Jeder Schluck Alkohol schadet dem Körper, sagen Wissenschaftler. Trotzdem trinken die Deutschen rund 100 Liter Bier und 20 Liter Wein pro Jahr. Ist ein gesundheitsverträglicher Alkoholkonsum überhaupt möglich – oder muss man, der Gesundheit zuliebe, völlig auf Alkohol verzichten? Ein Alkoholforscher räumt mit hartnäckigen Mythen auf und erklärt, was Alkohol im Körper anrichten kann und ob risikofreies Trinken möglich ist.
Im Januar verzichten viele Menschen einen Monat lang auf Alkohol, um die Suff-Sünden der Feiertage wettzumachen. Und im Februar steht für viele schon der feucht-fröhliche Fasching vor der Tür. Ist also nach dem "Dry January" schon vor dem nächsten Bierglas? Besser nicht, wenn man sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Alkoholkonsum anschaut.
200 verschiedenen Krankheiten werden mit Alkohol in Zusammenhang gebracht, darunter Leiden an Leber, Herz, Magen und Darm. Auch die Wahrscheinlichkeit, an Demenz oder Krebs zu erkranken, steigt. Das alles ist schon lange bekannt, relativ neu ist dagegen die Erkenntnis, dass diese gesundheitlichen Risiken schon bei geringen Mengen Alkohol drohen. Manche Forscher gehen sogar so weit zu sagen, jeder Schluck Alkohol ist ein Schluck zu viel. Bleibt also nur die Abstinenz?
Gibt es den risikofreien Alkoholkonsum?
Am Wochenende habe ich eine halbe Flasche Weisswein getrunken, verteilt auf zwei Tage. Ist das schon eine gesundheitsschädliche Menge?
Dr. Helmut Seitz: Es gibt inzwischen gute Daten, die zeigen, dass jeglicher Alkoholkonsum schädlich ist. Risikofreien Alkoholkonsum gibt es also nicht, aber risikoarmen. Je mehr sie trinken, desto schlimmer. Um im risikoarmen Bereich zu bleiben, sollten Frauen nicht mehr als 1/8 Liter Wein pro Tag trinken, für Männer gilt die doppelte Menge. An mindestens zwei bis drei Tagen pro Woche sollte man generell ganz auf Alkohol verzichten.
Gelten die Angaben für alle Menschen gleichermassen, unabhängig von Alter und körperlicher Fitness?
Frauen reagieren empfindlicher auf Alkohol als Männer, wobei die Gründe noch nicht ganz klar sind. Generell hat jeder Mensch ein anderes Risiko im Umgang mit Alkohol. Für manche Menschen ist schon diese geringe Menge nicht risikoarm. Zum Beispiel für Frauen, die eine genetische Veranlagung für Brustkrebs haben. Die Brust reagiert besonders empfindlich auf Alkohol und danach richten sich auch die meisten Empfehlungen. Das Mammakarzinom ist aber nur eines von sieben Karzinomen, die durch Alkohol stimuliert werden. Generell gibt es 200 Krankheiten, die durch Alkohol verursacht oder verschlechtert werden können. Menschen mit bestimmten Vorerkrankung, zum Beispiel eine Lebererkrankung, Reflux-Ösophagitis, entzündliche Darmerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Herz-Rhythmusstörungen oder hoher Blutdruck müssen mit Alkohol besonders aufpassen. Und es gibt Faktoren, die das Risiko mit Alkohol deutlich erhöhen. Rauchen und Alkohol ist die schlechteste Kombination, die es gibt für die Entstehung von Krebs und Lebererkrankungen.
Was genau passiert im Körper, wenn wir Alkohol trinken? Was macht Alkohol so schädlich?
Der Alkohol an sich ist gar nicht das Problem, sondern seine Stoffwechselprodukte. Alkohol wird in allen Zellen des Körpers abgebaut, aber zu 90 Prozent in der Leber. Ein Abbauprodukt von Alkohol ist Acetaldehyd - hochgiftig, hoch krebserregend. Zum Glück haben wir Systeme im Körper, die Acetaldehyd schnell weiter verstoffwechseln und unschädlich machen. Aber manchmal klappt das nicht so richtig, zum Beispiel aufgrund von Vorerkrankungen oder Veranlagung, und dann kann Acetaldehyd wirklich schlimme Dinge in unserem Körper anrichten. Es verfügen auch nicht alle Zellen über entgiftende Systeme, wie wir sie in Leberzellen haben. Beim Abbau von Alkohol entstehen ausserdem freie Radikale. Das sind kleine Sauerstoffmoleküle, die sich sofort an DNA oder Proteine binden. Dieser sogenannte oxidative Stress ist eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung für Krebs und Lebererkrankung.
Macht es einen Unterschied, in welcher Form ich Alkohol trinke?
Generell spielt es keine Rolle, es kommt auf die Gesamtmenge Alkohol an. Allerdings wirken hochprozentige Alkoholika lokal irritierend auf die Schleimhäute in Mund, Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre. Das mag einen zusätzlichen Effekt auf die Schädigung haben.
