Grauer Himmel und Schmuddelwetter: Der Herbst verhagelt gerne mal die Stimmung. Müdigkeit und Antriebslosigkeit sind oft die Folge. Ein Psychiater erklärt, worin der Unterschied zwischen einem Herbstblues und einer Depression besteht – und was helfen kann.
Die Tage werden kürzer, die Temperaturen sinken und Schmuddelwetter vermiest uns jeden Schritt vor die Tür. Für die einen ist der Herbst die beste Jahreszeit, um es sich mit Tee, einem guten Buch oder einer geliebten Serie gemütlich zu machen. Anderen schlägt er ganz schön aufs Gemüt. Nur ein vorübergehendes Stimmungstief oder eine ernstzunehmende psychische Erkrankung? Andreas Hagemann, Psychiater und Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck, erklärt im Interview die Unterschiede zwischen Herbstblues und Depression und gibt wertvolle Tipps für Betroffene und Angehörige.
Wieso drückt der Herbst oft unsere Stimmung?
Andreas Hagemann: Dies liegt in erster Linie daran, dass Sonnenlicht auf bestimmte Depressionsformen wesentlichen Einfluss haben kann. Denn: Zu 90 Prozent wird stimmungsförderndes Vitamin D durch UV-Strahlung, also Sonnenlicht, in der Haut gebildet. Und damit steht es vor allem in der lichtarmen Jahreszeit in unseren Breitengraden bekanntlich nicht zum Besten. Der ausgeprägte Lichtmangel führt dazu, dass der Körper vermehrt das stimmungssenkende Schlafhormon Melatonin produziert, dafür aber weitaus weniger des Wohlfühl-Hormons Serotonin. Die Folge: eine saisonal abhängige Depression (SAD), so der medizinische Fachbegriff.
Wie unterscheidet sich der Herbstblues grundsätzlich von einer Depression?
Eine saisonal abhängige Depression (SAD) äussert sich ähnlich wie die "klassische" Schwermut - nämlich durch Antriebs- und Energielosigkeit, Interessenverlust, Niedergeschlagenheit und Ängste. In der Regel sind diese Symptome aber nicht so stark ausgeprägt wie bei einer Depression. Zudem kommt es bei dem "Herbst- oder Winterblues" vielfach zu einem ausgeprägten Schlafbedürfnis und verstärktem Appetit (vor allem auf süsse und kohlenhydratreiche Kost). Bei Depressionen sind hingegen Schlafstörungen und Gewichtsreduktion eher typisch.
Welche Tipps haben Sie, um Herbstblues zu bekämpfen?
Um mental auch an trüben Tagen fit zu bleiben, ist es in erster Linie empfehlenswert, soviel Zeit wie möglich draussen an der frischen Luft zu verbringen und "Sonne zu tanken". Denn selbst ein wolkenverhangener Himmel lässt noch Sonnenlicht durch und wirkt so stimmungsaufhellend. Regelrecht antidepressiv wirken können regelmässige Spaziergänge oder Wanderungen durch den Herbstwald.
Schon kurze Strecken fördern die Durchblutung bestimmter Gehirnregionen um bis zu einem Drittel, haben Experten errechnet. Das Ergebnis lässt nicht lange auf sich warten: Es kommt zu einer erheblichen Steigerung von Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung. Zudem führt die bessere Durchblutung zu einer höheren Ausschüttung von Endorphinen, was Stimmung und Glücksempfinden ebenfalls zugute kommt.
Was kann die Stimmung noch aufhellen?
Sich auch in herausfordernden Situationen auf die positiven Aspekte des Lebens konzentrieren zu können, hebt die Stimmung. Hilfreich sein kann hier etwa ein Glückstagebuch: Dafür setzen Sie sich jeden Abend für ein paar Minuten hin und reflektieren, was Sie am Tag glücklich gemacht hat. Das können Kleinigkeiten sein, wie etwa ein leckerer Kaffee am Nachmittag, das nette Gespräch mit dem Kollegen oder der Nachbarin oder der prächtige Sonnenuntergang am Abend.
