Insgesamt kommen sie selten vor. Doch unter den bekannten Fällen sind es vor allem männliche Jugendliche, die mit einer Herzmuskelentzündung nach einer Corona-Infektion oder -Impfung zu kämpfen haben. Forschende haben nun den Grund dafür herausgefunden.
In sehr seltenen Fällen kann sich das Herz während Virusinfektionen oder nach Impfungen entzünden. Das ist schon lange bekannt und gilt auch für Covid-19 beziehungsweise die Impfung gegen Sars-CoV-2. Ein multidisziplinäres Team der Yale University School of Medicine in New Haven (USA) hat jetzt Hinweise dafür gefunden, warum sich das Herzgewebe nach der Corona-Impfung entzünden kann. Die Forschenden, darunter die Immunologinnen Akiko Iwasaki und Carrie Lucas, veröffentlichten ihre Studienergebnisse am 5. Mai 2023 im Fachblatt "Science Immunology".
Warum die Studie wichtig ist
Jede Impfung aktiviert die Immunabwehr. Das ist gewünscht, weil der Körper durch den Kontakt mit dem abgeschwächten Erreger oder dessen einzelnen Bausteinen Abwehrmoleküle herstellt – das sind Antikörper – und ein Immungedächtnis ausbildet. In sehr seltenen Fällen reagiert die Immunabwehr auf eine Impfung, zum Beispiel gegen Tetanus, Meningokokken, die Pocken oder eben Covid-19, viel zu heftig: der Herzmuskel und/oder der Herzbeutel entzünden sich.
Nach der Corona-Impfung hängt die Häufigkeit einer solchen Myokarditis oder Perikarditis stark vom Alter und Geschlecht des Impflings ab. Neueren Zahlen aus den USA zufolge sind Jungen in der Altersgruppe zwischen zwölf und 17 Jahren mit knapp 36 Fällen je 100.000 Impflinge am häufigsten betroffen. Über alle Altersgruppen hinweg beträgt die Häufigkeit bei Jungen beziehungsweise Männern 0 bis knapp 36 je 100.000 Impflinge, bei Mädchen oder Frauen 0 bis knapp 12 Fälle je 100.000 Impflinge.
Warum sich ausgerechnet das Herzgewebe entzündet und warum es vor allem Jungen oder männliche Jugendliche trifft, ist bisher noch nicht geklärt. Manche vermuten, eine Autoimmunreaktion gegen körpereigene Merkmale könnte die Ursache sein. Andere haben eine Art Überempfindlichkeitsreaktion in Verdacht, bei der eine Gruppe von Immunzellen, die "Eosinophilen" beteiligt sind. "Wir wollten verstehen, wie es zu diesen Komplikationen kommen kann, um das Risiko bei zukünftigen Impfungen noch weiter zu verringern", sagt Carrie Lucas auf einer Presseveranstaltung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) anlässlich der aktuellen Publikation.
Was die Forscher und Forscherinnen gemacht haben
Das Yale-Team untersuchte Blutproben von 23 jungen Menschen im Alter zwischen 13 und 21 Jahren. 20 davon waren Jungen oder junge Männer. Alle Betroffenen hatten ein bis vier Tage nach der zweiten Covid-Impfung mit einem mRNA-Vakzin Brust- und Kopfschmerzen bekommen, sich schlapp und kurzatmig gefühlt, klagten über einen unregelmässigen Herzschlag und Übelkeit – allesamt Symptome einer Herzmuskelentzündung.
Im Krankenhaus bekamen sie Medikamente, die Entzündungen stoppen. Nach spätestens sechs Tagen konnten alle wieder nach Hause gehen. Die Beschwerden hatten sich deutlich gebessert; allerdings fanden sich bei den meisten Betroffenen auch noch Monate nach der Impfung Anzeichen einer Gewebeverdickung im Herzmuskel. Das könnte die Funktion des Organs einschränken und muss unbedingt weiter ärztlich beobachtet werden.
Das Team untersuchte das Blut auf Antikörper, auf diverse immunologische Botenstoffe und die Anwesenheit verschiedener Immunzellen. "Wir haben jedes verfügbare immunologische Tool genutzt, um zu verstehen, was da passiert", sagte Akiko Iwasaki beim Press Briefing der AAAS.
