Millionen Menschen hören schlecht – ohne es zu wissen oder ohne etwas dagegen zu unternehmen. Der Hörverlust ist ein schleichender Prozess und kann schlimme Folgen haben.
Wohl kaum jemand läuft ohne Brille oder Kontaktlinsen herum, wenn er schlecht sieht. Doch bei schlechtem Gehör tragen bei Weitem nicht alle ein Hörgerät. Das hat negative Folgen, die weit über das Hören hinausreichen. Viele Vorurteile über Hörhilfen sind inzwischen überholt, wie Hörakustiker berichten. Neueste Systeme sind nahezu unsichtbar und können dank Künstlicher Intelligenz viel mehr, als für besseres Gehör zu sorgen.
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Forschende der Universität Mainz hatten 2023 Daten von 5024 Menschen ausgewertet – vom jungen Erwachsenen bis zum Über-80-Jährigen. Dabei stellten sie fest, dass knapp die Hälfte der Teilnehmenden nach der sogenannten Hilfsmittel-Richtlinie die Voraussetzung für ein Hörgerät auf beiden Seiten erfüllte. Aber lediglich 7,7 Prozent hatten tatsächlich zwei Hörgeräte. Dabei war das Hörvermögen der Frauen im Schnitt besser als das der Männer. Mit zunehmendem Alter zeigte sich eine deutlich erhöhte Prävalenz der Hörstörungen.
Die Koblenzer Hörakustikmeisterin Eva Keil-Becker kennt die Vorurteile, die Menschen gegenüber Hörgeräten haben. "Früher sah man das als Stigma. Hörgeräte sahen aus wie hautfarbene Bananen." Diese Zeiten seien lange vorbei. "Moderne Hörgeräte sind Wunderwerke der Technik, die kleinsten tragbaren Computer der Welt", sagt Keil-Becker vor dem Welttag des Hörens am 3. März.
Viele bemerken ihre Schwerhörigkeit erst sehr spät
Die "massive Unterversorgung" mit Hörgeräten habe aber auch einen anderen Grund, glaubt die Vizepräsidentin der in Mainz ansässigen Europäischen Union der Hörakustiker (EUHA) und Geschäftsführerin eines Familienunternehmens mit mehr als 20 Fachgeschäften: "Hörverlust ist ein schleichender Prozess. Bis man es bemerkt, dauert es im Schnitt sieben Jahre." Laut EUHA leiden 5,4 Millionen Menschen in Deutschland unter einer Hörminderung, darunter mehr als 500.000 Kinder.
Eine der Folgen: Schlechtes Hören erhöht das Alzheimer-Risiko
Wenn man schlecht hört, ist es nicht damit getan, Gesprächspartner zu bitten, deutlicher zu sprechen, oder den Fernseher lauter zu stellen. Oft gehe schlechtes Hören zum Beispiel mit Schwindel und auch Tinnitus einher, so Keil-Becker.
Wer schlecht hört, hat auch ein erhöhtes Demenz-Risiko. Eine internationale Forschergruppe (The Lancet Commission on Dementia and Prevention) listet zwölf Risikofaktoren auf, die das Alzheimer-Risiko erhöhen - Hörverlust ist einer davon.
"Das Gehirn braucht Input", erklärt der Leiter des Kölner Alzheimer Präventionszentrums, Frank Jessen, den Zusammenhang. Wer schlecht höre, bekomme weniger Informationen und habe dadurch ein höheres Alzheimer-Risiko. Daher sollte ein Hörgerät ebenso selbstverständlich sein wie eine Brille.
Welche Frequenzen zuerst ausfallen
Bei der typischen Altersschwerhörigkeit gehen zuerst die hohen Frequenzen verloren, erklärt die Hörakustikerin ihren Kunden. Im Bereich der hohen Töne liegen die meisten Konsonanten und damit der Grossteil der Informationen. Von vielen Menschen hört Keil-Becker daher oft die Aussage: "Ich höre, aber ich verstehe nicht, was gesagt wird."
