Vom Neandertaler bis zum heutigen Mensch hat es rund 80.000 Jahre gedauert. Aber in den vergangenen 20 Jahren hat sich die Welt um uns herum rasant verändert. Unser Körper kann da kaum mehr mithalten, weshalb man selbst handeln muss.

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Was Neandertaler gestresst hat und was uns heute stresst, könnte unterschiedlicher nicht sein.

Unserem Körper ist das egal. Seine Reaktion auf Stress hat sich in 80.000 Jahren nicht verändert. "Wir wurden erst spät zu Jägern. Ursprünglich waren wir die Gejagten und das sitzt uns noch in den Knochen fest," sagt der Ernährungspsychologe Professor Christoph Klotter im Gespräch mit unserer Redaktion.

Weil wir immer noch auf Flucht gepolt sind, schüttet unser Körper bei Stress Adrenalin aus.

Adrenalin führt dazu, dass die Zuckerreserven im Körper schnell angezapft werden, damit wir so schnell wie möglich fliehen können. Wir bauen Kohlenhydrate ab anstatt Fett. Das ergibt Sinn, wenn man wirklich wegrennen muss. Aber das müssen wir heute nicht mehr.

Wenn der Körper das Adrenalin nicht durch Bewegung abbaut, dann befinden wir uns im Dauerstress. Und die Art und Weise, wie unser Körper damit umgeht, macht alles nur noch schlimmer.

Schlaraffenland wird zur Falle

"Wir leben in einer Überflussgesellschaft und die genetische Programmierung ist da nicht hinterhergekommen. Der Körper ist darauf programmiert, so viel zu essen wie er kann", sagt Professor Kotter.

Durch den Stress verlangt unser Körper immer mehr Zucker, den wir uns ohne Probleme in jedem Supermarkt kaufen können. Die westliche Welt ist ein Schlaraffenland. Was aussieht wie ein wahr gewordener Traum, ist zu viel für unseren Körper.

Die Lösung ist laut Professor Kotter Mässigung. Auch mal nein sagen. Aber wer kann schon gegen seine eigene Biologie ankämpfen? "Wir haben anscheinend kein Talent zum Glücklichsein. Wir klagen die ganze Zeit. Wir fühlen uns vergiftet".

Dabei vergiften wir unsere Gesundheit selber. Es gibt genügend Alternativen zu Fertigessen und Zucker, dennoch werden die Menschen in Deutschland laut WHO immer dicker. Aber das ist nicht unbedingt das wahre Problem.

"Ja, das Übergewicht nimmt zu, aber die Lebenserwartung nimmt auch zu. Das ist eine gute Sache. Man muss aber auch glücklich alt werden. Es müssen sinnstiftende Aufgaben für das Alter her", sagt Professor Kotter.

Buckel schon mit 15 Jahren

Und da kommt das nächste Problem. Wie nutzen wir unsere Freizeit sinnvoll? Meist schauen wir nach unten auf ein Smartphone. Seit 2007 das erste iPhone auf den Markt kam, hat sich unser Alltag rapide geändert. Zu rapide für unsere Evolution. Das weiss der Kinderarzt Dr. Michael Horn.

"Der Kopf hat ein gewisses Eigengewicht. Etwa fünf Kilo. Wenn man den Kopf nach vorne neigt, dann ist das alles andere als eine natürliche Kopfhaltung - und von der Evolution nicht so gewollt. Wir sind ja extra in den aufrechten Gang gekommen, um uns einen Überblick verschaffen zu können", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Halswirbelsäule ist gar nicht dafür ausgerichtet, lange nach unten zu schauen. "Wenn man den Kopf nach vorne neigt, dann entstehen Hebelkräfte, die das fünf- bis achtfache an Gewicht aufbauen", sagt Horn.

Diese dauernde Zusatzbelastung führt zu verhärteten Muskeln, Bandscheibenvorfällen, Kopfschmerzen, Rundrücken und allgemeine Verschleisserscheinungen, die normalerweise erst bei Greisen auftreten - wie zum Beispiel ein Buckel.

Drei von fünf Kindern haben Schmerzen

Als erfahrener Kinder- und Jugendarzt kann Horn Veränderungen im Laufe der Jahre bei Kindern feststellen.

