Harald Wohlfahrt ist nicht nur eine der namhaftesten Persönlichkeiten der deutschen Gourmetwelt, sondern zählt laut der "New York Times" auch zu den zehn besten Köchen weltweit. Sein Restaurant "Schwarzwaldstube" im beschaulichen Ort Tonbach in Baden-Württemberg ist üblicherweise bereits Monate im Voraus ausgebucht. Im Interview verrät der Drei-Sterne-Koch, welche Tücken das Leben als Gastronomie-Promi ausser Kalorien noch mit sich bringt und warum Restaurantkritiker so gefährlich sein können.
Herr Wohlfahrt, was macht einen Sternekoch aus?
Harald Wohlfahrt: Eine Top-Gastronomie oder eine Sterne-Gastronomie beginnt beim Empfang des Gastes und hört auf bei der Verabschiedung. Wie wird er platziert? Wie wird er beraten? Wie wird er durch so einen Mittag oder Abend geführt? Und dann natürlich der Bereich der Küche: Dass man die kulinarische Abwechslung anzubieten hat, dass man mit frischen Zutaten arbeitet, dass man saisonorientiert arbeitet und überhaupt beste Rohmaterialien aussucht. Dass man allen Produkten der Natur, die wir verzehren können, die gleiche Aufmerksamkeit schenkt - ob das ein Bärlauch ist oder andere Dinge.
Ihre erste Station nach Ihrer Ausbildung war gleich ein Zwei-Sterne-Restaurant. War das Zufall?
Wohlfahrt: Es war ein Zufall, dass ich in dieses Zwei-Sterne-Restaurant gekommen bin. Ich bin dort als Mitarbeiter angekommen und wusste überhaupt nicht um die Bedeutung der Sterne und welche Aussenwirkung diese Sterne hatten. Natürlich wächst man dann in einem solchen Unternehmen. Man engagiert sich, bringt sich ein, nimmt das Niveau an. Dort ist für mich auch der Grundstein in mir gelegt worden, dass man eigene Ideen verwirklichen kann, eigene Gerichte gestaltet, die eigene Sensibilität auslebt. Ausserdem bin ich dort natürlich zum ersten Mal mit den ganzen Edelprodukten in Kontakt gekommen, wie mit Fischen, Meeresfrüchten und Trüffel. Ab da war mir klar: Das ist das, was ich wollte und das, was ich als Herausforderung gesehen habe.
Wann war für Sie denn überhaupt klar, dass Sie Koch werden möchten?
Wohlfahrt: Ich glaube, das geht weit in meine Kindheit zurück. Die Grosseltern waren Zuerwerbslandwirte, also Selbstversorger, und die hatten von allem noch was. Sie hatten Milchwirtschaft, Hausschlachtung, Ackerbau und Obstbäume. So ist der Bezug zu den Produkten der Natur entstanden. Ich kenne die Produkte also nicht nur, wie sie auf den Markt kommen, sondern weiss, wie man sie anbaut und wie sie produziert werden. Als ich jung war, hätte ich mir ein Leben als Landwirt gut vorstellen können, aber die Höfe sind Ende der 60er-Jahre mehr oder weniger unrentabel geworden. Irgendwann war ich dann in der Berufsfindung, als mir klar geworden ist, dass ich mit den Produkten wieder etwas zu tun haben möchte und sie veredeln möchte. So bin ich zum Kochen gekommen.
Sie wissen nun, wie man aus natürlichen Produkten wirklich hochwertige Mahlzeiten herstellt. Welches Handwerk braucht ein guter Koch dafür überhaupt?
