• Nicht nur beim Thema Gefühl arbeiten Gehirn und Herz zusammen, auch im Alltag manipulieren sich die Organe gegenseitig.
  • Wer an einer Depression leidet, hat beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko einen Herzinfarkt oder einen plötzlichen Herztod zu erleiden.
  • Wie sie sich beeinflussen und warum.

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Die 85 Männer ahnten nicht, dass sie sich auf ein Experiment eingelassen hatten, das später in die Lehrbücher der Psychologie eingehen würde. Ein Teil überquerte auf einer stabilen Holzbrücke den kanadischen Capilano Canyon. Eine andere Gruppe musste auf einer schwankenden Hängebrücke auf die andere Seite gelangen. Festhalten konnten sie sich bei dieser furchteinflössenden Überquerung nur an zwei Drahtseilen. Links und rechts ging es 70 Meter in die Tiefe.

Damit des Nervenkitzels nicht genug: Auf der Mitte der beiden Brücken wartete dann jeweils eine attraktive Frau. Die Probanden sollten in ihrem Beisein einen Fragebogen ausfüllen und einen Text schreiben. Für weitere Fragen bot die Frau ihre private Rufnummer an.

Mit dem Experiment wollten die Psychologen Donald Dutton und sein Kollege Arthur Aron von der University of British Columbia in Vancouver herausfinden, ob die aufregende Brückenüberquerung die Wahrnehmung und das Verhalten gegenüber der attraktiven Mitarbeiterin beeinflusste.

Weiche Knie oder Schmetterlinge im Bauch?

1974 beschrieben sie die Ergebnisse, die bis heute schmunzeln lassen: Ein Drittel der Männer, die jener Frau auf der schwankenden Hängebrücke begegnete, rief sie später an. Nach der Überquerung der stabilen Brücke nahmen dagegen nur elf Prozent der Männer Kontakt auf. Offenbar projizierten die Probanden ihre Aufregung auf die Frau und wähnten sich zu ihr hingezogen. Das verrieten auch die Texte, die die Männer schrieben: Auf der schwankenden Brücke enthielten diese mehr sexuelle Bezüge.

Die falsche Zuordnung des Gefühls zu einem Ereignis bezeichnen Psychologen als "Fehlattribution". Dahinter steht, dass sich weiche Knie und Schmetterlinge im Bauch ja tatsächlich ähnlich anfühlen: In beiden Fällen schlägt das Herz schneller, der Puls beschleunigt sich. "Mann" schwitzt vielleicht.

Nun sind wir nicht jeden Tag verliebt und schon gar nicht begeben wir uns regelmässig auf eine schwankende Hängebrücke. Doch die Kommunikation zwischen Herz und Hirn beeinflusst unser Leben permanent.

Der immergleiche Herzschlag ist gefährlich

Beide Organe sind gewissermassen über eine Standleitung verbunden. Es ist das autonome Nervensystem. "Autonom" heisst es, weil es sich nicht direkt willentlich beeinflussen lässt.

Es lässt unser Herz beispielsweise bei Bedrohung schneller schlagen, sorgt für ein rotes Gesicht in einer peinlichen Situation oder für hektische Flecken bei einem Vortrag. Genauso verlangsamt es die Atmung und lässt das Herz gemächlich schlagen, wenn wir uns entspannen. Wenn der Herzschlag sich flexibel anpasst, ist das ein Zeichen von Gesundheit. "Eine starre Herzfunktion ist dagegen lebensbedrohlich und kann zum plötzlichen Tod führen", sagt Neurologe Arno Villringer vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.

Vorurteile vom pumpenden Herzen

Villringer interessiert sich für feinstimmige Kommunikation zwischen Gehirn und Herz. Er fand heraus, dass sich beide Organe gegenseitig heftig beeinflussen. Und das, obwohl ihnen gegensätzliche Eigenschaften zugeschrieben werden, gilt doch der Kopf als Ort des Verstandes und das Herz als Sitz der Gefühle. Aber schon der blosse Herzschlag manipuliert das Wahrnehmen und Denken, entdeckte Villringer.

Wenn sich das Herz zusammenzieht und Blut in den Körper pumpt, spüren Probanden einen elektrischen Reiz am Finger nicht so stark, wie in dem Augenblick, indem sich die Herzkammern füllen.

Es war nicht der erste Befund dieser Art. Ein Experiment von Psychologen um Ruben Azevedo von der Universität Kent in Canterbury "ist vielleicht das beunruhigendste Ergebnis zum Einfluss des Herzschlags", sagt Villringer. Azevedo zeigte 30 Probanden in schneller Folge Fotos von Gesichtern – entweder schwarzer oder weisser Männer gefolgt von einer Waffe oder einem Werkzeug. Möglichst rasch sollten die Testpersonen zuordnen, ob einem hellhäutigen oder dunkelhäutigen Mann ein Werkzeug oder eine Waffe folgt.