"Ich mache regelmässig Vorsorgeuntersuchungen. Bei fünf Untersuchungen entdecke ich bei dreien schwache Rückenmuskeln, verkürzte Muskulatur, Schmerzen. Seit 2004 habe ich meine Praxis und da war das Problem noch nicht da. Bis heute war es ein schleichender Prozess. Da merkt man eine deutliche Zunahme."

Das Gute ist, dass Kinder noch mitten in der Entwicklung stecken und Schäden ausgeglichen oder sogar beseitigt werden können. Horn rät seinen jungen Patienten: "Such Dir was, was Dir Spass macht. Sport im Verein oder Fitnessstudio und schau, dass Du Dich zwei Mal die Woche bewegst."

Alle Sportarten, die geeignet sind, die Rumpfmuskulatur zu stärken, seien ideal, erklärt Horn und merkt schmunzelnd an: "Schach gehört nicht dazu."

Wir müssen mit unserem Gehirn kämpfen

Gesund ernähren, wenig Zucker, Bewegung. Das wissen wir im Grunde alles. Trotzdem werden wir Opfer unserer Biologie. Es ist gar nicht so einfach, das Richtige zu tun, denn unser grösster Widersacher sitzt in unserem Kopf. Unser eigenes Gehirn macht es uns schwer, uns anzupassen.

"Die Aufgabe des Hirns ist nicht das Denken, die Aufgabe des Hirns besteht darin dafür zu sorgen, dass wir am Leben bleiben", sagt der Neurobiologe Gerald Hüther im Gespräch mit unserer Redaktion.

Hüther ist einer der bekanntesten deutschen Hirnforscher und blickt sorgenvoll auf den Einfluss der schnellen Digitalisierung auf unser Gehirn.

Denn hier werde laut Hüther immer einen Zustand erschaffen, in dem die Prozesse im Körper ohne grossen Energieaufwand ablaufen können.

Und die weite Welt des Internets ist allzu verführerisch für das Gehirn. Es ist viel bequemer, auf Tasten herumzudrücken und bunte Bilder anzuschauen, als im realen Leben Problem zu lösen.

"Wenn einem langweilig ist oder man unter Stress steht und sich ablenken will, dann kann man dieses Bedürfnis mit den digitalen Geräten stillen", sagt Hüther.

Je öfter man sich so ablenkt, umso stärker werden die Areale im Gehirn, die man braucht, um Bilder auf dem Smartphone oder dem Computer wahrzunehmen.

Diese anfänglich kleinen Nervenwege werden zu breiten Strassen. Und was angefangen hat als kleine Ablenkung, ist auf einmal ein eingefahrenes Programm geworden.

Gehirn schrumpelt weg

"Wenn man einmal so einen Weg geht und sich bei Stress ablenkt, dann kann man auf keinen Fall lernen, das Problem zu lösen, das den Stress verursacht hat", sagt Hüther.

Das Gehirn ist zwar zufrieden, weil das grosse Problem nach hinten geschoben wurde. Aber "wenn man sich darauf einlässt, dann kann man sich das Gehirn gleich amputieren lassen. Es ist keine Maschine, es ist ein lebendiges System. Wenn man bestimmte Bereiche nicht benutzt, dann schrumpeln sie weg".

Die vermeintliche Schwäche des Gehirns ist aber gleichzeitig die grösste Stärke. Gerade weil es ein lebendiges System ist, kann es sich immer wieder verändern. In jedem Alter.

Die breiten Strassen des Müssiggangs können wieder kleiner werden, wenn wir eine Sache beherzigen: "Wir müssen aufhören, uns Anderen zur Verfügung zu stellen. Wir dürfen uns nicht zum Objekt unseres Smartphones oder unseres Chefs machen. Die Lösung ist, 'Nein' zu sagen. Dann bewahren Sie Ihre eigene Würde als Mensch", sagt Hüther.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Gesundheits- und Ernährungspsychologen Prof. Dr. habil. Johann Christoph Klotter
  • Gespräch mit Kinderarzt Dr. med. Michael Horn
  • Gespräch mit Neurobiologen und Autor Gerald Hüther
  • Planet Wissen: Der Aufstieg der Menschen
  • Donna Magazin: Das Rushing Women Syndrom: Dr. Libby Weaver im Interview
  • Studie: 87 Prozent der Menschen in Deutschland sind gestresst
  • Welt.de: WHO Studie: Die dicke Diskrepanz zwischen deutschen Männern und Frauen
  • Ärzteblatt.de: Gerüststurz verursacht Smartphone-Brand mit Gesässverbrennung
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