Wir sind immer erreichbar, schauen fern, während wir essen und surfen den ganzen Tag im Internet. Etliche Reize prasseln ununterbrochen auf den Körper ein, sie treiben uns an, können uns ein gutes Gefühl geben. Reizüberflutung kann den Körper aber auch überlasten. Wer sich nach einem "Reset" sehnt, dem wird aktuell zum sogenannten Dopaminfasten geraten. Wir haben mit einem Experten besprochen, was am neuen Trend dran ist.

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Dopamin ist ein Botenstoff im Gehirn mit vielfältigen Funktionen. Er wird unter anderem ausgeschüttet, wenn das Gehirn kleine Erfolgsmomente wahrnimmt, wenn man also etwas tut, das man als positiv empfindet. Das kann zum Beispiel bei der Handynutzung der Fall sein, aber auch, wenn man snackt oder shoppen geht.

Dopamin löst positives Gefühl aus

Der Dopaminausschüttung liegt also eine Verknüpfung von Verhalten und dem daraus entstandenen gewünschten Ergebnis zugrunde. Das Empfinden dieses positiven Gefühls kann man gleichsetzen mit Belohnung. Der Botenstoff Dopamin funktioniert hierbei wie ein Verstärker dieser Kopplung aus Verhalten und Ergebnis – ein zentraler Mechanismus im Körper, der unser Handeln massgeblich beeinflusst.

"Man könnte es so formulieren: Das Gehirn ist im Grunde nichts anderes als ein Computer, der dazu da ist, unser Verhalten so zu adjustieren, dass wir erfolgreich handeln. Im Gehirn wird das Signal weitergegeben - das, was du gerade gemacht hast, war gut, also mach das bitte nochmal," erklärt Thilo van Eimeren, Neurologe und Professor für Multimodale Bildgebung an der Uniklinik Köln.

Nahrungsaufnahme, Berührungen, Gespräche, Handynutzung oder auch Musik – all das löst im Körper Reize aus, die zu einer Dopaminausschüttung führen können. Verhaltensmuster werden wiederholt, um dieses positive Gefühl immer wieder zu verspüren.

Verlangen nach dem Kick kann zur Sucht werden

Das körperliche Verlangen nach dem Belohnungsgefühl kann mit der Zeit immer stärker werden; hier beginnt der Teufelskreis. Verhaltensmuster werden dann immer häufiger wiederholt, gleichzeitig benötigt der Körper aber immer mehr Reize, um den "Dopaminkick" zu verspüren.

Dinge oder Handlungen, die einen normalerweise begeistert haben oder als Erfolg erlebt wurden, werden selbstverständlicher, die positive Rückkopplung wird immer weniger wahrgenommen. Im schlimmsten Fall kann sich daraus sogar eine Verhaltenssucht entwickeln, wie sie zum Beispiel aus einem übermässigen Konsum von Medien resultieren kann.

"Der Konsum von Medien oder sozialen Netzwerken kann Ähnlichkeiten haben zu dem Verhalten, das wir bei anderen Suchten sehen. Auf Kanälen wie Facebook oder Instagram gibt es immer etwas Neues, das ich noch nicht gesehen habe und wir wissen, dass neue Reize Dopamin ausschütten. Deswegen kann übermässiger Konsum durchaus zu einer Verstärkung des Verhaltens führen und dann in einer Suchtentwicklung enden," sagt van Eimeren.

Wer sich selbst hinterfragen und herausfinden möchte, ob er möglicherweise von bestimmten Verhaltensweisen abhängig ist, dem rät van Eimern dazu zu beobachten, ob sich dieses Verhalten mit dem überschneidet, das man sonst im Alltag machen würde. Ob normale Tätigkeiten wie Essen, Schlafen oder Arbeiten dadurch eingeschränkt werden.

Ein Beispiel: "Wenn man müde ist und lieber das Handy checkt, als ins Bett zu gehen, ist das ein klares Indiz dafür, dass etwas falsch läuft," erklärt der Mediziner im Gespräch mit unserer Redaktion.

