Eine neue Studie findet im Widerspruch zu anderen Ergebnissen keine langlebigen Immunzellen nach mRNA-Impfungen gegen Sars-CoV-2 und Corona-Infektionen. Was bedeutet das für die eigene Impfentscheidung?

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Der Herbst ist da und mit ihm hustende Mitmenschen in überfüllten U-Bahnen und Wartezimmern. Da stellt sich so manche und so mancher die Frage: Sollte ich mich nicht doch noch einmal gegen Sars-CoV-2 impfen lassen?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt gesunden Erwachsenen, die jünger sind als 60 Jahre, sowie gesunden Schwangeren derzeit keine Auffrischungsimpfung – vorausgesetzt, sie verfügen über eine Basisimmunität, bestehend aus mindestens drei Sars-CoV-2-Kontakten, entweder durch Infektion und/oder Impfung.

Wie man inzwischen weiss, ist der Schutz vor einer Ansteckung selbst nach mehrmaligen Corona-Infektionen oder Impfungen häufig von kurzer Dauer. Das hat unter anderem zwei Gründe: Das Corona-Virus ändert von Zeit zu Zeit sein äusseres Gewand und versucht auf diese Weise, der Immunabwehr zu entkommen. Die aktuell verwendeten Corona-Impfstoffe lösen ausserdem keine Schleimhaut-Immunität aus. Sie sorgen also nicht für IgA-Antikörper, die das Virus bereits direkt an der Eintrittspforte in Nase und Rachen blockieren würden.

Der Schutz vor einer schweren Covid-Erkrankung hält dank der Basisimmunität im Vergleich zum Ansteckungsschutz aber weitaus länger. Verantwortlich hierfür sind neben zielsicheren Antikörpern, die das Virus an seiner Ausbreitung hindern, vor allem die T-Zellen. Das ist eine Gruppe von Immunzellen, die virusinfizierte Körperzellen rasch erkennt und abtötet.

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Wie lange sich das Immunsystem nach einer Corona-Infektion oder Impfung an den Erreger erinnern kann, ist noch unklar. Dazu, ob und in welchem Umfang ein zuverlässig vor schwerer Erkrankung schützendes und über Jahre bis Jahrzehnte andauerndes Immungedächtnis ausgebildet werden kann, gibt es widersprüchliche oder keine Daten.

Ein US-Team von der Emory-University in Atlanta sorgt jetzt mit einem Studienergebnis für Aufsehen: Danach soll sich nach mRNA-Impfungen gegen das Corona-Virus kein langlebiges Immungedächtnis ausbilden. Was hat es mit dieser Studie auf sich? Und was bedeutet das für die persönliche Impfentscheidung?

Immunologisches Langzeitgedächtnis sitzt im Knochenmark

Der Sitz des Langzeitgedächtnisses ist das Knochenmark. Dort lassen sich Plasmazellen nieder. Sie sind aus einer Gruppe von Immunzellen, den B-Zellen, entstanden. Die wiederum sind durch den Kontakt zum Virus aktiv geworden. Im Knochenmark können die Plasmazellen maximal lebenslang überdauern und dabei fortwährend Antikörper freisetzen.

Als Ausgangspunkt für ihre aktuellen Forschungen nennt das US-Team um die Immunologin Frances Eun-Hyung Lee jetzt eine scheinbar paradoxe Beobachtung: Schon früh während der Pandemie hatten Forschende nach einer Corona-Infektion oder Impfung Plasmazellen im Knochenmark entdeckt, die Antikörper gegen das äussere Spike-Protein des Corona-Virus produzieren.

Man nahm an, dass aus diesen Plasmazellen eine langanhaltende Gedächtnisantwort entstehen würde – Langzeitdaten standen aber zu diesem Zeitpunkt verständlicherweise noch nicht zur Verfügung. Seitdem wurde immer deutlicher, dass die Antikörper-Mengen gegen Corona im Blut nach einer Infektion oder Impfung rasch absinken, obwohl Sars-CoV-2-spezifische Plasmazellen im Knochenmark zu finden sind.

