- Manche Menschen sind anstrengend. Andere rauben einem zudem noch die letzte Kraft.
- Solchen Energievampiren muss man klare Grenzen setzen, sagt Psychologin Christine Backhaus im Interview.
- Es gibt aber auch Ausnahmen.
Was sind Energievampire?
Christine Backhaus: Das ist ein Modebegriff. Früher hiessen diese Menschen "Energieräuber" oder galten einfach als "besonders anstrengend", denn es ist ja nichts Krankhaftes. Es können Personen aus dem näheren Umfeld wie aus der Verwandtschaft, die eigene Mutter, der Partner oder auch eine Freundin sein. Ebenso kann der Kollege oder die eigene Chefin ein solcher Vampir sein.
Was zeichnet solche Menschen aus?
Energievampire sind oft eloquent und charismatisch. Sie haben ein hohes Mitteilungsbedürfnis, weil sie auch viele Probleme haben. Ihren Frust, ihre oftmals sprunghaften Launen oder schlechten Gefühle wälzen sie dann auf andere ab. Diese Menschen nehmen viel und geben im Vergleich dazu relativ wenig oder oft nicht das, was wir brauchen oder was uns guttut. Energievampire können auch eine Persönlichkeitsstörung haben oder ein abwertendes Verhalten an den Tag legen und nur prahlen, andere demütigen oder ihnen mit ständigen Sticheleien ein schlechtes Gewissen einreden: "Nie hast du Zeit für mich!" Ebenso können sie sich als Opfer darstellen: "Keiner will mit mir etwas machen!" Auch Eltern können Energievampire sein, wenn sie zum Beispiel einen hohen Erwartungsdruck ausüben. Und Kollegen und Kolleginnen können einen auf diese Weise ausnutzen, weil sie zum Beispiel untalentiert sind oder keine Lust haben. Sie wissen, dass es da jemanden gibt, den man immer fragen kann und der immer hilft.
Ist man von Anfang an ein Energievampir?
Nein, eine Beziehung kann zuerst auch ausgewogen sein und das Gegenüber entwickelt sich später zu einem Energievampir. Das Verhältnis kann sich aber auch drehen: Zuerst bin ich – das spätere Opfer – ein Energievampir, weil ich mich in einer bestimmten Lebensphase befinde und ich mich ständig mitteilen muss. Später wendet sich das Blatt dann, vielleicht bekommt mein Gegenüber einen neuen Job oder hat eine neue Partnerin gefunden. Dann berichtet er sehr viel. Oft erkennt man solche Typen deswegen an den Redeanteilen in einem Gespräch.
Was macht der Energievampir mit seinem Gegenüber?
Meistens können wir bei einem Kontakt mit einem Energievampir gar nicht sagen, was gerade mit uns geschieht. Danach fühlen wir uns oft ausgelaugt, erschöpft, leer. Unser Körper hat dafür Warnsignale und meldet sich deswegen oft schon mitten im Kontakt. Aber wir sind ja Meister im Abschalten und Verdrängen! Deswegen spüren wir oft erst später die körpereigenen Signale. Manchmal spüren wir auch psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen, Migräneanfälle oder Seh- und Hörstörungen. Der Energievampir kann uns also über einen längeren Zeitraum psychisch, emotional oder körperlich schwächen. Das ist uns aber leider oft nicht bewusst. Allerdings merken wir schon irgendwie, dass wir gar nicht so die Lust haben, uns mit dem Menschen zu treffen oder zu beschäftigen. Aber zum finalen Erkennen braucht es meistens einen Auslöser von aussen. Wir müssen also mehr reflektieren.
Wer zieht Energievampire besonders an?
Das sind ganz klar die besonders empathischen und abhängigen Menschen. Sie wollen es allen recht machen, glauben immer an das Gute im Menschen und haben innere Antreiber wie "Das tut man für Freunde" und bleiben überall besonders lange. Sie haben auch die Tendenz, sich selbst an zweiter Stelle zu sehen.
Wie reagiere ich auf einen Energievampir?
Zuerst muss ich mich fragen: Womit erkaufe ich mir diese Kopfschmerzen? Was ist der Gewinn aus diesem Kontakt? Ist da auch etwas Positives drin? Und dann muss ich differenzieren: Will ich den Kontakt behalten? Will ich noch mal einen Versuch starten, damit alles wieder ins Gleichgewicht kommt? Das ist wichtig, denn eine Freundschaft kann ich einschlafen lassen oder abbrechen; ist der eigene Chef aber der Energievampir, wird es schwieriger …
Wie gehe ich mit ihnen um?
Die grosse Gefahr ist, dass ich zu lange zu viel Verständnis zeige. Denn durch meine Aufmerksamkeit bestärke ich den Vampir. Doch auch hier gilt der Grundsatz: Schlechtes Verhalten darf nicht belohnt werden! Ich muss also anfangen, Grenzen zu setzen. Aber ist der eigene Mann ein Narzisst, wäre der schnell gekränkt. Ich muss also aufpassen und abwägen. Am besten macht man nicht sofort ein Drama draus, sondern man sagt: "Das reicht mir für heute." Klare, klärende Ansagen – gerne auch im Nebensatz – helfen am Anfang. Humor schadet auch nicht. Das grosse Feedback-Gespräch sollte man erst nach solchen "harmloseren" Versuchen führen. Dann sollte ich ansprechen, welche Auswirkungen die Gespräche der Vergangenheit auf mich hatten. Und ich darf mir etwas wünschen: "Beim nächsten Mal erzähle ich zuerst zehn Minuten, dann du …"
Wie sollte ich die Treffen in Zukunft mit dem Vampir gestalten?
Ich sollte meine Emotionen gegenüber dem Vampir regulieren. Am besten ist es, Methoden zu finden, wie ich mich in oder nach dem Gespräch beruhigen und ich wieder meine ursprüngliche Kraft zurückbekommen kann. Das kann Yoga sein oder einmal um den Block laufen. Das hilft auch bei denjenigen Energievampiren, mit denen wir kein klärendes Gespräch führen können – wie mit der Chefin. Eine andere Möglichkeit ist, sich mit dem Vampir nur noch in einer Gruppe zu treffen. Dann verteilt sich seine negative Energie besser, ich kann während des Gesprächs auf Toilette gehen und durchschnaufen. Und wenn ich wiederkomme, sage ich: "Jetzt haben wir genug geredet, lasst uns die Beine vertreten!" Das Wichtigste ist aber zu erkennen, dass zu solchen Phänomenen immer zwei Parteien gehören: Eine, die etwas macht, und eine andere, die etwas mit sich machen lässt.
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