Schlank, glücklich, erfolgreich: Gerne! Aber wie setzen wir unsere Vorsätze in die Tat um? Im letzten Teil unserer grossen Interviewreihe erklärte Dr. med. Stefan Frädrich, wie wir effektiv gegen miese Laune vorgehen. Im fünften Teil erklärt der Mediziner, welche zwei Mechanismen uns beim Glimmstängel halten und warum die furchtbare Qual des Rauchstopps reine Illusion ist.
Herr Dr. Frädrich, Sie selbst sind schlank, erfolgreich und dazu noch Experte auf dem Gebiet der Selbstmotivation. Hand aufs Herz: Haben Sie gar keine Laster?
Dr. med. Stefan Frädrich: Doch, natürlich! Viele! Immer wieder muss ich mich fragen, was ich mir an- oder abgewöhnen will. Laster ist so ein moralisch überhöhtes Wort, ich würde es ungute Gewohnheiten nennen.
Sie rauchen nicht?
Frädrich: Nein, um Himmels willen! Rauchen ist eine der Sachen, die ich nie wieder tun werde. Das ist vorbei. Rauchen würde ich auch nicht als Laster bezeichnen, sondern als Sucht.
Aber Sie haben einmal geraucht?
Frädrich: Wie ein Bekloppter. 13 Jahre lang bis zu vierzig Zigaretten am Tag.
Wie haben Sie aufgehört?
Frädrich: Ich habe es fünf Jahre lang vergeblich versucht und sehr viel probiert: Pflaster, Pillen, Akupunktur, Hypnose und den ganzen Quatsch. Am meisten hat mich dann das Buch von Allen Carr, "Endlich Nichtraucher", überzeugt.
Erstens geht es darum, zu verstehen, wie das Rauchen funktioniert. Zweitens muss man die Entscheidung treffen, das Zeug nicht mehr anzufassen. Und drittens muss man diese Entscheidung im Alltag umsetzen. Dann kann jeder von einem Tag auf den anderen mit dem Rauchen aufhören.
Aber es heisst doch, es sei eine furchtbare Qual, mit dem Rauchen aufzuhören?
Frädrich: Es ist überhaupt nicht schlimm, sondern total easy. Die Qual findet nur im Kopf statt und zwar dann, wenn ich glaube, dass ich auf etwas verzichten muss. Wenn Sie beim Kaffee trinken denken: "Wie schön wäre es, eine Zigarette zu rauchen. Aber du darfst nicht", dann werden Sie Verlust empfinden. Wenn Sie in der gleichen Situation sagen: "Was für ein Glück, dass ich den Kaffee ohne Krebsstängel trinken kann", dann spüren Sie keinen Verlust, sondern eine Belohnung. Niemand muss Entzugserscheinungen haben. Dazu ist es aber wichtig, zu verstehen, wie Rauchen funktioniert.
Und zwar?
Frädrich: Beim Rauchen sind zwei Faktoren am Werk: Eine biologische und eine psychologische Abhängigkeit. Die biologische Abhängigkeit kommt daher, dass man den Körper an das Gift Nikotin gewöhnt hat. Die Nervenrezeptoren stumpfen ab. Trotzdem ist Nikotin immer noch ein starkes Nervengift, das der Körper nach etwa 45 Minuten abgebaut hat. Weil die Nervenzellen aber auf Nikotin eingependelt sind, bekomme ich dann ein leichtes Gefühl des Unwohlseins, ich fühle mich nicht vollständig.
Dieses Gefühl kriege ich mit dem nächsten Kick Nikotin wieder weg. Nikotinsucht folgt damit dem gleichen Mechanismus wie bei jeder anderen Abhängigkeit: Ich fühle mich mit dem Suchtstoff nicht besonders gut, ich fühle mich nur mit dem Suchtstoff normal. Und sobald der Körper den Suchtstoff abbaut, fühle ich mich unnormal. Das Fiese dabei: Der Raucher empfindet jede Zigarette als besonders. Er merkt nicht, dass es ihm mit der Zigarette nicht gut geht, sondern nur ohne Zigarette schlecht.
Also ist es Unsinn, als starker Raucher zu versuchen, Gelegenheitsraucher zu werden? Weil es einem dann nur öfter schlecht geht, man aber immer noch süchtig ist?
