Erkrankungen sei aber nicht erwiesen. Die Methode sei "in der Vergangenheit zum Beispiel zur Krebs-Früherkennung oder zur Erkennung von Fehlernährung" vorgeschlagen worden. Sie sei dafür jedoch nicht geeignet.
Experte: "Wenn das Blut so langsam wie unter dem Mikroskop durch die Blutgefässe der Patienten fliessen würde, würden sie unmittelbar versterben"
Dass sich unterschiedliche Bilder bei den Probanden ergeben, lässt sich laut Kaiser durch mehrere Faktoren erklären. Zum einen setze bei manchen Menschen eine Verklumpung des Blutes schneller ein als bei anderen. Hinzu kämen weitere Faktoren, wie zum Beispiel die Temperatur des Glasplättchens, auf dem das Blut unter das Mikroskop geschoben wird oder die Dicke des Bluttropfens. Auch die Zeit bis zum Mikroskopieren spiele eine Rolle. Unklar sei ausserdem, wie die Probandinnen und Probanden ausgewählt worden seien und ob zum Beispiel einige blutverdünnende Medikamente einnehmen. Ebenso unklar sei, ob der Impfstatus korrekt angegeben worden sei.
Veit Bücklein weist darauf hin, dass die im Video thematisierte "Fliessbewegung" des Blutes unter dem Mikroskop davon kommt, dass es unter dem Deckglas durch das Zusammendrücken noch in Bewegung sei.
Laut Thorsten Kaiser lassen die Bilder keine Schlussfolgerungen zum Blutfluss innerhalb des Körpers und der Blutgefässe zu, weil das Blut im Körper nicht gerinne. "Wenn das Blut so langsam wie unter dem Mikroskop durch die Blutgefässe der Patienten fliessen würde, würden sie unmittelbar versterben", schrieb Kaiser.
Angebliche Impfstoffaufnahmen greifen altes Narrativ von angeblichen Parasiten auf
Neben den Blutuntersuchungen wurde in dem Video angeblich auch ein nicht benannter Impfstoff untersucht. Darin seien Würmer sowie deren Eier oder Glas enthalten. Weiter wird über metallische Inhaltsstoffe und Mikrochips spekuliert.
Solche Behauptungen sind nicht neu. Dass die Impfstoffe angeblich metallische Bestandteile enthalten würden, hatte CORRECTIV.Faktencheck am 30. September in einem Faktencheck als unbelegt bewertet. Bilder von angeblichen Parasiten an Corona-Abstrichstäbchen erwiesen sich im März als falsch. Es handelte sich laut Forensiker Mark Benecke um Textilfasern.
Konrad Steinestel vom Bundeswehrkrankenhaus in Ulm kommentierte ähnliche Aufnahmen im Zusammenhang mit der sogenannten Pathologiekonferenz auf Twitter mit den Worten, es handele sich schlicht um "Dreck", in einem Fall sei vermutlich eine Textilfaser zu sehen. Seine Aussage belegte er mit dem Bild eines "x-beliebigen staubigen Präparats", welches er selbst aufgenommen habe.
Zu den Bildern im aktuell kursierenden Video schrieb Thorsten Kaiser, es sei unklar, "wie der Impfstoff aufgetragen und bearbeitet" worden sei. Bei den gezeigten Strukturen handele es sich wahrscheinlich um Verunreinigungen oder Strukturen, die sich durch das Trocknen von Flüssigkeiten bildeten.
Die angeblichen "Parasiten" sind laut Experten vermutlich Verunreinigungen der untersuchten Proben oder Objektträger
Auch Veit Bücklein vom Uniklinikum München schreibt an CORRECTIV.Faktencheck, es sei "völlig unklar, was hier mikroskopiert wurde". "Meiner Ansicht nach handelt es sich um Verunreinigungen und Fremdkörper, die sich nicht vermeiden lassen, solange man nicht in einer staubfreien Umgebung arbeitet. Spekulationen über Mikrochips (die mikroskopisch völlig anders aussehen, wie ja eigentlich gut bekannt ist) ergeben keinen Sinn". Für ihn sei durch das Video "in keiner Weise erwiesen", dass es sich um Glas oder Metall handele, "auch eine Vielzahl z. B. kristalliner Strukturen" könne unter dem Mikroskop so aussehen wie die Strukturen, die im Video gezeigt werden.
Thorsten Kaiser schrieb in seiner E-Mail, dass solche Verunreinigungen, wenn sie in das Blut von Menschen gelangen würden, eine Blutvergiftung auslösen würden. Auch Gefässverschlüsse mit "schwersten, akuten Durchblutungsstörungen" seien wahrscheinlich. Verunreinigungen wie Metall oder Glas würden im Muskel nach der Impfung "wahrscheinlich eher einen Abszess (Eiterhöhle) auslösen".
Dass Impfstoffe tatsächlich in der gezeigten Art verunreinigt sind, ist laut dem Mediziner unwahrscheinlich: "Allein unser Labor untersucht mehr als 1.000 Blutausstriche pro Tag. Entsprechende Würmer/Parasiten zeigen sich weder bei Geimpften noch bei Ungeimpften".
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.