Nach einem üppigen Essen ist man eigentlich schon satt. Doch kaum kommt das Dessert auf den Tisch, ist wieder Platz im Magen. Weshalb geht es vielen so? Für den neu aufkommenden Appetit sorgt ein evolutionsbiologisches Phänomen.

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Kennen Sie das? Nach einem leckeren Essen sitzen Sie satt am Tisch. Der Gedanke an einen einzigen Happen mehr lässt Übelkeit aufkommen. Diese verfliegt jedoch, sobald das Zauberwort "Nachtisch" ertönt. Plötzlich ist die Freude am Essen wieder geweckt. Mangelnde Disziplin? Nein, sagen Wissenschaftler. Ein evolutionsbiologischer Mechanismus steckt dahinter: die spezifisch-sensorische Sättigung.

Wird von einer Speise gegessen, signalisiert das Gehirn irgendwann: Davon habe ich nun genug, ich bin gelangweilt - man reiche mir eine andere Speise. Und so ist das Sättigungsgefühl dann schnell wieder verflogen, wenn noch andere Köstlichkeiten zum Verzehr bereitstehen.

Die Berliner Ernährungswissenschaftlerin Bastienne Neumann erklärt: "Greifen wir ständig zu einem Lebensmittel, werden wir nach einer Weile feststellen, dass uns der Appetit danach vergeht. Selbst unsere Lieblingsspeise könnten wir nicht täglich essen. Es kommt zu einer kurzfristigen Aversion gegen einen spezifischen Geschmack, welche durch eine Wiederholung dieses Geschmackserlebnisses hervorgerufen wird."

Sättigung ist nicht gleich Sättigung

Weiter verrät sie: "Nach dem aktuellen Kenntnisstand handelt es sich bei der spezifisch-sensorischen Sättigung und dem damit einhergehenden Bedürfnis nach Abwechslung nicht um ein rein physiologisches Signal. Man geht davon aus, dass es sich dabei vorrangig um eine Kognition handelt. Das heisst, die spezifisch-sensorische Sättigung ist nicht gleichzusetzen mit der physiologischen Sättigung."

Da der Mensch ein Omnivore ist, also ein Allesfresser, ist diese vom Kopf gesteuerte Regulation durchaus sinnvoll. Ursprünglich sollte die wahrnehmungsspezifische Sättigung einem Nährstoffmangel entgegenwirken. Doch weil der Jäger und Sammler heutzutage bevorzugt im Restaurant oder in der Küche auf Nahrungssuche geht, führt die angeborene Lust auf Abwechslung mitunter zu ungesundem Essverhalten.

Körpersignale beim Essen wahrnehmen

Doch kann man ein Relikt der Evolution überhaupt austricksen? "Das Bedürfnis nach einer Süssspeise als Abrundung eines Gänge-Menüs hat kaum etwas mit den eigentlichen körperlichen Bedürfnissen zu tun. Vielmehr steckt dahinter das Bedürfnis nach einem neuen Geschmacksimpuls."

Möchte man diesem Verhalten entgegenwirken, weil das ständige hin- und herspringen zwischen den Lebensmitteln zu Übergewicht führt, ist es wichtig, seine körperlichen Signale achtsam zu hinterfragen. "Greife ich gerade wirklich zum Essen, weil ich noch hungrig bin? Oder ist es nur die Lust auf Abwechslung? Dabei ist es besonders wichtig, den physiologischen Sättigungspunkt wahrzunehmen und mit dem Essen aufzuhören, sobald dieser erreicht ist", rät die Ernährungswissenschaftlerin.

