- Erfolgreiche Menschen wirken oft souverän. Hinter der Fassade können sich aber massive Selbstzweifel verstecken.
- Bei manchen geht das so weit, dass sie sich - vollkommen unbegründet - wie Betrüger fühlen.
- Man spricht dann vom "Hochstapler-Phänomen". Ein Psychologe gibt Tipps für Betroffene.
Verena, 27, ist in ihren verschiedenen Jobs weit gekommen. Sie ist als selbständige Fotografin gefragt, preisgekrönt, kann auf eine gute Ausbildung, ein sehr gutes Abitur und eine Karriere als Leistungssportlerin zurückblicken. Trotzdem hat Verena ein Problem. Sie meint: "Ich kann eigentlich gar nicht so viel, wie ich vorgegeben habe."
Hört man Verena zu, könnte man denken, man habe eine Hochstaplerin und Betrügerin vor sich. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Die junge Frau leidet am Impostor- oder Hochstapler-Phänomen. "Das sind Personen, die nachweislich erfolgreich sind, das aber nicht verinnerlichen können", erklärt die Wissenschaftlerin Mirjam Zanchetta.
Zanchetta erforscht die Einflüsse des Impostor-Phänomens. Menschen, die darunter leiden, glauben nicht an die eigenen Erfolge, sondern daran, dass sie durch externe Faktoren wie zum Beispiel Glück oder Zeitpunkt so viel erreicht hätten.
Betroffene wahren Schein: "Ich bin super souverän"
Ähnlich sei es auch bei ihr, sagt Verena. "Das ist das Paradoxe daran, dass ich ja niemanden anlüge und nicht irgendwas behaupte, was ich könnte. Und trotzdem habe ich die Angst, dass irgendjemand mal sagt: Was tust du hier?"
Verena heisst eigentlich anders. Sie möchte unerkannt bleiben. "Ich habe kein Problem damit, über mein Empfinden und meine Gedanken dazu offen zu sprechen", erklärt sie. "Mir ist es sogar wichtig, anderen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Aber ich finde das Thema Selbstzweifel so persönlich, dass ich gerne den direkten Austausch dazu habe."
Nach aussen trägt Verena ihre Ängste nur bedingt: "An sich wahre ich natürlich den Schein, dass ich super souverän bin", sagt sie.
So gehe es den meisten, die ähnliche Gefühle haben, erklärt die Wissenschaftlerin Zanchetta. "Es ist ein inneres Geheimnis." Wie viele Menschen wirklich unter dem Phänomen leiden, könne dadurch schwer ermittelt werden. Denn auch in Studien gäben Betroffene diese Unsicherheiten nur ungern zu. Dadurch gebe es wenig Evaluiertes und viel Theoretisches.
Nie gut genug, nie zufrieden mit Erfolg
Bis zu 70 Prozent der Menschen geben aber immerhin an, dass sie das Gefühl kennen, sagt der Autor und Psychologe
"Das sind einfach verdammt viele. Was vielleicht auch der Punkt ist, weshalb wir auf keinen Fall von einer Krankheit sprechen, sondern eher von einem Normalzustand." Auslöser könne zum Beispiel hoher Leistungsdruck in der Kindheit sein.
Wer am Hochstapler-Phänomen leide, habe etwa Probleme damit, sich selbst positives Feedback zu geben. "Du bist mit deinen eigenen Erfolgen nie so wirklich zufrieden. Es muss immer weitergehen, wie in einem Hamsterrad", so der 31-Jährige, der unter anderem durch einen Podcast mit dem Comedian Atze Schröder bekannt ist. Wichtige Indizien für das Impostor-Phänomen seien auch Selbstzweifel: "Bin ich gut genug für das, was ich hier mache?"
Auch Verena fällt es schwer, eigene Erfolge zu benennen. Erst nach mehreren Nachfragen zählt sie ein paar mögliche auf: ein Einserschnitt im Abitur, parallel zum Leistungssport, zum Beispiel. "Ist das ein Erfolg? Weiss ich nicht", sagt sie. Nach längerem Überlegen erzählt die 27-Jährige, dass ihre journalistische Ausbildung ein Erfolg für sie gewesen sei. "Da weiss ich mittlerweile, was ich kann und was vielleicht nicht so gut." Trotzdem denke sie sich bei Lob: "Leute, das bin doch nur ich!"
"Hochstapler-Phänomen": Tipps für Betroffene
Erfolge sollten normalerweise das Selbstbewusstsein stärken. Mit dem Impostor-Phänomen sei das jedoch anders, sagt Windscheid. "Ich untergrabe eigentlich schon von Anfang an die Chance, dass ich am Ende sagen kann: Das hast du einfach gut gemacht, du hast dich gesund vorbereitet, dann hat es geklappt und deswegen darfst du dir jetzt ein positives Feedback geben."
Das zeigt sich auch bei der 27 Jahre alten Verena. Trotz der offensichtlich erreichten Ziele plagen sie negative Gefühle: "Ich habe immer diese latente Angst, Mist verzapft zu haben" - wirklich Fehler gemacht habe sie allerdings noch nie. Dennoch habe sie immer Angst, dass sie "Scheisse gebaut" habe und es aktuell einfach niemand merke. "Aber irgendwer muss sich doch irgendwie mal denken: Alter, die kann man hier nicht arbeiten lassen", sagt sie.
Mittlerweile hat die 27-Jährige diese Ängste nach eigenen Angaben besser im Griff. Vor allem Gespräche mit Freunden helfen ihr, damit umzugehen, sagt sie. Auch Psychologe Windscheid rät dazu, mit anderen Menschen über das Hochstapler-Gefühl zu sprechen.
Das helfe einem selbst, aber auch Gleichgesinnten. Gemeinsame Gespräche würden dazu führen, Tipps und Mechanismen zu benennen, die man sich auch selbst geben sollte.
"Vergleiche dich, wo du gerne hin würdest"
Ausserdem: "Vergleiche dich mehr mit dir selbst, wie du früher mal warst und mit dir selbst, wo du gerne hin würdest", ergänzt der Psychologe. Ein weiterer Tipp des Psychologen: "Kämpfe niemals gegen deine eigenen Gefühle." Zugelassene Ängste und negative Emotionen seien viel schneller vorbei.
Klar sein sollte auch: "Das Hochstapler-Selbstkonzept basiert darauf, dass ich denke, Hochstapler zu sein, obwohl das eigentlich nicht der Fall ist." (Dorothée Barth, dpa/af)
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