Dopaminfasten soll empfindsamer machen

Hier kommt nun das sogenannte Dopaminfasten ins Spiel. Der Begriff wurde vom Psychiater Dr. Cameron Sepah von der Universitätsklinik San Francisco geprägt. Er veröffentlichte letzten Sommer einen Artikel, in dem er darstellt, dass moderne Menschen süchtig nach kleinen Belohnungen seien, die Dopamin im Gehirn ausschütten und rät zum Zwecke der Selbstoptimierung, dieses suchterzeugende Verhalten zu reduzieren.

Der Begriff Dopaminfasten ist allerdings etwas irreführend gewählt. Denn Dopamin kann man nicht fasten, es wird bei einem gesunden Menschen automatisch im Körper ausgeschüttet. Auch soll es laut Sepah nicht darum gehen, alle Stimuli aus seinem Alltag zu verbannen, sondern vielmehr darum, sich der täglichen dauerhaften Reizüberflutung zu entziehen und achtsamer mit seinem Körper umzugehen. So wird das Level der Dopaminausschüttung gering gehalten.

"Beim sogenannten Dopaminfasten verzichtet man nicht auf Dopamin, sondern auf Verhaltensweisen, die vermeintlich zu einer Dopaminausschüttung führen. Man enthält sich einer Sache, die in den Alltag integriert ist und die vielleicht nicht als so selbstverständlich angesehen werden sollte. Das kann dabei helfen, sich neu zu fokussieren und Dinge wieder neu zu geniessen, die sonst nebenher gelaufen sind," sagt der Experte.

Verzicht hilft dabei, sich neu auszurichten

Dass Dinge wieder interessanter wirken, wenn man eine Weile darauf verzichtet, kennt man vom klassischen Fasten. Nichts tun, nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen – wer das ein paar Tage durchzieht, ist anschliessend wieder empfänglicher für die eigene Umwelt.

Wer beispielsweise in der Fastenzeit auf bestimmte Lebensmittel verzichtet, wird den Genuss danach wieder mehr wertschätzen. Die Refokussierung von Körper und Geist durch Verzicht ist nichts Neues, unter dem Begriff Dopaminfasten wird sie momentan aber zeitgemäss verpackt. Dass ein gewünschter Entwöhnungseffekt auch bei einem Verzicht auf Medienkonsum auftreten kann, ist vorstellbar, wissenschaftlich aber nicht erforscht.

"Wenn man das Ziel hat, sein Verhalten zu ändern, kann Dopaminfasten der Einstieg in die Verhaltensänderung sein, aber es wird das Verhalten nicht komplett verändern, wenn man sich nicht umstellt," sagt van Eimeren.

So gelingt eine Verhaltensänderung

Wer sein Verhalten grundsätzlich ändern möchte, muss es dauerhaft anpassen. Ein paar Tage Verzicht oder Entsagung können dabei der erste Schritt in die richtige Richtung sein.

Sepah rät in Bezug auf die Smartphone-Nutzung dazu, bestimmte Zeitfenster festzulegen, in denen man seine Mails checkt oder in Social-Media-Apps unterwegs ist. Zu allen anderen Zeiten legt man das Smartphone beiseite oder schaltet es aus. Das hilft auch dabei, sich in den Off-Zeiten besser auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu können.

Wann immer das Gefühl aufkommt, zum Handy greifen zu müssen oder im Kühlschrank nach einem Snack suchen zu wollen, sollte man sich mit einer anderen Tätigkeit ablenken und zum Beispiel Sport treiben.

Erste Erfolge machen sich schon nach kurzer Zeit bemerkbar, nämlich wenn man sich über die kleinen Dinge im Alltag wieder mehr freuen kann. Dafür lohnt sich ein Versuch.

Über den Experten: Prof. Dr. Thilo van Eimeren ist Neurologe und Professor für Multimodale Bildgebung an der Klinik für Nuklearmedizin an der Uniklinik Köln. Dort erforscht er als Leiter der Arbeitsgruppe Multimodale Bildgebung neuronaler Netzwerke unter anderem die Bedeutung des Botenstoffs Dopamin.

Verwendete Quellen:

  • Handelsblatt: "Dopaminfasten: Heisser Trend oder heisse Luft?"
  • Linkedin: Dr. Cameron Sepah: "The Definitive Guide to Dopamine Fasting 2.0 - The Hot Silicon Valley Trend"
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