Wie die Ergebnisse aussehen
Die Forschenden fanden keine Anzeichen für eine überschiessende Antikörper-Antwort als Reaktion auf die Impfung und keine Antikörper, die sich gegen Moleküle des Herzgewebes richten. Ebenso gab es keine Anhaltspunkte für eine Überempfindlichkeitsreaktion gegen Bestandteile des Impfstoffes.
Im Blut der Betroffenen fanden sich dagegen stark erhöhte Mengen bestimmter Botenstoffe – ein Zeichen für eine ungewöhnlich heftige Reaktion des angeborenen Immunsystems auf die zweite Impfung. Die Flut an Botenstoffen rief natürliche Killerzellen und sogenannte cytotoxische T-Zellen auf den Plan, die sonst nur nach "gezielter Ansprache" durch Zellen der angeborenen Immunabwehr und streng kontrolliert aktiv werden – hier aber offenbar das Herz schädigen.
Ausserdem tauchte im Blut eine andere aktivierte Gruppe von Immunzellen vermehrt auf, sogenannte Monozyten. Sie unterstützen üblicherweise die Wundheilung und helfen mit, Gewebe zu reparieren. Diese Immunzellen können aber auch dazu beitragen, dass Organe nach Entzündungen nur noch eingeschränkt funktionieren, weil sich das Gewebe verhärtet oder verdickt.
Was die Ergebnisse bedeuten
Die Arbeit sei eine Voraussetzung dafür, die Sicherheit der Corona-Impfstoffe oder von mRNA-Impfstoffen allgemein weiter zu verbessern, heisst es in der Studie. Diese Art von Vakzinen werde in Zukunft sicher weiter rasch an Bedeutung für die klinische Praxis gewinnen. Je besser man die Fehlreaktion auf die Impfung versteht, desto eher wird man sie vermeiden können. Die Forschenden suchen zudem nach Blutwerten, sogenannten Biomarkern, die Impfkomplikationen rechtzeitig anzeigen können.
Möglicherweise muss aber auch das Impfregime für Risikogruppen angepasst werden: Fachleute diskutieren, ob es sinnvoll ist, zwischen der ersten und der zweiten Covid-Impfung länger zu warten, zum Beispiel statt vier Wochen wie bisher, künftig acht Wochen. Und ob eine Verringerung der Impfdosis das Myokarditis-Risiko verkleinern kann.
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Worüber die Studie keine Aussagen macht
Die Studienergebnisse liefern keine Antworten auf die Fragen, warum besonders das Herz und gerade Jungen und junge Männer betroffen sind. Ob erbliche Faktoren eine Rolle spielen oder das Hormon Testosteron, kann nur gemutmasst werden. Unklar bleibt auch, was genau im Impfstoff die heftige Reaktion auslöst: Ist es die mRNA? Oder sind es die kleinen Fettkügelchen, in die die mRNA verpackt ist?
Eigentlich müssten jetzt noch grössere Studien folgen, um die Ergebnisse zu bestätigen und die offenen Fragen weiter zu klären. Doch das wird nicht einfach werden. Denn glücklicherweise werde es immer schwieriger, Teilnehmende für solche Untersuchungen zu finden, sagt Akiko Iwasaki – schlichtweg aus dem Grund, weil Herzmuskelentzündungen nach der Corona-Booster-Impfung kaum noch vorkämen.
Verwendete Quellen:
- ScienceImmunology: "Cytokinopathy with aberrant cytotoxic lymphocytes and profibrotic myeloid response in SARS-CoV-2 mRNA vaccine–associated myocarditis"
- PubMed: "Eosinophilic myocarditis temporally associated with conjugate meningococcal C and hepatitis B vaccines in children"
- PubMed: "Cardiac Complications After SARS-CoV-2 Infection and mRNA COVID-19 Vaccination"
- The New England Journal of Medicine: "IL-1RA Antibodies in Myocarditis after SARS-CoV-2 Vaccination"
- MDPI: "Hypersensitivity Myocarditis after COVID-19 mRNA Vaccination"
© RiffReporter
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