Alkohol-Mythen auf dem Prüfstand
Häufig liest man, dass Rotwein viele gesunde Inhaltsstoffe enthält …
Rotwein enthält tatsächlich antioxidative Substanzen wie Resveratrol oder Flavonoide, aber der oxidative Stress durch Alkohol ist so hoch, dass die positive Wirkung zu vernachlässigend ist. Um eine halbwegs vernünftige Menge Antioxidantien aufzunehmen, müssten Sie unglaubliche Mengen Alkohol trinken. Antioxidative Substanzen sind auch in Traubensaft und grünem Tee enthalten, damit tun Sie Ihrer Gesundheit einen grösseren Gefallen.
Es hält sich hartnäckig die Behauptung, dass Alkohol in geringen Dosen das Herz und Gefässsystem schützt. Es gibt auch Studien, die besagen, Menschen mit moderatem Alkoholkonsum hätten ein geringeres Demenz-Risiko. Stimmt das?
Das sind alles Fehlinterpretationen. Diese Studien sind in den 1980er- und 1990er-Jahren in den USA entstanden - meist mit massiver Unterstützung der Alkoholindustrie, die grossen Einfluss auf die Aussagen über moderaten Alkoholkonsum genommen hat. Gesundheitsminister Karl Lauterbach wurde kürzlich mit den Worten zitiert, ein Glas Rotwein sei gesund. Aber das Wort Gesundheit in Zusammenhang mit Alkohol zu nennen, ist einfach falsch. Alkohol ist nie gesund und wir wissen heute, dass schon kleine Mengen schädlich sind. Wenn ihre Grossmutter jeden Tag ein Glas Rotwein getrunken hat und 92 geworden ist, dann ist sie nicht wegen des Rotweins so alt geworden, sondern trotz des Rotweins. Ohne Rotwein wäre sie vielleicht 95 geworden. Mormonen oder Siebenten-Tags-Adventisten, die gar keinen Alkohol trinken, haben im Schnitt eine deutlich höhere Lebenserwartung als Menschen, die ein bisschen Alkohol trinken.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) rät Frauen, nicht mehr als 70 Gramm reinen Alkohol pro Woche zu sich zu nehmen. Das entspricht etwa einer Flasche Wein. Männern sind es maximal 120 Gramm pro Woche. Macht es gesundheitlich einen Unterschied, ob ich die Menge auf mehrere Tage verteilt trinke oder alles auf einmal?
Es macht einen Unterschied. Wenn Sie alles auf einmal trinken, haben sie einen relativ hohen Alkoholspiegel im Blut. Das hat sehr negative Auswirkungen auf die Gehirnzellen, aber auch auf andere Organe. Das macht exzessiven Alkoholkonsum so gefährlich. Es ist immer besser, nur kleine Mengen Alkohol auf einmal zu trinken und an zwei bis drei Tage pro Woche ganz auf Alkohol zu verzichten, damit sich der Körper erholen kann. Es ist ganz wichtig, dass die Zellen nicht dauernd diesen schädlichen Stoffwechselprodukten ausgesetzt sind. Wenn Sie das beherzigen und innerhalb der risikoarmen Menge bleiben und keine Vorerkrankungen oder Risikofaktoren haben, kann Alkoholkonsum ohne grössere Gesundheitsschäden funktionieren.
Zeit für eine Auszeit?
Viele verzichten nach den Feiertagen im Dezember einen ganzen Monat lang auf Alkohol. Ist so ein "Dry January" sinnvoll, auch wenn ich danach weiter trinke wie zuvor?
Im "Dry January" sehe ich mehrere positive Aspekte. Zum einen ist es wie ein Test, mit dem Sie herausfinden können, ob Sie abhängig sind oder nicht. Wem ein Monat Alkoholverzicht nichts ausmacht, der hat auch kein Alkoholproblem. Fällt es Ihnen hingegen extrem schwer und haben Sie schon nach zwei, drei Tagen das Bedürfnis zu trinken, dann sollten Sie sich Hilfe holen. Ein weiterer positiver Aspekt: Ohne Alkohol werden Sie besser schlafen, sich dadurch rundum besser fühlen und fitter sein. Dann gibt es noch eine Reihe ganz objektiver Kriterien: Durch einen Monat ohne Alkohol wird sich ihr Blutdruck verbessern, sie werden Gewicht verlieren und ihr Magen wird sich erholen. Das Immunsystem wird besser, dadurch sind Sie weniger infektionsanfällig. Schon nach sieben Tagen ohne Alkohol ist ihre Leber entfettet und freut sich. Selbst wenn Sie danach weiter trinken wie zuvor, hat die Pause Ihren Organen sehr gutgetan. An jedem Tag ohne Alkohol können sich die Zellen von dem oxidativen Stress erholen, der ihnen durch Alkoholkonsum zugefügt wurde. Einige Menschen trinken aber nach einem "Dry January" tatsächlich weniger, dazu gibt es Untersuchungen. Sie haben durch die befristete Alkoholabstinenz einfach gemerkt, dass ihnen das guttut.
Wie lange braucht der Körper, um sich von einem Exzess zu erholen?
