Das Herpes-Virus ist weit verbreitet und schlummert in den meisten von uns. Längst nicht bei allen Menschen bricht es aus. Wenn doch, sind die lästigen Bläschen zwar schmerzhaft, heilen in der Regel aber von alleine ab. Herpes kann aber aber auch richtig gefährlich werden. Dann ist schnelles Handeln gefragt.
Herpes ist sehr verbreitet. Wie viel Prozent der Menschheit tragen das Virus in sich?
Frank Neipel: 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung weltweit tragen das Virus Herpes Simplex Typ 1 in sich. Bei Herpes Simplex Typ 2, der eher für den Herpes Genitalis, also Genitalherpes, verantwortlich ist, sind es ca. zwanzig Prozent.
Bei wie viel Prozent der Infizierten bricht das Virus aus?
Tatsächlich sind 90 Prozent der Infektionen mit HSV-1 asymptomatisch, also ohne erkennbare Symptome. Bei HSV-2 sind 20-30 Prozent der Infektionen symptomatisch.
Warum bricht es bei manchen aus und bei vielen nicht?
Es ist völlig unklar, warum es manche erwischt und manche nicht.
Welche Rolle spielt das Immunsystem?
Immunsuppression führt zu einer höheren Rate an Symptomen und schwereren Verläufen. Ein weiterer Risikofaktor für schwere, symptomatische Verläufe ist Neurodermitis oder das atopische Ekzem. Aber eine symptomatische HSV Infektion mit einigen Bläschen ist kein Hinweis auf eine Schwäche des Immunsystems.
Wie oft kommt es bei Betroffenen zu einem Ausbruch?
Reaktivieren, also wieder im Körper aktiv werden, tut das Virus regelmässig. Das wiederum nur bei maximal der Hälfte der Betroffenen symptomatisch. Die anderen merken überhaupt nichts davon. Herpes Viren sind sehr gut an unser Immunsystem angepasst. Etwa 15 bis 30 Prozent der Bevölkerung leidet an mehr oder weniger häufigen Ausbrüchen. Wie oft das vorkommt, ist individuell sehr unterschiedlich.
Herpes ist in der Regel schmerzhaft aber nicht behandlungsbedürftig?
Lippenbläschen sind sehr schmerzhaft, Genitalherpes ist noch schlimmer. Bei immunkompetenten Menschen ist das ein harmloses Virus, was man in aller Regel auch nicht antiviral behandeln muss.
"Auch Fieber kann zu einem Ausbruch führen."
Wie kommt es zu einer Ansteckung? Ist es überhaupt möglich, diese zu vermeiden?
Es handelt sich um eine Schmierinfektion. Aus dem gleichen Glas trinken oder engeren Kontakt haben, reicht schon aus, um sich zu infizieren. Oft überträgt es sich auch von der Mutter zum Kind. Da das Virus sehr weit verbreitet ist und immer wieder mal reaktiviert kann man die Infektion nicht effizient vermeiden.
Gibt es ein typisches Alter, in dem das Herpes-Virus erstmals ausbricht?
Das findet typischerweise im Kindesalter statt bei Herpes Simplex Typ 1. Bei Herpes Simplex Typ 2 dann später, weil es überwiegend sexuell übertragen wird.
Welche Auslöser für einen Ausbruch des Herpes-Virus gibt es?
Das ist individuell unterschiedlich und nicht ganz klar. Hormonelle Umstellungen können ebenso ein Auslöser sein, wie psychische Belastungen, wie Stress, Ärger, Erschöpfung, aber auch Schlafentzug und UV-Strahlung. Auch Fieber, das durch eine andere Infektion bedingt ist, kann zu einem Ausbruch führen. Bei Intensivpatienten, die intubiert sind, sehen wir es auch relativ häufig. Herpes Gladiatorum gibt es auch.
Was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung?
Harter körperlicher Kontakt kann auch zu Herpes führen, etwa bei Ringern, Rugbyspielern oder anderen Kontaktsportlern.
Kann man einem Ausbruch vorbeugen? Gibt es da gute Tipps?
Die gibt es leider nicht. Das ist völlig spontan und individuell sehr unterschiedlich. Wenn man weiss, dass man es bekommt, wenn man UV-Strahlung ausgesetzt ist, dann kann man das vermeiden. Aber es gibt tatsächlich Studien, die untersucht haben, ob Sonnenschutz Herpes Reaktivierungen verhindert. Diese sind zu keinem klaren Ergebnis gekommen. Es gibt Menschen, die haben einmal im Monat ein Wiederauftreten von Herpes Genitalis. Hier kann man tatsächlich mit Famciclovir oder Valaciclovir prophylaktisch behandeln und die Intervalle des Ausbruchs reduzieren. Diese Medikamente muss man aber über einen langen Zeitraum nehmen.
Und beim Lippenherpes?
In keiner Studie ist klar belegt, dass Aciclovir Salbe wirklich vorbeugend hilft. Man hat ja manchmal vorher leichte Schmerzen, bevor die Bläschen kommen. Wenn man sehr früh mit Aciclovir Salbe behandelt, bringt es vielleicht etwas. Aber wirklich klar durch Studien belegt ist das nicht.
Was kann man tun, damit die Bläschen möglichst schnell abheilen?