Der erste Schritt ist also, das Gehör testen zu lassen. Wird dann ein Hörgerät empfohlen, muss sich der Kunde im Klaren sein: "Es gibt kein neues Hören auf Knopfdruck", sagt Keil-Becker. "Das ist nicht wie beim Optiker, wo man eine Brille aufsetzt und man sieht gut."
Die drei Ks: Komfort, Klang, Kosmetik
Auswahl und Anpassung eines Hörgeräts sind nicht trivial. Denn das Angebot an Geräten ist gross und die Bedürfnisse der Kunden verschieden. Der Akustiker orientiert sich "an den drei Ks", wie Keil-Becker erklärt: "Komfort, Klang, Kosmetik". Wer viel in Konzerte geht oder Berufsmusiker ist, braucht optimale Tonqualität. Für Menschen, die viel Sport machen, ist es wichtig, dass das Gerät robust ist.
Anders als bei Brillen zahlen die gesetzlichen Krankenkassen viel zu, laut Keil-Becker 700 bis 800 Euro pro Seite. Wer nichts drauflegen will, für den gibt es Basismodelle, bei denen nur eine Zuzahlung von zehn Euro pro Ohr fällig wird.
Vorsicht mit Haarspray: Pflegetipps fürs Hörgerät
- Ohrenschmalz, Schweiss, Staub, Pollen und Bakterien: All das kann das Ohrpassstück eines Hörgeräts verstopfen. "Oft reicht es, die vom Hörer getrennten Ohrpassstücke oder das Hörgeräte-Schirmchen unter fliessendem Wasser mit etwas Spülmittel zu reinigen", sagt Michael E. Deeg, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Freiburg. Wichtig: Beide Teile müssen gut trocknen. Dafür gibt es spezielle Boxen.
- Ebenfalls regelmässig zu reinigen oder alternativ auszuwechseln ist der Cerumenfilter, der sich in jedem Hörgerät befindet. Cerumen - so heisst in der Medizin der Ohrenschmalz. Wer sich fürs Reinigen des Filters entscheidet, sollte ihn mit Wasser säubern. Nach einem gründlichen Abtrocknen ist er wieder einsetzbar.
- Ein Tipp, der komplizierten Reinigungsaktionen und noch grösseren Problemen vorbeugen kann: beim Benutzen von Haarspray das Hörgerät kurz ablegen. Denn das Kosmetikprodukt kann den Mikrofoneingang verstopfen und verkleben. Dasselbe gilt für Gesichtscreme - auch sie trägt man am besten nicht auf, wenn man gerade ein Hörgerät trägt.
Integrierter Fitnesstracker und andere Extras
Die neuesten Geräte haben zahlreiche Zusatzfunktionen - und bekommen dank KI immer weitere dazu. Viele Hörgeräte kann man auf Wunsch per App vom Handy aus steuern. Schon heute gibt es Geräte mit integriertem Fitnesstracker oder Sturzdetektor. In der Entwicklung sind Hörgeräte, die den Träger erinnern, seine Medikamente zu nehmen.
Altersschwerhörigkeit ist eine häufige, aber nicht die einzige Indikation für ein Hörgerät. Schon Kinder und auch Neugeborene können schlecht hören. Weil der Input über die Sprache so wichtig ist für die Entwicklung, ist es nötig, Schwerhörigkeit so früh wie möglich zu erkennen und gegenzusteuern. Auch bei Tinnitus - einem oft stressbedingten Pfeifen im Ohr - kann ein Hörgerät hilfreich sein.
Regelmässige "Hörpausen" einlegen
Die Europäische Union der Hörakustiker empfiehlt regelmässige Hörtestungen ab dem 50. Lebensjahr. Den Fachleuten ist neben der Aufklärung auch die Prophylaxe wichtig. Was Keil-Becker immer wieder auffällt: Viele junge Menschen haben gefühlt den ganzen Tag einen Kopfhörer auf oder im Ohr. Auf Dauer werde damit der Hörnerv überstrapaziert. Besser sei es, regelmässig "Hörpausen" einzulegen und "achtsam mit dem eigenen Gehör umzugehen". (dpa/af)
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