Immer mehr Menschen infizieren sich weltweit mit dem neuartigen Coronavirus, welches tödliche Lungenkrankheiten auslösen kann. Die WHO hat den Gesundheitsnotstand ausgerufen, die deutsche Regierung lässt Staatsbürger aus China zurückholen. Der Virologe Ulf Dittmer spricht im Interview über Besonderheiten des neuen Virus, mögliche Gegenmassnahmen und medikamentöse Therapien.

Ein Interview

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Das am 7. Januar identifizierte Coronavirus "2019-nCov", an welchem bislang über 17.000 Menschen erkrankten und mehr als 360 verstarben, breitet sich immer schneller aus. Die Infekte der Atemwege zeigen sich durch Symptome wie Fieber, Husten und Atemnot. Was ist das Besondere am Coronavirus?

Dittmer: Das Besondere ist, dass wir Corona-Viren zwar bereits kennen, das jetzige Virus aber völlig neu ist und bisher noch nie als Erreger bei Menschen auftrat. Corona-Viren sind eine Viren-Familie, die vor allem bei Säugetieren Erkrankungen unterschiedlicher Schwere auslösen können – von einem einfachen grippalen Infekt bis hin zur Lungenentzündung.

Es gibt sie schon lange auch in Deutschland, sie verursachen grippale Infekte und sind an sich nichts Ungewöhnliches. Relevante Ausbrüche gefährlicher Coronaviren gab es Anfang der 2000er Jahre mit dem SARS- und 2012 dem MERS-Coronavirus.

Worin unterscheidet sich 2019-nCov vom damaligen SARS-Virus?

Der Aufbau der Viren ist identisch, deshalb gehören sie auch zu einer Familie. Auch Teile der genetischen Information sind übereinstimmend, das neuartige Coronavirus nutzt in der Lunge den gleichen Rezeptor wir SARS. Aber in der genetischen Information gibt es eben auch Unterschiede.

Betrachten wir die Letalitätsrate, also die Rate der verstorbenen Patienten, dann war das SARS-Virus, mit welchem sich Menschen in den Jahren 2002 und 2003 gehäuft infizierten, nach aktueller Wissenslage deutlich schlimmer. Die Letalitätsrate war im Vergleich zum jetzigen Coronavirus zehnfach höher.

Offensichtlich kann das neue Coronavirus schon während der Inkubationszeit (zwei bis zehn 10 Tage, Anm.d.Red.) übertragen werden – also bereits dann, wenn Patienten noch gar keine Symptome zeigen.

Als ursprüngliche Infektionsquelle gilt ein Fisch- und Geflügelmarkt in Wuhan. Dort soll das Virus von Tieren auf Menschen übergesprungen sein. Wie häufig ist die Überwindung einer solchen Artenbarriere?

Ein Spezieswechsel ist für ein Virus eigentlich sehr schwierig und eine Übertragung von einem Tier auf einen Menschen führt normalerweise nicht zur weiteren Ausbreitung eines Virus. Die Übertragung von Viren durch unterschiedliche Tiere auf den Menschen passiert zwar vermutlich sehr häufig, ist dann aber ein sogenanntes Dead End.

Wir bemerken es überhaupt nicht. Einzelne Fälle, in denen sich die Viren anschliessend weiterverbreiten, gibt es aber immer wieder. Bei HIV, welches Aids verursacht, war es dasselbe: Es wurde von Affen auf den Menschen übertragen und dann weiter von Mensch-zu-Mensch.

Wieso verbreitet sich das neue Virus so schnell?

Es handelt sich um eine typische Tröpfchen- und Schmierinfektion – so, wie es auch bei der normalen Grippe der Fall ist. Diese Infektionen können sich beim Menschen sehr effizient verbreiten, denn als Symptome müssen Erkrankte oft niesen und husten. Dabei produzieren sie wiederum Tröpfchen mit Viren, die an ihren Händen haften und weitergegeben werden.

Die Personen im Umfeld der Infizierten fassen sich dann beispielsweise mit ihren Händen an Nase und Mund und das Virus dringt über die Schleimhaut ein. Dann sucht es sich eine Wirtszelle, denn Viren sind keine Lebewesen - sie brauchen Wirtszellen, sonst können sie sich nicht vermehren. Vom oberen Nasen- und Rachentrakt wandern die Corona-Viren weiter nach unten und infizieren die Lunge. Weil das Virus sehr tief in den Atemorgangen sitzt, sehen wir bei einigen Patienten die Symptome einer klassischen Lungenentzündung.

In Deutschland sind bislang acht Fälle bekannt, erstmals Erkrankte auch ein Kind in Bayern. Sprechen wir bereits von einer Pandemie?