Um ein besseres Gespür für die eigene Sättigung zu entwickeln, empfiehlt sie:

  • bewusst ohne Ablenkung durch Smartphone oder Fernseher essen
  • sich Zeit fürs Essen nehmen
  • ausführlich kauen, mindestens 20 Mal pro Bissen
  • kleinere Pausen einlegen, damit sich das Sättigungsgefühl bemerkbar machen kann. Dies dauert etwa 20 Minuten
  • Essen ohne schlechtes Gewissen zelebrieren, um die körperlichen Signale wahrnehmen zu können

Kalorienfalle Buffet

Und wie kann der natürliche Appetit auf Abwechslung im Alltag auf gesunde Weise gestillt werden? "Die Vielfalt, die wir durch die verschiedenen Mahlzeiten während des Tages zu uns nehmen, reicht in der Regel völlig aus, um uns und unseren Nährstoffbedarf zufriedenzustellen.

Meist wird der Wunsch nach Abwechslung erst dann geweckt, wenn uns diese direkt unter die Nase gehalten wird - beispielsweise am Buffet. Möchte man sich trotzdem mal ein Gericht zaubern, das eine grosse Vielfalt bietet, kann man sich an den Farben der Lebensmittel orientieren.

Als Faustformel gilt: Je bunter das Gericht, desto mehr Nährstoffe sind darin enthalten. Ein Beispiel wäre: gemischter Salat mit Fetakäse, Oliven, Kürbiskernen, Essig und Öl. Als Hauptgang ein Kokoscurry mit Süsskartoffeln, Möhren, Zucchini, Kichererbsen und Reis. Wahlweise dazu Tofu oder Hähnchenfleisch. Und als Nachtisch gibt es einen frischen Quark mit Erdbeeren und Blaubeeren."

Strategie gegen Frustfuttern

Gerade in fordernden Lebensphasen wird oft unkontrolliert gegessen. Ob vor lauter Stress am Schreibtisch oder aus Langeweile oder Liebeskummer auf dem Sofa: "Frustfuttern" wird schnell zur ungesunden Kalorienfalle. "Einer meiner Lieblingssprüche lautet: 'Wenn Hunger nicht das Problem ist, dann ist Essen nicht die Lösung'. Das heisst, wenn wir aus einem anderen Grund als aus Hunger zum Essen greifen, dann dient das Essen vor allem als Bewältigungsstrategie. Wir nutzen es, um unsere eigentlichen Probleme und Unzufriedenheiten zu kompensieren - Stress, Langeweile oder Frust. Greift man in solchen Gefühlslagen zum Essen, wirkt eine minimale Ausschüttung von Glückshormonen zwar befriedigend und verleiht uns ein gutes Gefühl, jedoch bleibt dies nur vorübergehend", so Bastienne Neumann.

"Sollte man also merken, dass das Essen vorrangig als Ablenkung genutzt wird, ist es an der Zeit, sich mit den eigentlichen Problemen dahinter auseinanderzusetzen. Wie kann ich den Stress auf der Arbeit minimieren? Welche Aktivitäten könnten mir Freude bereiten und mich von der quälenden Langeweile erlösen? Und wie schaffe ich es, nicht so schnell gefrustet zu sein? Mein Tipp ist es also, den eigentlichen Auslöser des vermehrten Essens in Betracht zu ziehen. Denn wenn wir es schaffen, den Kern unseres Problems zu lösen, müssen wir auch nicht mehr mit den Folgen kämpfen."

Fazit: Den Autopiloten sollte man beim Essen ausschalten. Denn wer bewusst isst, hat eine bessere Kontrolle über das eigene Essverhalten.

Über die Expertin:
Bastienne Neumann ist Ernährungswissenschaftlerin aus Berlin mit Schwerpunkt Ernährungspsychologie. Sie ist Autorin des Bestsellers "Erst denken, dann essen". Für ihre Kunden entwickelt sie Strategien für einen gesunden Umgang mit Nahrung und Essverhalten.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Ernährungswissenschaftlerin Bastienne Neumann
  • SSIB: Sensory Specific Satiety in Man
  • University of Chicago Press Journals: Mind over stomach: A review of the cognitive drivers of food satiation
  • Psychologie heute: Verstand schlägt Magen
  • Allgemeinarzt online: Prägung, Präferenzen und Beeinflussung
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