"Die Langlebigkeit des antikörpervermittelten Schutzes gegen Infektionskrankheiten hängt davon ab, ob die Impfstoffe langlebige Plasmazellen im Knochenmark etablieren können oder nicht. Sie sind die Quelle der zirkulierenden Antikörper für Jahre bis Jahrzehnte", schreibt die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale-Universität auf dem Kurznachrichtendienst X.

Keine langlebigen Plasmazellen nach mRNA-Impfung

Frances Eun-Hyung Lee und ihr Team von der Emory University fahndeten nun im Knochenmark von 19 gesunden Erwachsenen nach langlebigen Plasmazellen, die Antikörper gegen das Corona-Virus herstellen. Alle Teilnehmenden waren mehrfach mit einem mRNA-Impfstoff gegen Sars-CoV-2 geimpft. Der letzte Booster lag bis zu 21 Monate zurück. Fünf der 19 hatten sich in der Vergangenheit zudem mit dem Corona-Virus angesteckt.

Doch auch das "half" nicht. Kurzlebige antikörperproduzierende Plasmazellen gegen das Corona-Virus gab es im Knochenmark sehr wohl. Langlebige Plasmazellen fanden sich dagegen kaum – weder bei denen, die mehrfach geimpft waren, noch bei denen, die zusätzlich eine Corona-Infektion hinter sich hatten.

Ganz anders das immunologische Langzeitgedächtnis gegen Tetanus und Grippe, über das die Immunabwehr der Testpersonen ganz eindeutig verfügte – alle Teilnehmenden waren im Laufe ihres Lebens gegen Tetanus und Grippe geimpft worden.

"Aus irgendeinem Grund bringt die Impfung gegen das Spike-Protein mit einem mRNA-Impfstoff selbst in Kombination mit einer Infektion keine langlebigen Plasmazellen hervor, die langfristig IgG gegen das Virus liefern", fasst Akiko Iwasaki die Studienergebnisse auf X zusammen. Antikörper des Typs IgG werden etwa drei Wochen nach dem ersten Kontakt mit einem Erreger gebildet.

Immungedächtnis: Pandemie offenbart Wissenslücken

Das Ergebnis der Emory-Forschenden reiht sich ein in die Studien anderer Teams, die ebenfalls kein langlebiges Immungedächtnis gegen Corona – nach Impfung oder Infektion – fanden. Es steht allerdings auch im Gegensatz zu anderen Untersuchungsergebnissen. So gelang es einem Team des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin erst kürzlich, langlebige Plasmazellen gegen Corona im Knochenmark von geimpften Personen nachzuweisen.

Die Corona-Pandemie habe ein bemerkenswertes Unwissen über das immunologische Gedächtnis offenbart, schreiben Mir-Farzin Mashreghi und andere Forschende vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum. Die widersprüchlichen Ergebnisse zum immunologischen Corona-Gedächtnis rühren ganz offenbar auch daher, dass es noch grosse Wissenslücken zum Immungedächtnis allgemein gibt. Zum Beispiel: Welche genauen molekularen Merkmale machen die Träger des Langzeitgedächtnisses aus? Die Emory-Forschenden identifizierten die langlebigen Plasmazellen anhand ihrer äusseren "Hausnummern".

Mithilfe bestimmter Marker-Proteine auf der Oberfläche ordneten sie die Immunzellen bestimmten Gruppen zu: In der vorliegenden Arbeit unterschieden die Forschenden kurzlebige von langlebigen Immunzellen beispielsweise anhand des Oberflächenmoleküls "CD19". Die Plasmazellen im Knochenmark, die CD19 auf ihrer Oberfläche tragen, sind danach kurzlebig, diejenigen, die CD19 nicht tragen, langlebig. Nicht alle Forschenden halten dies für schlüssig.