Es ist gut belegt, dass Aciclovir Salbe und ähnliche Substanzen nichts bringen, wenn die Bläschen schon da sind. Man kann etwas nehmen, was schmerzlindernd und kühlend wirkt, aber alles andere ist wirkungslos. Wenn man sehr früh handelt, vielleicht die Behandlung mit Valaciclovir in der oralen Einnahme. Aber auch hier gilt: Das müsste man dann wirklich sehr lange einnehmen.
"Im schlimmsten Fall wird das Gehirn angegriffen."
Eine Impfung gibt es ja leider nicht
Trotz Jahrzehnte langer Versucher gibt es nach wie vor keine wirksame Impfung.
Die Bläschen an der Lippe sind lästig und schmerzhaft. Kann das Virus noch Schlimmeres im Körper anrichten?
Im schlimmsten Fall wird das Gehirn angegriffen. Auch Infektionen der Hornhaut sind problematisch, da Rezidive häufig sind und zur Linsentrübung führen. Hier behandelt man lokal zum Beispiel mit Aciclovir.
Wie häufig kommt eine so schwerwiegende Entzündung vor?
Herpes-simplex-Enzephalitis ist eine Entzündung des Gehirns, die durch Herpes-simplex-Viren hervorgerufen wird. Sie tritt bei einem oder zwei Fällen von 100.000 pro Jahr aus heiterem Himmel auf.
Was sind Warnsignale? Wann sollte man dringend einen Arzt / eine Ärztin aufsuchen?
Symptome sind Kopfschmerzen, Fieber, Bewusstseinseintrübung, Krampfanfälle, Erbrechen, manchmal Nackensteifigkeit. Da sollte man sofort eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Wenn man Symptome einer Gehirnentzündung oder Hirnhautentzündung hat, dann muss man schon beim Verdacht sofort behandeln. Da darf man nicht warten, bis die Virologen in der PCR das Virus nachgewiesen haben.
Was passiert, wenn es zu lange unbehandelt bleibt?
Unbehandelt liegt die Sterblichkeit bei 80 Prozent. Bei Überlebenden bleiben meistens Langzeitschäden.
Welche Medikamente helfen?
Aciclovir intravenös, Valaciclovir.
Wie stellt man denn als Betroffener die Verbindung her, dass das Herpes etwas mit den Symptomen zu tun hat?
Es tritt ziemlich unabhängig auf von dem üblichen Lippen- und Bläschenherpes. Die muss man da überhaupt nicht haben. Das Virus, das ja ruhend, nur als DNA in den sensorischen Nervenzellen, gastiert, geht bei Reaktivierung einfach in die falsche Richtung. Nicht zum Mund, sondern zu den nächsten Nervenzellen.
"Wenn es eine Reaktivierung des Herpes-Virus ist, hat das Kind die mütterlichen Antikörper bereits."
Tritt das verstärkt bei Menschen auf, die ohnehin ein geschwächtes Immunsystem haben?
Das kann auch bei einem vollkommen gesunden Menschen aus heiterem Himmel auftreten. Mit den richtigen Medikamenten hat man das schnell wieder im Griff. Die muss man gleich geben. Die Leitlinie besagt, dass man bei Verdacht auf eine virale Enzephalitis sofort behandeln und nicht auf den Virus-Nachweis warten soll. Selbst wenn der in den wenigen Stunden schon da ist.
Wie gefährlich ist Herpes für Babys in der Schwangerschaft?
Es ist vor allem dann gefährlich, wenn die Mutter sich zum ersten Mal infiziert. Wenn es eine Reaktivierung des Herpes-Virus ist, hat das Kind die mütterlichen Antikörper bereits.
Gilt das vor allem für die späte Schwangerschaft?
Wenn die Mutter um den Geburtstermin herum das erste Mal eine Herpes-Infektion hat, dann ist das für das Baby brandgefährlich. Wenn es ein Herpes Genitalis ist und man sich nicht sicher ist, ob es sich um eine Erstinfektion handelt, dann ist das eine klare Indikation für eine Entbindung per Kaiserschnitt. Und dann versucht man mit Aciclovir beim Baby Prophylaxe zu betreiben. Besonders gefährdet sind auch Frühgeborene, auch bei einer Reaktivierung des Virus, da die mütterlichen Antikörper erst gegen Ende der Schwangerschaft auf das Kind übertragen werden.
Und in der frühen Schwangerschaft?
In der frühen Schwangerschaft wird das Virus eigentlich nicht über die Plazenta übertragen. Erst beim direkten Kontakt während oder kurz nach der Geburt.
Wie sieht es bei einem Neugeborenen aus?
Einen Besuch im Wochenbett sollte man bleiben lassen, wenn man akut Herpes-Bläschen hat. Das ist dann für das Baby wirklich gefährlich, wenn die Mutter es selber noch nie gehabt hat. Dann hat das Baby keinen so genannten Nestschutz. Natürlich können sich auch Neugeborene von Müttern mit einer länger zurückliegenden Erstinfektion infizieren. Der Nestschutz durch die mütterlichen Antikörper schützt aber vor einem schweren Verlauf.
Was wären die Folgen für das Neugeborene bei einer Infektion?
Das kann dann sehr schwer verlaufen. Das kann auch innere Organe betreffen, Lunge, Leber, Gehirn. Generalisierter Herpes auf der Haut. Das gilt aber eigentlich nur in der ersten Woche nach der Geburt, danach ist das Immunsystem ziemlich schnell ausgereift.
Über den Gesprächspartner
- PD Dr. med. Frank Neipel arbeitet am Virologischen Institut in Erlangen als Forschungsgruppenleiter.