Eine Pandemie ist ein weltweites Ereignis, das sehe ich noch nicht. Wir befinden uns aber an der Grenze dazu. Erst wenn noch mehr Länder betroffen wären und sich das Virus in diesen Ländern ausbreitet, würden wir von einer Pandemie sprechen. Damit ist vermutlich zu rechnen, weil das Virus sich so effizient überträgt.

Die Tatsache, dass es sich sogar in der Inkubationszeit überträgt, macht das Eindämmen des Virus schwieriger, weil man die Menschen nicht isolieren kann. Der Ausbruch geschah ausserdem zu einem ungünstigen Zeitpunkt: nämlich zum chinesischen Frühlings- und Neujahrsfest. Chinesen, die im Ausland arbeiten oder studieren, halten sich dann traditionell zu Hause in China bei ihren Familien auf.

Wenn die Ferien vorbei sind, wird es eine grosse Reisetätigkeit von Chinesen geben. Allein an der Universität Duisburg-Essen haben wir 1.500 chinesische Studierende, an den amerikanischen Universitäten sind das noch deutlich mehr. Deshalb wird es schwierig, das Virus aufzuhalten – es sei denn, man streicht konsequent alle Flüge aus China.

Was können die Bürger in Deutschland tun, um sich zu schützen?

Aktuell gibt es noch keinen Anlass mit einem Mundschutz herumzulaufen. Ein chirurgischer Mundschutz, wie er meist verwendet wird, bietet ohnehin keine 100-prozentige Sicherheit gegen die Infektion. Angebracht sind Hygienemassnahmen, wie man sie eigentlich immer treffen sollte - insbesondere in den Wintermonaten.

Das heisst: Häufiges und richtiges Händewaschen, bei Husten und Schnupfen nicht in die Handfläche, sondern in den Ellbogen niesen. Man sollte ausserdem darauf achten, sich nicht ständig mit den Händen ins Gesicht zu fassen und sich von Menschen mit offensichtlichen Atemwegsinfekten fernhalten.

Wer aktuell Urlaub nach China gebucht hat, sollte umbuchen oder zu Hause bleiben?

Ja, es gibt eine offizielle Teilreisewarnung für China seitens des Auswärtigen Amtes. Städte, die unter Quarantäne stehen, können ohnehin nicht betreten werden. Am Uniklinikum in Essen haben wir die Reisen von sieben Medizinstudierende, die nun eigentlich nach Wuhan und Shanghai gehen wollten, abgesagt.

Das Krankenhaus genehmigt auch keine Dienstreisen nach China mehr. Was nun nämlich passieren wird: In Wuhan werden die Infektionszahlen zeitnah zurückgehen, da das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht wurde. Infektionsketten, wie etwa im öffentlichen Nahverkehr oder bei grossen Menschenansammlungen, wurden unterbrochen. In anderen Grossstädten existieren sie aber noch - deshalb werden die Zahlen in anderen chinesischen Städten bald ansteigen.

Eine spezifische Therapie oder Impfung existiert bislang noch nicht. Wie lange kann es dauern, ein wirksames Medikament zu entwickeln und wie läuft das ab?

Für ein Medikament könnte das relativ schnell gehen. Zum Ende des SARS-Ausbruch gab es bereits vielversprechende Forschungsansätze zu Therapiemöglichkeiten gegen Corona-Viren. Der deutsche Wissenschaftler Prof. Hilgenfeld aus Lübeck befindet sich aktuell in China und testet vor Ort seinen entwickelten Stoff.

Anti-viral-wirksame Medikamente könnten wir daher schnell sehen. Wie schnell die Medikamente dann aber in grosser Menge produziert werden können, ist eine andere Frage. Es wird auch immer wieder über einen Impfstoff gesprochen, aber ich bin mir sicher, dass wir bei diesem Ausbruch keinen Impfstoff mehr einsetzen werden.

Bei der Suche nach einem Impfstoff spielt die Tübinger Biotechfirma "CureVac" eine führende Rolle. Wieso glauben Sie nicht, dass ein Impfstoff zum Einsatz kommt?

Der Ausbruch wird aller Wahrscheinlichkeit nach im Sommer beendet sein. Corona-Viren mögen höhere Temperaturen und starke UV-Einstrahlung nicht. Bis zum Sommer kann so schnell aber kein Impfstoff entwickelt werden.

Verwendete Quellen:

Gespräch mit Prof. Dr. rer.nat. Ulf Dittmer. Er ist Virologe und leitet die Abteilung der Virologie am Universitätsklinikum in Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf persistierenden viralen Infektionen, Grundlagen zellulärer und molekularer Immunabwehrmechanismen sowie der Entwicklung von Impfstoffen gegen Retroviren.
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