Das hängt vom Ausgangsstadium ab und wie sehr man über die Stränge geschlagen hat. Ein gesunder junger Mann erholt sich nach einer Woche von einem Vollrausch, wenn er in dieser Zeit keinen Alkohol trinkt. Mit einem Vollrausch zerstören Sie unzählige Hirnzellen, aber da wir glücklicherweise sehr viele davon haben, wird ein Vollrausch nicht sofort durchschlagen. Bei Frauen, älteren Personen oder bei Menschen mit Vorerkrankungen kann es je nachdem deutlich länger dauern, bis sich der Körper erholt hat. Bei manchen Vorerkrankungen, wie zum Beispiel einer chronischen Lebererkrankung, kann so ein Vollrausch auch zu einer "Explosion" der Erkrankung führen.
Was kann ich meinem Körper am nächsten Tag Gutes tun, wenn am Abend zuvor zu viel Alkohol getrunken habe?
Generell ist es gut, wenn Sie mit dem Alkohol Flüssigkeit zu sich nehmen. Alkohol führt dazu, dass Sie viel Wasser ausscheiden, weil das antidiuretische Hormon gehemmt werden. Auch am nächsten Tag sollten Sie viel Flüssigkeit trinken, auch Elektrolyte wie Kalium und Kochsalz sind wichtig. Wachen Sie mit Kopfschmerzen auf, können Sie versuchen, das mit Kaffee und Zitrone in den Griff zu kriegen. Vor Aspirin kann ich in dieser Situation nur warnen, da Aspirin wie Alkohol den Magen schädigt. Auch Paracetamol sollten Sie keinesfalls in Verbindung mit Alkohol einnehmen. Alkohol induziert ein Enzymsystem in der Leber, welches auch Paracetamol abbaut - und zwar zu einem Radikal. In Kombination ist das extrem schädlich. Ich überblicke in den letzten 20 Jahren drei Fälle von Lebertransplantationen, bei denen chronische Trinker eine gar nicht mal so grosse Menge Paracetamol eingenommen haben. Das hat zu einem Leberausfallkoma geführt.
Alkoholkonsum neu denken lernen
Finden Sie den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol in Deutschland problematisch?
Ja, wir haben einen hohen Alkoholkonsum in Deutschland, pro Kopf etwa zehn Liter reinen Alkohol im Jahr. Zum Vergleich: Die Italiener trinken zwei Liter weniger. Auch die mangelnde Akzeptanz gegenüber Menschen, die keinen Alkohol trinken, ist ein Problem. Deutschland nimmt auch in anderen Bereichen Spitzenpositionen ein: Es gibt zwei Millionen Alkoholiker, weitere drei bis vier Millionen Menschen trinken schädliche Mengen Alkohol. Die Folgekosten durch Alkoholkonsum in Deutschland belaufen sich auf mehr als 50 Milliarden pro Jahr und es sterben jedes Jahr 70.000 Menschen an den Folgen von Alkohol. Das ist mehr, als im ersten Jahr der Pandemie an Corona gestorben sind.
Was lässt sich dagegen unternehmen?
Dagegen würden drei Dinge helfen: Ein konsequentes Werbeverbot für Alkohol, ein höherer Preis für Spirituosen und eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Alkohol. In Baden-Württemberg wurde 2010 ein beschränktes Alkoholverkaufsverbot zwischen 22 Uhr und 5 Uhr eingeführt, das später von der grün-roten Regierung gekippt wurde. Vergleicht man die Daten, so gab es unter der Verfügbarkeitseinschränkung weniger Kriminalität und Gewalttaten. Die Verfügbarkeit von Alkohol rund um die Uhr macht einen Unterschied. Alkoholika müssten auch teurer werden in Deutschland. Kostet ein Glas Bier wie in Finnland 11 Euro, dann trinkt man es ganz langsam und ist den ganzen Abend mit einem Bier zufrieden. Der Exzess ist einfach zu kostspielig.
Trinken Sie eigentlich Alkohol?
Ich trinke gerne mal ein Glas Wein oder Bier, aber nicht regelmässig und es bleibt dann auch bei einem Glas. Spätestens beim zweiten Glas bekomme ich solche Kopfschmerzen, dass ich sicher eine Woche lang keine Lust mehr auf Alkohol habe. Das ist ein Vorteil. Bei manchen Menschen fehlen diese Warnsymptome. Die trinken Alkohol, kriegen aber keine Kopfschmerzen - da fehlt dann das Korrektiv und sie trinken immer weiter. Chronische Alkoholiker werden auch nicht betrunken, sie bauen Alkohol schneller ab. Mit 1,5 Promille können chronische Trinker immer noch ein Auto fahren - zwar mehr schlecht als recht, aber Nicht-Trinker würden mit 1,5 Promille gar nicht bis zum Auto kommen, weil sie vorher einschlafen.
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Prof. Helmut Seitz
- Info-Seite der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
- Info-Seite der WHO
- BMJ Journals: Studie zu Alkohol und Gehirn
- AUDIT-Selbsttest zu Alkoholkonsum
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