Zur Zeit des Kalten Kriegs nahm die Schweiz die Gefahr eines nuklearen Angriffs sehr ernst: 1963 wurde entschieden, dass es für alle Menschen im Land Bunker geben müsse, in denen sie im Fall eines Atomangriffs Schutz finden würden. Doch wie gut ist das Land heute für eine allfällige nukleare Katastrophe gerüstet?

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Letzten Oktober hatte der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry an einer Konferenz des Internationalen Luxemburg Forums für die Prävention von Nuklearkatastrophen erklärt, die Gefahr für einen nuklearen Angriff sei auf dem höchsten Stand seit dem Kalten Krieg.

Falls die Schweiz direkt mit einer Atomwaffe angegriffen würde, käme es ohne Zweifel zu einer weitreichenden Verwüstung, wie man sieht, wenn man verschiedene Arten von virtuellen Bomben auf dieser interaktiven Site von Google detonieren lässt.

Experten scheinen sich darüber einig zu sein, dass man sich nicht auf einen Volltreffer vorbereiten kann, sondern einfach reagieren müsste.

Aber was würde geschehen, wenn eine Atombombe anderswo in der Welt gezündet würde, und als Folge eine radioaktive Wolke über die Schweiz hinwegziehen würde?

Es scheint, dass das kleine Alpenland auf ein solches Szenario vorbereitet ist, wie auch für einen allfälligen Unfall in einem Schweizer Atomkraftwerk. Die Reaktion würde ähnlich ausfallen.

Notfallübung für einen Nuklearunfall

Pascal Aebischer vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz erklärte gegenüber swissinfo.ch, es gebe keine akut empfundene Gefahr für einen Atomkrieg, der Auswirkungen auf die Schweiz haben könnte.

Daher würden für diesen konkreten Aspekt auch "im Bereich Bevölkerungsschutz keine spezifischen Massnahmen erwogen". Die Massnahmen im Bevölkerungsschutz seien mehr auf "Katastrophen und Notfälle" ausgerichtet.

Ein Bereich des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, der sich mit solchen Katastrophen und Notfällen befasst, ist die Fachstelle für ausserordentliche Ereignisse, die Nationale Alarmzentrale (NAZ), ein weiterer das Labor Spiez, das eidgenössische Institut für ABC-Schutz (Atom, Biologie, Chemie), das Mess- und Notfall-Teams hat, die bei grossen nuklearen oder radiologischen Ereignissen in der Schweiz zum Einsatz kommen würden.

Alle zwei Jahre findet jeweils in der Umgebung eines der fünf Kernkraftwerke der Schweiz eine Notfallübung unter Leitung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz statt.

An diesen Übungen zur Bewältigung eines schweren Störfalls sind verschiedene weitere Behördenstellen beteiligt, darunter das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, MeteoSchweiz und das Labor Spiez. Dieses Jahr fand die Notfallübung in der Umgebung des Kernkraftwerks Mühleberg im Kanton Bern statt.

Ein landesweites Netz von Sirenen und Schutzräumen

In der Schweiz gibt es über 7.000 Sirenen, um die Bevölkerung im Fall von verschiedenen Bedrohungen und Gefahren zu warnen. Dazu zählen auch Nuklearunfälle.

Die Sirenen werden jedes Jahr am ersten Mittwoch im Februar getestet. Der "allgemeine Alarm" ertönt, wenn eine mögliche Gefährdung für die Bevölkerung besteht. Für die Bevölkerung bedeutet dieser allgemeine Alarm, dass man das Radio anschalten und die Anweisungen der Behörden befolgen sollte.

Jean-Marc Fellay von ORCOC (organe communale de conduite), einer lokalen Notfallorganisation von neun Westschweizer Gemeinden, erklärte gegenüber swissinfo.ch, was nach einem Ertönen des Alarms geschehen würde.

"Je nach Art des Zwischenfalls würden die Leute aufgefordert, zu Hause zu bleiben und Fenster und Türen zu schliessen, oder angewiesen, sich direkt in einen Schutzraum zu begeben."

Die Leute könnten auch aufgefordert werden, Jod-Tabletten zu schlucken. Diese Tabletten werden als vorsorgliche Massnahme für den Fall eines nuklearen Zwischenfalls alle zehn Jahre an Haushalte, Schulen, Betriebe etc. im Umkreis von 50 km der Kernkraftwerke in der Schweiz verteilt.

Werden diese Tabletten rechtzeitig und in der richtigen Dosis eingenommen, verhindern sie, dass radioaktives Jod, das durch die Atemluft aufgenommen wird, sich in der Schilddrüse anreichert.

Es wird davon ausgegangen, dass Gemeinden, Kantone und die Bevölkerungsschutz-Organisationen im Fall eines nuklearen Zwischenfalls, bei dem Schutzräume aufgesucht werden müssten, Zeit hätten, diese mit Wasser und Nahrungsmitteln einzudecken.

Genügend Schutzplätze für die gesamte Bevölkerung

Daneben wird der Bevölkerung geraten, selber ebenfalls Notfallvorräte anzulegen. Details sind in dieser Notfallplan-Broschüre der Behörden zu finden.

Einzigartig ist, dass die Schweiz im Bedarfsfall genügend nukleare Schutzplätze für die gesamte Bevölkerung hat. Das Recht auf diese Schutzräume fusst auf einem Verfassungsartikel, dessen Umsetzung in einem Bundesgesetz folgendermassen festgelegt ist:

Werden heute neue Häuser oder Wohnungen ohne Schutzplätze gebaut, ist es in der Praxis so, dass der jeweilige Eigentümer einen Ersatzbeitrag an die Gemeinde leisten muss, um den Bewohnern und Bewohnerinnen einen Platz in einer Zivilschutzanlage zu garantieren.

Jean-Marc Fellay zeigte swissinfo.ch das Innere eines Schutzbunkers im Dorf Domdidier im Kanton Freiburg. Dieser Schutzraum ist für eine 100-köpfige Zivilschutzeinheit reserviert und bietet zudem Platz für bis zu 132 Personen.

Nach der Evakuierung

"Falls eine radioaktive Wolke über uns hinziehen würde, wäre der Boden danach verseucht", erklärte Jean-Marc Fellay. "Die Idee ist, dass man bis zu fünf Tage in einem Schutzraum bleiben würde und herauskommt, wenn es wieder sicher ist."

Aber was würde geschehen, wenn der Boden nach fünf Tagen noch immer toxisch wäre? "Ich kann mir vorstellen, dass die einzige Antwort darin besteht, wegzugehen. An einen Ort, der nicht verseucht ist", sagte Fellay gegenüber swissinfo.ch.

Aber auch Nachbarstaaten könnten von einer radioaktiven Wolke betroffen sein, wie es nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl in der Ukraine im April 1986 der Fall war, als eine solch verseuchte Wolke über Zentraleuropa hinweg zog.

Auch 20 Jahre nach der Katastrophe litt die Schweiz noch immer unter teilweise erhöhten Radioaktivitätswerten. Das Bundesamt für Gesundheit geht davon aus, dass in der Schweiz in Folge des Unfalls von Tschernobyl mit 200 zusätzlichen Todesfällen aufgrund von Krebs zu rechnen ist.

Zum Schluss erklärte Jean-Marc Fellay: "Wir mussten noch nie eine Evakuierung in grossem Stil durchführen, aber leider ist es etwas, über das man sich Gedanken machen muss."

Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch

  © swissinfo.ch

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