• Gesundheitsexperten rechnen mit einem Anstieg der Corona-Fallzahlen im kommenden Winter.
  • Insbesondere wer unter Long Covid leidet, wägt jetzt ab, sich vorher impfen zu lassen.
  • Die Medizin gibt eine klare Empfehlung: Auch bei Long Covid bietet die Spritze Schutz vor einer erneuten Infektion und einem schweren Verlauf.

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Obwohl die Corona-Infektionen derzeit sinken, sind sich Experten sicher: Die Winterwelle wird kommen. "Die eigentliche Frage lautet, wann sie kommt", sagt auch Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie am Universitätsklinikum Essen. "Das Virus hat sich noch nicht entschieden, wie es sich weiterentwickeln möchte", lautet seine Einschätzung.

"Es werden beständig Kandidaten diskutiert, welche die jetzige Variante ablösen könnten. Es ist relativ sicher, dass sich ein neuer Typ durchsetzen wird und dass zumindest die Fallzahlen ansteigen werden." Seine Prognose: Im Januar oder Februar 2023 könnte es soweit sein. Genug Zeit also, rechtzeitig seine Impfung auffrischen zu lassen. Doch ist das auch ratsam, wenn man bereits eine Infektion durchgemacht hat und unter Long Covid leidet?

Jeder Zehnte von Long Covid betroffen

Nicht jeder, der eine Infektion mit Corona hinter sich lässt, erholt sich auch vollständig davon. Rund zehn Prozent der Genesenen leiden anschliessend unter dem Long-Covid-Syndrom.

Für Mediziner Witzke ist es denkbar, dass die Zahlen tatsächlich niedriger liegen. "Wenn ein Patient vier bis zwölf Wochen nach einer Infektion noch Beschwerden oder Symptome hat, müssen Ärzte unbedingt zusätzlich die Zeit vor der Ansteckung in den Fokus nehmen", gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Beschwerden könnten vorher schon dagewesen sein.

Dies gilt umso mehr bei neueren, weniger krankmachenden Varianten wie Omikron. Das Krankheitsbild bleibt indes diffus: Beschwerden reichen von einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Aufmerksamkeitsstörungen, auch als Brainfog oder Gehirnnebel beschrieben, Atemnot bis hin zu Angstzuständen oder depressiven Verstimmungen. "Long Covid ist auch deshalb so schwierig zu diagnostizierten, weil es keinen zweifelsfrei zuzuordnenden Biomarker oder Laborwert gibt", erklärt Witzke.

Drei Monate Wartezeit sind das Minimum

So verwundert es nicht, wenn Betroffene sich vor einer neuen Ansteckung fürchten. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Ist eine Impfung trotz Langzeitbeschwerden überhaupt möglich und medizinisch sinnvoll?

Das Robert-Koch-Institut stellt fest, dass Long Covid nicht zu den Kontraindikationen einer Corona- oder Boosterimpfung gehört. Mediziner Witzke erinnert allerdings daran, einen ausreichenden Zeitabstand zwischen Infektion und nächster Impfung vergehen zu lassen. Dieser sollte mindestens drei Monate betragen.

Der Grund: Frisch Genesene besitzen einen sehr hohen eigenen Schutz vor einer erneuten Infektion. "Eine Immunreaktion muss sich auch wieder abkühlen. Erst dann ist das Immunsystem für eine erneute Stimulation optimal zugänglich", sagt Oliver Witzke. "Es benötigt sowohl die Aufbau- als auch die Abbauphase, um ein Immungedächtnis zu entwickeln. Diesen Prozess sollte man nicht zu früh stören."

Wichtiger als die Frage nach Long Covid ist sogar die Anzahl der sogenannten Immunisierungsereignisse. Dazu zählen jede Impfung sowie jede Corona-Infektion. "Vereinfacht gesagt, bewertet man diese Ereignisse mit jeweils einem Punkt und zählt sie zusammen. Beträgt die Summe vier, ist davon auszugehen, dass ein guter Schutz vorhanden ist." Ist die Zahl niedriger, empfiehlt sich bei Risikopatienten und -patientinnen eine erneute Impfung. Gegebenenfalls so oft und mit passendem Abstand, bis der entscheidende Wert von Vier erreicht ist.

Der Gegner heisst Neuinfektion

Dennoch sollten insbesondere Long-Covid-Patienten im Auge behalten, was der eigentliche Zweck einer Impfung gegen Corona ist. "Das vordringliche Ziel ist immer der Schutz vor einer erneuten Infektion und vor einem schweren Verlauf", erinnert Wissenschaftler Witzke.

Noch sei unklar, ob sich die Hoffnung, dass sich durch eine Impfung auch die Symptome von Long Covid besserten, auch erfüllen könnte. Zwar gibt es einige Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigen, die Ergebnisse sind jedoch widersprüchlich.

"Die meisten Studien fanden heraus, dass bei vielen Patienten die Symptome unverändert bleiben. Bei einem kleinen Teil besserten die Beschwerden sich, bei einem anderen kleinen Teil verschlechterten sie sich temporär." Der grössere Teil der Studien stellten einen neutralen Effekt auf die Long-Covid-Symptome fest.

"Niemand sollte sich impfen lassen im Glauben, dass seine Long-Covid-Beschwerden dann vergehen würden. Das kann passieren, muss aber nicht passieren." Dennoch würde Witzke eine Impfung als Schutzmassnahme vor einer erneuten Corona-Infektion auch den von Langzeitbeschwerden Betroffenen empfehlen.

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Die erste Anlaufstelle bleibt die Hausarztpraxis

Long-Covid-Patientinnen und -Patienten wenden sich am besten an ihren Hausarzt. Hier können sie sich zunächst beraten oder direkt impfen lassen. In den vergangenen Jahren hat sich die Ärzteschaft intensiv mit dem Thema Corona auseinandergesetzt und so viel neues Wissen erworben, dass sie ihre Patienten kompetent begleiten können. Lediglich in komplizieren Ausnahmefällen wird die Hausärztin Patientinnen und Patienten an eine auf Long- oder Post-Covid spezialisierte Ambulanz weiterempfehlen.

Über den Experten: Prof. Dr. med. Oliver Witzke ist Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie und Infektiologie. Er leitet die Klinik für Infektiologie am Universitätsklinikum Essen.
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