Dabei erfassten die Experimentatoren auch den Herzschlag. Wenn das Herz sich zusammenzog und Blut in die Gefässe strömte, folgten die Teilnehmer signifikant häufiger ihrem Vorurteil: Sie wiesen einem schwarzen Mann eine Waffe zu. Eine mögliche Erklärung: In dieser Phase erfasst das Gehirn auch, wie stark das Blut durch die Gefässe strömt, um gegebenenfalls sofort auf eine Mangellage zu reagieren. Diese Überwachung nehmen wir nicht bewusst wahr, aber sie nimmt das Gehirn offenbar so sehr in Beschlag, dass für die kritische Selbstreflexion nicht mehr genug Hirn übrigbleibt, argumentiert Azevedo 2017 in Nature Communications.

Wenn das Gehirn leidet, schwächelt das Herz

Herz und Hirn stehen in einer innigen Verbindung. Aus dieser Perspektive verwundert es nicht, dass sich viele neurologische Erkrankungen auf das Herz auswirken können. Wer an einer Depression leidet, hat beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko einen Herzinfarkt oder einen plötzlichen Herztod zu erleiden. Bei knapp 62 Prozent der Schlaganfallpatienten sitzen in den Herzgefässen gefährliche Ablagerungen. Diese verengen die Arterien; sie können sich ablösen und ins Herz gelangen. Ein Herzinfarkt wäre eine mögliche Folge. Tatsächlich ist ein Herzinfarkt nach dem Hirnschlag eine gefürchtete Komplikation auf den Intensivstationen.

Und sogar auf Stress hin können kerngesunde Menschen eine Herzmuskelschwäche entwickeln. Dieses Krankheitsbild beschrieb ein japanischer Arzt in den neunziger Jahren und benannte es als "Takotsubo-Syndrom".

"Die Betroffenen kommen in die Notaufnahmen, verängstigt, mit Brustschmerzen und Atemnot", erzählen die Mitarbeiter Victor Schweiger und Julien Mereier aus der Arbeitsgruppe des Kardiologen Christian Templin vom Universitäts-Spital Zürich. "Manchmal erzählen sie, dass am Tag vorher der Mann gestorben ist. In der Katheteruntersuchung sind dann alle Gefässe offen." Die linke Herzkammer pumpt allerdings weniger effizient als gewöhnlich. Die Herzspitze ist ballonartig erweitert, die Hauptschlagader dagegen verengt.

Auf die leichte Schulter darf man die stressbedingte Herzschwäche nicht nehmen, warnen die beiden angehenden Kardiologen. Die Betroffenen brauchen eine Reha, um sich zu erholen. Ihr Risiko zu sterben, ist erhöht. "Es ist nicht nur etwas Psychisches, wie viele glauben, sondern eine körperliche Erkrankung", betont Schweiger.

Gebrochenes Herz mit Folgen

Wie das Gehirn bei einem emotionalen Ereignis das Herz stresst, ist gleichwohl nicht genau verstanden. Eine Schlüsselrolle kommt wohl dem Stresshormon Adrenalin zu. Künstlich gegebenes Adrenalin kann in Tieren eine Herzmuskelschwäche auslösen. In den Patienten sind die Spiegel bestimmter Katecholamine, mit denen Adrenalin verwandt ist, ein bis drei Tage nach dem Auftreten des Takotsubo-Syndroms deutlich höher als in Gesunden. Bekanntermassen schaden Katecholamine auf Dauer dem Herzen.

Auch nach einem Schlaganfall sind die Pegel der Katecholamine erhöht. An diesem Punkt schliesst sich der Kreis: Ein schwächelndes Herz kann nicht nur eine Reaktion auf heftigen Liebeskummer oder einen Todesfall sein. Auch neurologische Ereignisse gehen gar nicht selten, nämlich in 7,6 Prozent der Fälle, einem Takotsubo-Syndrom voraus. Das konnte Templins Team in den Daten des weltweit grössten Registers mit mittlerweile mehr als 4.000 Patienten erkennen. "Meist liegen nur ein bis zwei, maximal zehn Tage zwischen dem Erstereignis im Hirn und der stressbedingten Herzmuskelschwäche", sagt Schweiger.

Wie neurologische Erkrankungen und seelisches Leid dem Herzen zusetzen, versucht die junge Disziplin der Psychokardiologie zu ergründen. "Es ist schon verblüffend", sagt Schweiger. "Trauer, Ärger und Freude können organische Veränderungen an einem so wichtigen Organ hervorrufen." Als ob Johann Wolfgang von Goethe es schon vor zweihundert Jahren geahnt hätte, als er über die Liebe dichtete: "Herz, mein Herz, was soll das geben? Was bedränget dich so sehr? Welch ein fremdes neues Leben! Ich erkenne dich nicht mehr."

Verwendete Quellen:

  • Website des Max-Planck-Institut: Profil von Dr. Arno Villringer
  • Website der University of Kent: Profil von Dr. Ruben Azevedo
  • Website Universität Spital Zürich: Profil von Dr. Christian Templin
  • Website www.chemie.de : Katecholamine
  • Website der American Psychological Assosiation: Some evidence for heightened sexual attraction under conditions of high anxiety.
  • Website www.gedankenwelt.de: Dutton und Aron und die Theorie der Fehlattribution von Erregung
  • Website der Nature Communications: Cardiac afferent activity modulates the expression of racial stereotypes
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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