Abstand von anderen Menschen zu halten, gilt als entscheidend, um eine weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Der Abstand von anderen heisst aber auch: mehr Nähe zur eigenen Familie und mehr gemeinsame Zeit in den eigenen vier Wänden. Das birgt Konfliktpotenzial, es ist aber zu schaffen. Ein Schlüssel dazu ist: Struktur.
"Social distancing", also wenige soziale Kontakte zu haben, ist das Gebot der Stunde, um die Neuinfektionen mit dem Coronavirus zu reduzieren. Die grössere Distanz von Menschen in der Öffentlichkeit bedeutet aber eine grössere Nähe zu Hause. Weil Schulen und Kitas geschlossen sind und viele Eltern im Homeoffice arbeiten, ist sie dort besonders gross.
Lange dicht beisammen zu sein, kann zu Frust führen, zumal wenn das Zusammensein nicht frei gewählt ist. Etwa weil die Kinder sich langweilen und nicht verstehen, dass ihre Eltern - obwohl sie den ganzen Tag zu Hause sind - nicht in jeder Minute des Tages mit ihnen spielen und sich mit ihnen beschäftigen können.
Oder weil die Elternteile sich untereinander nicht einig sind, wer wie viel an Kinderbetreuung übernimmt. Es gibt aber Möglichkeiten, wie sich solcher Frust möglichst kleinhalten lässt.
1. Den Tag strukturieren
Der Alltag von Kindern und Erwachsenen ist normalerweise stark strukturiert - durch Arbeit, Kita und Schule und diverse Nachmittags- und Abendaktivitäten. Das meiste fällt davon nun weg. Experten raten dazu, trotzdem eine Struktur aufrechtzuerhalten. "Struktur schafft Vertrauen und Verlässlichkeit und reduziert Angst", sagt der Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger im Gespräch mit unserer Redaktion.
Für Schulkinder kann diese Struktur aus einem Lernteil am Vormittag und einem Hausaufgabenteil am Nachmittag bestehen. "Bei Kita-Kindern wären ein Spielvormittag mit viel Bewegung und eine Ruhephase am Mittag gut", erklärt die Familientherapeutin Sigrid Sonnenholzer unserer Redaktion.
Den Plan sollte man gemeinsam entwickeln, am besten schon am Vortag. "Das kann dann durchaus wie ein Stundenplan aussehen", sagt sie.
2. Alle Interessen berücksichtigen
Konflikte in der Familie entstehen oft dadurch, dass verschiedene Interessen aufeinanderprallen, wie: Der eine möchte gern laut Musik hören, die anderen wollen lieber ihre Ruhe. Oder: Der eine möchte stundenlang Fernsehen, die anderen stört das.
Hinzu kommt im Moment noch, dass die Eltern nebenbei arbeiten müssen. Spielt sich das alles auf 60 Quadratmetern ab, kommt es fast zwangsläufig zu Streit.
"Es ist wichtig, dass die Elternteile festlegen, wer wann arbeitet und wer sich wann um die Kinder kümmert", sagt Sigrid Sonnenholzer. "Vielleicht geht es, dass sie sich stundenweise abwechseln." Nach dem gleichen Prinzip könnte man - je nach Alter der Kinder - Spielzeiten festlegen und Zeiten, in denen die Kinder alleine spielen oder sich anders beschäftigen sollen.
Grundsätzlich gilt: Bei den Plänen sollte niemand übergangen werden. "Denn das führt dazu, dass derjenige, der übergangen wurde, sich schlecht fühlt - und dann möglicherweise durch sein Verhalten mehr oder weniger absichtlich dafür sorgt, dass es den anderen auch schlecht geht", sagt der Psychologie-Professor Michael Krämer unserer Redaktion.
3. Freiräume lassen
Zu den Interessen der einzelnen Familienmitglieder gehört übrigens auch, dann und wann in Ruhe gelassen zu werden. "Am besten ist natürlich ein Raum, wo man die Tür hinter sich schliessen kann", sagt Krämer. Nicht in jeder Wohnung ist das möglich, aber vielleicht können manche Möbel so umgestellt werden, dass Schutzräume entstehen.
Auch ein Spaziergang kann helfen, sich Luft zu verschaffen. Selbst unter den strengen Ausgangsbeschränkungen ist das derzeit noch möglich.
4. Gesellschaftsspiele und Musik
Dass man sich mit Gesellschaftsspielen und gemeinsamem Singen und Musizieren gut die Zeit vertreiben kann, ist kein Geheimtipp. Gesellschaftsspiele haben aber darüber hinaus einen stabilisierenden Faktor.
"Ihre Logik und Regeln geben einen gewissen Halt. Das ist gut in Zeiten, in denen vieles unsicher ist", sagt Wolfgang Krüger. "Ausserdem macht man beim Spielen etwas zusammen - ohne dabei viel reden zu müssen." Wenn ein Kind allerdings schlecht verlieren kann, sollten die Gesellschaftsspiele lieber im Regal bleiben.
Wer gerade nicht arbeiten muss, könnte jetzt auch Dinge tun, die er oder sie schon lange tun wollte: ein Instrument oder eine Sprache lernen oder ausmisten. "Letzteres kann man auch gemeinsam mit Kindern machen. Man könnte alte Spielsachen aussortieren und eine Liste erstellen, an wen man sie verschenken will", sagt Sonnenholzer.
5. Kontakt mit der Aussenwelt halten
Vielen hilft es auch, den Kontakt zu Menschen ausserhalb der Familie zu halten - auch wenn man sie gerade nicht treffen kann. Briefe zu schreiben ist eine Möglichkeit, eine andere sind Videotelefonate und (Gruppen-)Chats.
6. Verhaltensregeln festlegen
Nicht zuletzt kann man innerhalb der Familien einige Verhaltensregeln festlegen, zum Beispiel:
- Wenn Vater, Mutter oder Kinder gerade ihre Ruhe haben wollen, wird das respektiert
- Wenn Vater und Mutter gerade ihre Homeoffice-Schicht haben, werden sie in Ruhe gelassen, damit sie arbeiten können
- Alle Mahlzeiten werden zusammen eingenommen
Wer nicht den ganzen Tag ausschliesslich Corona-Nachrichten hören und austauschen möchte, könnte auch diese Regel aufstellen: Wir sprechen nur morgens und abends darüber - und sonst über andere Dinge.
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Michael Krämer, Psychologie-Professor an der FH Münster
- Mail-Antworten von Sigrid Sonnenholzer, Paarberaterin und Familientherapeutin
- Telefoninterview mit Dr. Wolfgang Krüger, Psychologe und Psychotherapeut aus Berlin
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