Niemand geht wohl gern zum Zahnarzt. Viele haben ein mulmiges Gefühl auf dem Behandlungsstuhl beim Anblick von Bohrer und spitzen Instrumenten. Eine Zahnärztin erklärt, woher diese Angst kommt und wie man dagegen vorgehen kann.
Ein mulmiges Gefühl begleitet viele Menschen, wenn sie zum Zahnarzt müssen. Riesige Spritzen mit langen Nadeln oder der kreischende Lärm des Bohrers machen die Behandlung auch alles andere als angenehm. Wie bei vielen anderen Ängsten greift auch bei der Furcht vorm Zahnarzt oftmals die Vermeidungstaktik. Betroffene umgehen einen Besuch in der Zahnarztpraxis tunlichst oder zögern ihn so lange heraus, bis die Zahnschmerzen unerträglich werden. Das kann für die Zahngesundheit gravierende Folgen haben.
Dr. Julia Thome, Zahnärztin im Kölner Carree Dental, spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news über die Angst vor dem Zahnarzt und erklärt, worauf Angstpatienten bei der Wahl ihres Behandlers achten sollten. Zudem gibt sie wichtige Tipps, um die Angst zu besiegen und wie man sie bei Kindern von klein auf vermeidet.
Was denken Sie, sind die häufigsten Gründe für die Angst vor dem Zahnarzt?
Dr. Julia Thome: Für die Angst vorm Zahnarzt gibt es unterschiedliche Gründe. Eine wesentliche Rolle dürften traumatische Erfahrungen in der Kindheit spielen. Hinzu kommen das Gefühl von Kontrollverlust sowie die Furcht vor den Schmerzen. Werden Spritzen gesetzt, Nerven betäubt oder in den Zähnen gebohrt, so löst dies bei vielen Menschen Ängste aus. Doch vielfach basieren diese Erfahrungen auf der gängigen Praxis früherer Zeiten, in denen das Verhältnis zwischen Zahnarzt und Patient weniger locker war: Der "Dentist" entschied darüber, ob betäubt wurde oder nicht, und wie lange der Patient Schmerzen auszuhalten hatte. Heute stehen glücklicherweise das partnerschaftliche Vorgehen und weitaus patientenfreundlichere Methoden im Mittelpunkt der Behandlung. Ein Beispiel dafür ist die Karies-Infiltration. Statt zum Bohrer zu greifen, trägt der Zahnarzt bzw. die Zahnärztin mit Hilfe dünner Folien ein farbloses Kunststoff-Gel auf die betreffende Stelle auf. Dieses dringt in die Karies ein, füllt die poröse Schmelzschicht von innen auf (= infiltrieren) und versiegelt den Zahn. Der Effekt: Schädliche Säuren können somit nicht mehr eindringen. Zudem muss keine gesunde Zahnsubstanz vernichtet werden wie beim Bohren.
Ein weiterer Grund für die Zahnarztangst ist darüber hinaus die Tatsache, dass bei jeder Behandlung die Intimzone Mund im Fokus steht. Dies kann auch ohne erlebtes Trauma unangenehm sein.
Wie kann man der Angst vorm Zahnarzt schon im Kindesalter vorbeugen? Was würden Sie Eltern raten?
Dr. Thome: Kinder haben grundsätzlich keine Angst vor dem Zahnarztbesuch. Die möglichen negativen Gefühle werden leider oft von den Eltern auf die Kinder übertragen. Das Hauptziel muss sein, dass die kleinen Patienten neugierig den Zahnarzt und die Einrichtung erkunden dürfen. Denn Neugierde schliesst Angst aus.
Damit Kinder den ersten Besuch in der Praxis unbeschwert erleben, sollte keinesfalls akuter Handlungsbedarf bestehen, etwa durch Zahnschmerzen. Vielmehr sollten Kinder in Ruhe Räume und Mitarbeiter kennenlernen und auf spielerische Weise etwas über Behandlungsmethoden und Zahngesundheit erfahren. Anhand von Bildern, Skizzen oder Puppen erkennt die kommende Patienten-Generation, wie wichtig eine gründliche Zahnpflege ist und wann und wie die verschiedenen Instrumente und Geräte eingesetzt werden. Dabei ist es äusserst hilfreich, dass die natürliche Neugier Angst ausschliesst. Dies sollte in den ersten Sitzungen unbedingt gefördert werden.
Worauf sollten Angstpatienten bei der Wahl des Zahnarztes achten?
Dr. Thome: Als Angstpatient sollte ich mich einem spezialisierten, einfühlsamen Experten anvertrauen (entsprechende Adressen findet man in Branchenbüchern oder im Internet). Dieser geht auf meine Ängste und Bedürfnisse ein. Dies beginnt bei vertrauensvollen Beratungsgesprächen und einer angstabbauenden Praxisführung und endet bei möglichst schmerzfreien Behandlungskonzepten (auf Wunsch bei extremen Beschwerden in Dämmerschlaf oder Vollnarkose). So lassen sich Schwellenängste eher abbauen und es fällt mir leichter, die halbjährlichen Kontroll-Termine einzuhalten.
Angstpatienten vermeiden es oft über Jahre zum Zahnarzt zu gehen. Irgendwann kommt zu den Zahnproblemen auch die Scham. Wie kann man den Teufelskreis durchbrechen?
Dr. Thome: Hilfreich ist es, sich möglichst umfassend zu informieren und sich mit der Angst auseinanderzusetzen. Eventuell vorab aufschreiben, welche Vorbehalte und Sorgen konkret bestehen und diese vor der Behandlung mit dem Zahnarzt erörtern.
Wer sich der Angstsituation stellt, der hat den ersten Schritt zur Besserung der Beschwerden getan - eine rücksichtsvolle und empathische Behandlung des Zahnarztes vorausgesetzt. Als hilfreich erweist sich oft auch die Begleitung einer Vertrauensperson. Diese kann beruhigend auf den Patienten einwirken.
Ist der Angstpatient bereit zur Behandlung, so sollte alles für dessen Beruhigung getan werden. In manchen Fällen kann beispielsweise eine Akupunktur vor der Behandlung entspannend wirken. Bei manchen Menschen entwickelt sich die Angst vor dem Zahnarzt jedoch bis hin zur Dentalphobie. Die Panik vor Bohrer und Spritzen ist dann oft so ausgeprägt, dass sie jahrelang nicht zum Zahnarzt gehen. Vielfach schämen sie sich nicht nur wegen ihrer Angst, sondern auch wegen des schlechten Zustands ihrer Zähne. Lachgas oder Beruhigungsmitteln helfen hier kaum. Als letzte Möglichkeit ist in diesen Fällen eine Behandlung in Vollnarkose insbesondere für extreme Angstpatienten oftmals eine grosse Hilfe. Langfristig kann eine Verhaltenstherapie den Beschwerden entgegenwirken oder diese sogar völlig beheben.
Dr. med. dent. Julia Thome ist Zahnärztin im Kölner Carree Dental. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind Funktionsdiagnostik/-therapie und Wurzelkanalbehandlungen. (sv/spot) © spot on news
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