Wohlfahrt: Dafür muss man sich erst mal klar machen: Was für ein Koch möchte ich überhaupt werden? Das Berufsbild des Koches ist breit gefächert. Es gibt den Azubi, den Jungkoch und einzelne Chef-Departments innerhalb einer Küche. Es gibt den Saucier, den Entremetier (Beilagenkoch, Anm. d. Red.), den Patissier (Küchenkonditor, Anm. d. Red.), und die haben natürlich alle unterschiedliche Aufgabengebiete. Ein Hotelkoch muss anders ausgebildet sein als ein Restaurationskoch, denn wir kochen à la minute, also auf Bestellung - ein Hotelkoch muss für 250 Gäste das gleiche Menü machen, muss mit ganz anderen Mengen arbeiten. Darüber hinaus braucht man natürlich eine fundierte Ausbildung: Das Einmaleins des Kochens sollte man beherrschen und man benötigt Produktkenntnisse zu den einzelnen Jahreszeiten. Trotz allem ist ein Rucola aber nicht gleich ein Rucola und ein Trüffel auch nicht gleich Trüffel. Es gibt über 60 beschriebene Trüffelsorten. Es gibt nur einen Edeltrüffel, die Tuber Melanosporum, aber auch da gibt es gute und schlechte. Man muss das Gute vom Besseren unterscheiden lernen. Natürlich muss man ein Bezugsnetz aufbauen, damit man die Produkte auch ganzjährig mit der Saison dann auch bekommt in einem Qualitätsstandard, den man haben möchte. Auf der anderen Seite müssen Sie aber auch ein Stück weit managen können. Sie müssen den Umgang mit Gästen beherrschen und sich artikulieren können. Sie müssen Mitarbeiter sicher führen und anleiten können. Sie müssen Konflikte lösen können. Eigentlich ist es wie bei einer Fussballmannschaft: Jeder hat einen unterschiedlichen Charakter - der eine braucht eine etwas strengere Hand, der andere braucht mehr Streicheleinheiten. Man muss das Team zum Erfolg führen!
Sie selbst pflegen eine sehr aufwändige und hochwertige Küche. Können Sie überhaupt noch irgendwo anders essen als bei sich selbst?
Wohlfahrt: Klar, ich kann überall essen. Alles zu seiner Zeit. Ich freue mich natürlich über einen Besuch in einem grossen Restaurant, wo man mit grossem Respekt hingeht und schaut: Haben die denn Niveau? Was bekommt man bei den Kollegen, die so eine hohe Wertung haben? Ich gehe aber auch gerne in ein Gasthaus und esse Rind mit Meerrettichsauce. Wenn das Gericht gut gemacht ist, ist es genau so reizvoll wie alles andere und macht Spass.
Sie gehen also schauen, was die Konkurrenz macht?
Wohlfahrt: Nehmen Sie eine Fussballpartie wie Bayern München gegen Madrid. Das sind beides hochwertige Mannschaften und auf dieser Ebene wird Weltklasse-Fussball spielt. Ein Drei-Sterne-Restaurant läuft ebenfalls auf Weltklasse-Niveau. Da muss man auch mal über den eigenen Tellerrand hinausblicken und sehen, was bei anderen passiert. Wir gehen in der "Schwarzwaldstube" unseren ureigenen Weg, aber man muss auch mal wieder andere Teller, andere Gedanken und einen anderen Geist sehen, um sich inspirieren zu lassen. Letztendlich ist es so: Ein Restaurant ist wie ein Formel-1-Wagen. Es hat Stühle, Tische, Gläser, Bestecke, eine Grundausstattung, ein schönes Dekor, und dann wird nur noch getunt. Was lässt man weg? Wo gibt man mehr? Was macht einen Besuch für den Gast noch interessanter? Wie reduziere ich das optische Drumherum auf das Wesentliche auf dem Teller? Das kann ich alles steuern und beeinflussen. Deshalb versuchen wir, das Produkt immer weiterzuentwickeln.
Wie ernähren Sie sich denn privat?
Wohlfahrt: Ich bin ein Genussmensch und esse grundsätzlich gerne. Daher muss ich mich sehr disziplinieren, dass ich nicht zu viel esse. Aber ich habe das sehr gut im Griff. Ich esse anspruchsvoll, aber es muss nicht immer Kaviar sein. Es geht nichts über frische Brunnenkresse oder einen selbst gesammelten Wildkräutersalat. Wenn das gut gemacht ist, ist es ein Genuss.
Genuss und Disziplin lassen sich nicht immer leicht miteinander kombinieren. Es gab eine Zeit, in der man die Kunst eines Koches an dessen Bauchumfang gemessen hat ...
Wohlfahrt: Das trifft nicht zu. An dieser Stelle mache ich einen Punkt und sage: Nur hungrige Köche sind gute Köche. Ich vergleiche das sehr gerne mit Fussball. Stellen Sie sich vor, ein Fussballer würde eine halbe Stunde, bevor er auf den Platz stürmt, eine Zwei-Kilo-Mahlzeit verzehren. Der läuft nicht mehr, weil sein Körper müde ist und der Körper die Energie für die Verdauung braucht. Wer fühlt sich wohl mit zehn Kilo Übergewicht? Deshalb muss jeder für sich selbst entscheiden, auch Köche: Was ist die äussere Belastung, die ich auf mich nehmen möchte? Und dann muss man Körper, Seele und Geist entsprechend in Einklang bringen, damit man dadurch eine hohe Leistungsfähigkeit erbringen kann.
Können Sie sich denn noch an die kalorienreichste Mahlzeit erinnern, die Sie je gekocht haben?