Frädrich: Absolut. Das funktioniert nicht. Wenn ich Nikotinsucht mit Juckreiz vergleiche, dann wartet man bei dieser Variante, bis der Juckreiz ganz besonders stark wird und dann ist das Kratzen doppelt und dreimal so schön. Also werde ich niemals glauben, dass ich mich von dem Jucken und Kratzen befreien kann. Wenn ich aber ganz aufhöre zu kratzen, verschwindet der Juckreiz von selbst.
Und die psychologische Seite des Rauchens?
Frädrich: Jeder Raucher raucht in ganz bestimmten Situationen. Zum Beispiel nach dem Essen, beim Kaffee, auf dem Arbeitsweg. Das sind meistens Situationen, in denen der Nikotinpegel schon abgesunken ist und in denen das Rauchen gut tut, weil es den Pegel wieder hebt. Unser Gehirn verknüpft die Situation mit dem Rauchen. Und plötzlich wollen wir immer eine rauchen, wenn wir Kaffee trinken oder auf dem Arbeitsweg sind.
Wir bemerken nicht, dass wir in einem Suchtmechanismus gefangen sind. Beim Rauchstopp geht es darum, erst aus dem biologischen Kreislauf herauszukommen, indem man von einem Tag auf den anderen aufhört. Und dann muss man die Verknüpfungen neu lernen. Da merkt man schnell, dass man Kaffee durchaus ohne Zigarette trinken kann und einem nichts dabei fehlt. Man braucht nie wieder zur Zigarette greifen.
Was sagen Sie einem unverbesserlichen Raucher, der meint, Rauchen ist ein Genussmittel?
Frädrich: Ein bisschen Fähigkeit zur Reflektion muss man schon mitbringen. Und ich diskutiere nicht rum. Wer das meint, okay. Ich habe nur den Eindruck, dass die meisten, die so vollmundig erzählen, im Kern wissen, dass sie sich selbst bescheissen. Die ersten 15 Jahre seines Lebens hat man ja auch ohne Zigaretten ausgehalten.
Eltern verbieten ihren Kindern strikt, mit dem Rauchen anzufangen. Meist bringen solche Verbote wenig. Wie kann man es besser machen?
Frädrich: In den vorherigen Generationen war das Rauchen vor allem eine Protesthandlung von Kindern und Jugendlichen. Dementsprechend wurde auch die Werbung gestaltet: Raucher sind schick, cool und brechen Konventionen. Die Jugendlichen von heute sind teilweise wirklich schlauer. Sie haben gar keine Lust mehr aufs Rauchen. Dabei lassen sie sich aber zunächst nicht von Gesundheitseffekten abschrecken.
Jugendliche wissen, dass sie nicht bis 60 Raucher bleiben müssen. Was sie aber unterschätzen ist, dass viele tatsächlich nicht mehr aufhören können bis sie 60 sind. Ich muss ihnen erklären, wie der Suchtmechanismus funktioniert und wie die Tabakindustrie einen in diesen Mechanismus einschleusen will, um möglichst viel Kohle zu machen. Jugendliche lassen sich nicht gerne verarschen.
Werbung für Zigaretten wird ja kritisch beurteilt, weil sie Menschen in die Sucht locken will. Warum funktionieren Zigarettenwerbungen so viel besser als Aufklärungskampagnen gegen Nikotinsucht?
Frädrich: Weil die Aufklärungskampagnen meistens über den abschreckenden Effekt wirken wollen. Nach dem Motto: Wenn du nicht aufhörst, kriegst du Lungenkrebs. Jeder Raucher, der bereits im Mechanismus drinsteckt, bekommt dann ein schlechtes Gewissen und dadurch Stress. Und wenn der Raucher Stress hat, braucht er eine Zigarette. Mit aggressiven Kampagnen füttere ich die Sucht eher.
Ausserdem hat jeder Raucher natürlich eine Riesenangst vor dem Aufhören. Er kann sich gar nicht vorstellen, dass er Stress ohne Zigarette bewältigen kann. In Folge dessen mauert er sich kognitiv ein. Er weiss zwar insgeheim, dass es ungesund ist, aber er sagt sich, dass es ihn schon nicht treffen wird und denkt möglichst nicht weiter darüber nach.
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