Stillen ist etwas Natürliches – soweit der Konsens. Trotzdem fühlen sich viele Mütter diskriminiert, wenn sie ihrem Kind in der Öffentlichkeit die Brust geben. Die Empörung darüber gebärt einen eigenen Internet-Trend: Mütter posten Selfies davon, wie sie ihren Nachwuchs stillen. Diese sogenannten Brelfies gefallen allerdings nicht jedem.

Mehr zum Thema Gesundheit

Stillen in der Öffentlichkeit ist noch nicht salonfähig. So empfinden es zumindest die Frauen, die unter den Hashtags #brelfie und #normalizebreastfeeding (dt. "normalisiert das Stillen") Selfies posten, während das Baby an ihrer Brust nuckelt. Das Stillen sei schliesslich ganz natürlich.

Nun stellt man auch nicht unbedingt Selfies während des Toilettengangs oder Nasepopelns auf die Pinnwand - so natürlich diese Vorgänge sein mögen. Aber bei Brelfies geht es eben um mehr als nur Natürlichkeit oder öffentliche Akzeptanz: Man möchte den Mutterstolz teilen.

Mittlerweile haben die Medien das Thema für sich entdeckt. Das amerikanische "Time"-Magazine steigerte mit dem Titel "Are you Mom enough?" ("Sind Sie Mutter genug?") den Verkauf der Online-Abos um ein Vielfaches. Das Cover zeigt eine junge Frau, an deren Brust ihr vierjähriger Sohn nuckelt.

Selbst Hochglanzmagazine wie die australische "Elle" springen auf den Zug auf, Stars - wie Ex-Topmodel Cindy Crawford im Tweet unten - sind voll des Lobes – schliesslich handelt es sich um eine gute Sache.

Eine gute Sache also? Das sieht nicht jeder so. Kritik kommt laut britischem "Telegraph" von unerwarteter Seite: Vielen Eltern ist der Brelfie-Wahn ein Dorn im Auge. Er stelle diejenigen Mütter öffentlich bloss, die ihre Kinder mit der Flasche füttern. Nicht jede Frau ist schliesslich körperlich in der Lage, ihrem Baby Muttermilch zu geben. Der "Telegraph" zitiert eine Umfrage nach der sich sieben von zehn Müttern dafür verurteilt fühlen, dass sie ihr Kind mit der Flasche füttern. Vier von zehn hätten den Eindruck, dass sie "als Mutter versagt hätten".

Der Offenbarungswahn im Netz wirft auch Fragen auf: Wie lange darf man sein Kind überhaupt stillen? So hat es die Australierin Maha Al Musa schon in diverse Zeitschriften und ins australische National-Fernsehen geschafft, weil sie ihre sechsjährige Tochter stillt. Auch auf ihrem Facebook-Profil propagiert Al Musa ihr Vorgehen wieder und wieder als normal und natürlich.

Dem britischen "Independent" sagte die 52-Jährige, dass Muttermilch die beste Nahrung sei, die ihr Kind bekommen könne. Das scheint sich nicht mit den Moralvorstellungen aller Menschen zu decken: "Ekelhaft" kommentierte eine Leserin unter einem Blog-Artikel über Al Musa.

Normal ist es sicher nicht, Kindern im Schulalter die Brust zu geben. Die Nationale Stillkommission in Deutschland erkennt Muttermilch zwar ebenfalls als "beste Nahrung" an ... für Säuglinge. Die Bedeutung des zusätzlichen Stillens neben normaler Kost nehme am Ende des ersten und im Laufe des zweiten Lebensjahres ab.

Trotzdem ist längeres Stillen für die körperliche Gesundheit des Kindes unbedenklich, wie ein Experte "Spiegel Online" sagt: "Wenn das Kind teilgestillt ist und die überwiegende Menge der Nahrung aus einer ausgewogenen Ernährung besteht, gibt es keine Besorgnis für eine Nährstoffunterversorgung", so Berthold Koletzko vom Klinikum der Universität München. Auswirkungen auf die seelische und mentale Entwicklung könne man allerdings nicht ausschliessen.

Auch die Stillkommission gibt keine ausdrückliche Empfehlung, wann man mit dem Stillen endgültig aufhören sollte: "Mutter und Kind bestimmen gemeinsam, wann abgestillt wird."

Stillen ist also nicht nur Ausdruck einer einzigartigen Verbindung von Mutter und Kind, sondern auch Ausdruck einer höchst privaten Entscheidung. Ob sie diese Privatheit mit einer anonymen Internetgemeinschaft teilen möchte, muss jede Frau selbst abwägen.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.