"Das ist sehr dünnes Eis", sagt der Immunologe und ausgewiesene Experte für das Immungedächtnis Andreas Radbruch, der von 1996 bis 2023 das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum leitete. Seiner Ansicht nach sei weniger die Anwesenheit von CD19 entscheidend dafür, ob eine Plasmazelle langlebig sei oder nicht, sondern vielmehr, wo im Knochenmark sich die Plasmazelle aufhalte. Es gibt dort nämlich zahlenmässig begrenzte Nischen, die einer Plasmazelle den nötigen Support liefern, damit sie Jahre bis Jahrzehnte überdauern und Antikörper produzieren kann.

"Plasmazellen wandern ins Knochenmark ein, aber nicht alle schaffen es in eine Nische", erklärt Radbruch. Beide Typen, CD19-positive und CD19-negative Plasmazellen, müssten entsprechende Unterstützerzellen in den Nischen finden und dort andocken. "Nur dann können sie überleben", so Radbruch. Die Lokalisation in den Nischen können die genutzten Testverfahren jedoch nicht darstellen. Daher hilft man sich mit den Hausnummern, doch über das geeignete Vorgehen scheiden sich die Geister. Denn die langlebigen Plasmazellen sind, was ihre äusseren Hausnummern anbetrifft, eine durchaus heterogene Truppe. Es ist noch unklar, ob diese Verschiedenartigkeit ihren Ursprung im individuellen Reifungsprozess der einzelnen Plasmazellen hat und/oder Merkmal für die tatsächliche Lebensdauer der Zellen ist.

Radbruch macht noch auf ein weiteres Missverständnis im Zusammenhang mit der Immunität gegen Sars-CoV-2 aufmerksam. Häufig werde die Abnahme der Antikörpermengen im Blut im ersten halben Jahr nach Impfung oder Infektion als Abnahme der Immunität gewertet. "Dabei ist sie nur ein Zeichen der Nachhaltigkeit unseres Immunsystems, denn die Antikörpermenge nimmt zwar um 80 bis 90 Prozent ab, aber die Qualität der Antikörper, die so genannte Avidität, nimmt um den Faktor 10 bis 100 zu. Also bessere Effizienz mit weniger Aufwand."

"Eine Infektion entspricht dreimal impfen mit mRNA."

Andreas Radbruch, Immunologe

Letztlich werde sich erst in ein paar Jahren zeigen, wie langlebig das Corona-Immungedächtnis tatsächlich ist, meint Radbruch. Denn auch die aktuelle Studie des Emory-Teams macht die Bestandsaufnahme zeitlich ja immer noch relativ dicht am Impf- bzw. Infektionstermin. Der Immunologe erwähnt eine Untersuchung des US-Forschers Ali Ellebedy, der zeigt, dass fünf Monate nach einer zweifachen mRNA-Impfung gegen Corona ungefähr zwei Drittel der Plasmazellen im Knochenmark gebildet würden wie nach einer überstandenen Infektion.

"Die Impfung ist also (was die Plasmazellen im Knochenmark anbetrifft) weniger effektiv als die Infektion – mit der Faustregel: Eine Infektion entspricht dreimal impfen mit mRNA", sagt Radbruch. Zur Zeit bestehe jedenfalls kein Grund zur Sorge, dass unser Immunschutz gegen Sars-CoV-2 nicht ausreichend sei.

Ausweg Nasenimpfstoff?

"Die Studie ist super interessant, aber wir haben noch kein abschliessendes Bild", ordnet der Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin die aktuelle Studie im "Deutschlandfunk" ein.

Klar ist aber auch heute schon, dass die aktuell verfügbaren Impfstoffe nicht (lange) vor Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen. Akiko Iwasaki sieht hier einen Ausweg in der Entwicklung von Auffrischungsimpfungen über die Nase. Sie könnten die Produktion schützender IgA-Antikörper im Nasen- und Rachenraum auslösen. Ideal wäre, wenn jeder sich einen solchen Impfstoff alle paar Monate selbst verabreichen könnte, so Iwasaki. "Wir müssen neue Wege gehen, um Atemwegsviren wie Sars-CoV-2 zu bekämpfen und Infektionen, Übertragungen und Long Covid zu verhindern."

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