Wohlfahrt: Nein, aber wissen Sie, bei uns ist das so: Man sollte sich an sechs Tagen in der Woche so ernähren, dass man am siebten Tag bei uns keine Kalorien zählen muss.
Kochen erlebt derzeit einen Hype, an dem diverse Kochshows sicherlich nicht ganz unbeteiligt sind. Wie müsste denn ein dauerhaftes TV-Format beschaffen sein, damit auch Sie mit Ihrem Können ins Fernsehen gehen?
Wohlfahrt: Ein dauerhaftes TV-Format kann ich mir insofern nicht erlauben, als dass ich ein Drei-Sterne-Restaurant betreue, das zur Spitze der Republik gehört. Hier sehen Sie Dinge, die sehen Sie nicht im Fernsehen. Wir haben mittags und abends geöffnet, die Gäste reservieren Monate im Voraus. Wenn Sie in die Allianz Arena gehen, erwarten Sie, dass die Stars des FC Bayern auflaufen. Ebenso erwarten die Gäste in meinem Restaurant, dass ich hier bin mit meinem Renommee, das ich nach aussen hin ausstrahle. Die medialen Köche verdienen vielleicht mehr Geld mit der Werbung, die sie machen und allem Drum und Dran. Aber sie haben mit diesem elitären Anspruch, den wir befriedigen, eigentlich nichts zu tun. Wie definiere ich mich? Wenn mir Geld wichtig ist, muss ich mich vermarkten, denn ich wäre dumm, wenn ich es nicht tue. Oder habe ich andere Grundansätze, zum Beispiel die Kunst des Kochens weiterzuentwickeln, mit dem hohen Anspruch, den wir nun seit 20 Jahren als Drei-Sterne-Restaurant haben. Wenn ich das weiterhin pflegen möchte, muss ich mich darum kümmern. Alle Felder belegen kann man nicht. Man muss sich auf das Wesentliche konzentrieren und ich mache das, was mir nach wie vor am meisten Spass macht, und das ist die "Schwarzwaldstube".
Wann haben Sie eigentlich aufgehört, Angst vor Restaurantkritikern zu haben?
Wohlfahrt: Seitdem ich eine für mich definierte innere Unabhängigkeit spüre. Lassen wir es fünf Jahre her sein, in denen ich nun sagen kann, dass ich damit persönlich gelassener umgehe. Wenn Sie ein Millioneninvestment betrieben haben und sich dann in die Fänge dieser Kritiker begeben, kann das existenzbedrohlich werden. Deshalb bin ich nicht in die Selbstständigkeit gegangen. Aber die Zukunft ist immer offen. Wenn ich morgen einen Unfall habe oder erkranke, müsste das Leben auch weitergehen. Man darf sich nicht zu abhängig machen. Aber wenn man sich abhängig macht, weil man sich Träume erfüllt und Investments betreibt, die sehr verpflichtend sind, dann kann eine schlechte Kritik durchaus sehr unangenehm sein.
Haben Sie denn schon mal einen Restaurantkritiker vor die Tür gesetzt?
Wohlfahrt: Nein. Wir sind eine Stätte, in der jeder willkommen ist, und wir haben nichts zu verbergen. Man muss wissen, wer wen kritisiert und man muss den Kritiker kennen. Aber man muss sich nicht anbiedern. Wenn jemand Interesse hat an dem, was wir machen, soll er eine Bestandsaufnahme machen. Ich hatte einmal eine Auseinandersetzung mit einem Kritiker, der für den "Stern" geschrieben hat. Der hat aber nicht hier im Haus gegessen, sondern hat meine Palazzos besucht. Danach suchte er mich in Tonbach auf, um mir zu sagen, dass das Essen im Palazzo das schlechteste war, das ihm je widerfahren ist. Da konnte ich nur sagen, wenn er das so empfunden habe, dann sei es so. Ich habe ihm den Original-Prospekt gezeigt mit den originalen Rezepten. Das sind die Vorgaben, die die Köche vor Ort von mir bekommen haben. Wenn der Kritiker das Essen anders erlebt hat, dann tut mir das aufrichtig leid. Dann werde ich zwar dorthin gehen und Einfluss darauf nehmen, dass so etwas nicht noch mal passiert - aber wenn der Kritiker meint, dass er darüber schreiben muss, dann soll er schreiben. Das, was dieser Kritiker letztlich über seine Erfahrung mit meinem Essen geschrieben hat, beschreibt etwas, das ich mir an keinem Tag in der "Schwarzwaldstube" erlauben kann.
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