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Auch Sport kann unsere Stimmung an trüben Tagen regelrecht aufhellen. Denn wer regelmässig in die Pedale tritt oder im Schwimmbecken seine Bahnen zieht, der fördert die Produktion des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn - und somit das Gefühl für Glück und Freude. Und auch kreative Hobbys wie Malen, Basteln oder Musizieren fördern unsere mentale Gesundheit. Sie reduzieren den Stresslevel - und wirken Verstimmungen auch an trüberen Tagen auf angenehme Weise entgegen.
Ist es okay, sich auch mal einem Herbstblues hinzugeben und die eigene negative Stimmung zu akzeptieren?
Kein Mensch ist immer gut drauf. Das sollte man sich bewusst machen, wenn schlechte Stimmung den Tag vermiest. Statt diese hinter einem fröhlichen und unbeschwerten Lächeln zu verbergen und sich somit zusätzlichem Stress auszusetzen, sollten Sie diese vorübergehenden Momente negativer Gedanken als normale Emotionen akzeptieren und zulassen. Vielleicht fragen Sie sich einmal, weshalb Sie "schlecht drauf" sind. Sicherlich gibt es dafür einen guten Grund.
Worauf sollte man bei Angehörigen achten, die über einen längeren Zeitraum unter einem Stimmungstief leiden?
Hält das Stimmungstief über zwei Wochen an oder werden die Symptome gravierender, so sollten Sie dem betreffenden Angehörigen dringend zum Besuch des Hausarztes und damit einer medizinischen Klärung raten. Denn unbehandelt vergehen Depressionen oft nicht von alleine und können chronisch werden.
Wie kann man auf Angehörige zugehen, wenn man die Befürchtung hat, dass der Herbstblues zu einer Depression wird?
Wichtig ist es, den Betroffenen ruhig und geduldig zu erklären, was Sie besorgt. Berichten Sie, welche Verhaltensänderungen Ihnen aufgefallen sind und weshalb Sie diese beunruhigen - offen und bitte ohne Vorwürfe. Hilfreich ist es dabei, aus der "Ich-Perspektive" zu berichten, da sonst die Gefahr besteht, dass beim Gegenüber ein Vorwurf gehört wird, wo keiner ist. Spielen Sie das Leiden keinesfalls herunter, denn Depressionen sind eine schwerwiegende Erkrankung, die aber bei medizinischer Hilfe sehr gute Heilungschancen hat - vor allem bei frühzeitiger Behandlung. Bieten Sie Ihre Hilfe eventuell auch mit etwas Nachdruck an, wenn es z.B. um einen Termin beim Hausarzt geht - diesen aber bitte nur in Absprache mit dem Betroffenen vereinbaren.
Was kann man selbst tun, wenn man das Gefühl hat, aus einem Stimmungstief nicht mehr herauszukommen und eine Depression vermutet?
Wichtig ist es, sich in diesem Fall professionelle Hilfe zu suchen. Der Hausarzt kann als erste Anlaufstelle am besten entscheiden, ob ein Experte hinzugezogen werden sollte. Je früher gegebenenfalls eine Therapie beginnt, desto kürzer in der Regel die Behandlungszeit. Oftmals ist dieser Schritt jedoch für Erkrankte eine nicht zu bewältigende Herausforderung. In diesem Fall ist es vorteilhaft, wenn dem Betroffenen eventuell ein guter Freund oder jemand aus der Familie unterstützend zur Seite steht. Auch Selbsthilfegruppen helfen mit Rat und Tat weiter.
(sv/spot/bearbeitet von mak)
Über den Gesprächspartner
- Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck. Diese Einrichtungen sind spezialisiert auf Angst- und Panikstörungen, chronische Schmerzen, Burnout und Depressionen.
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